Vieraugengespräch mit Spindelegger
Tirols ÖVP-Chef und Landeshauptmann Günther Platter hat die Bildung der neuen Bundesregierung scharf kritisiert. Am Freitagabend sprach er in einem Interview mit ORF Radio Tirol von einer „gravierenden Fehlentscheidung“ im Hinblick auf die Zusammenlegung des Wissenschafts- mit dem Wirtschaftsministerium und die Nichtberücksichtigung von Karlheinz Töchterle.
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Platter ortete einen „Affront“ gegenüber Studierenden, Universitäten, Lehrenden und dem Personal. Das sei eine „absolute Fehlentscheidung, so kann man mit Menschen nicht umgehen“.
Im Bundesparteivorstand habe man „den Westen überhaupt ausschließen“ wollen, berichtete Platter. Erst nach einer von ihm initiierten Sitzungsunterbrechung und einem Vieraugengespräch mit Bundesparteichef Michael Spindelegger sei es gelungen, Andrä Rupprechter als Landwirtschaftsminister zu nominieren. Dieser habe sich innerhalb weniger Minuten entscheiden müssen. Diese Vorgangsweise sei „völlig verfehlt, man braucht sich nicht zu wundern, wenn die Leute oft die Nase voll haben von der Politik“, meinte Platter, der von einem derzeit kühlen Verhältnis zu Spindelegger sprach - mehr dazu in tirol.ORF.at.
Fischer überrascht
Bundespräsident Heinz Fischer wollte zwar nicht explizit Kritik an der Abschaffung des Wissenschaftsministeriums üben, machte aber mehr als klar, dass er darüber nicht erfreut ist. Fischer, der selbst von 1983 bis 1987 Wissenschaftsminister war, machte klar, dass dieser Schritt ihn offenbar überraschte: Damit habe er in den vergangenen Wochen nicht gerechnet.
Er habe das Wissenschaftsministerium für eine wichtige Institution und ein wichtiges Symbol gehalten. Der nun zuständige Minister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) werde die Aufgabe haben, zu beweisen, dass ihm Wirtschaft und Wissenschaft Anliegen seien und dass die Grundlagenforschung und -wissenschaften „nicht zu leiden haben“: „Jetzt muss das Beste draus gemacht werden.“ Dem Appell der Unirektoren, der Regierung unter diesen Umständen die Angelobung zu verweigern, erteilte Fischer damit eine Absage.
„Fatales Signal“
In der wissenschaftlichen Gemeinschaft herrschte am Freitag jedenfalls helle Empörung. Die Einsparung des Wissenschaftsministeriums sei ein „fatales Signal, das international nur auf Unverständnis und Kopfschütteln stoßen wird“, sagte der Chef der Rektorenkonferenz uniko, Heinrich Schmidinger. „Es zeigt einmal mehr, wie erschreckend wenig die Bundesregierung von Wissenschaft und Forschung, aber besonders auch von Kunst und Kultur versteht.“
Schmidinger fragte sich, „was die Geistes- und Rechtswissenschaften, aber auch die Kunstuniversitäten, die Philosophie, die Theologie und vieles mehr im Wirtschaftsministerium verloren haben? Welchen Stellenwert behält die Grundlagenforschung, wenn die angewandte Forschung zu dominieren beginnt?“
Spindelegger weist Kritik zurück
Spindelegger wies die Kritik und die geäußerten Befürchtungen als ungerechtfertigt zurück. Er betonte, dass durch die Zusammenlegung kein einziger Beamter aus dem Wissenschaftsressort nicht mehr in diesem Bereich arbeite: „Es geht nicht um die Liquidierung eines Ministeriums.“ Er gehe darum, Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft neu aufzustellen. Spindelegger zeigte sich überzeugt, dass Mitterlehner die Wissenschaftsagenden gut betreuen werde.
Hilferuf an SPÖ und Wirtschaftskammer
Uniko-Chef Schmidinger appellierte an den Koalitionspartner SPÖ, für den Erhalt des Wissenschaftsministeriums einzutreten. Sie habe jetzt Gelegenheit, „Entschlossenheit“ aufzubringen, „wenn der ganze Hochschulsektor Österreichs ins Abseits gestellt wird“. Auch an Wirtschaftskammer-Chef Christoph Leitl (ÖVP) und Industriellenvereinigung-Präsident Georg Kapsch wandte sich der uniko-Chef und bat sie, „nicht zuzulassen, dass Wissenschaft und Forschung als die entscheidenden Zukunftsbereiche unserer Gesellschaft zur Nebensache degradiert werden“. Für „übertrieben“ hält hingegen uniko-Vizepräsident Gerald Bast Schmidingers Appell an Fischer.
Uni Wien „bestürzt“
Auch die größte Hochschule des Landes zeigte sich „bestürzt über den geringen Stellenwert für Wissenschaft und Unis, der aus der Abschaffung des Wissenschaftsministeriums zum Ausdruck kommt“. Gleichzeitig begrüßte man das „zum wiederholten Mal“ für 2020 gesteckte Ziel, zwei Prozent des BIP in die Hochschulen zu investieren, so die Uni Wien in einer Aussendung.
ÖH: „Wir sehen uns auf der Straße wieder“
„Wir sehen uns auf der Straße wieder“, zeigte sich auch die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH) über die Zusammenlegung verärgert. Eine Fusion von Wissenschaft und Wirtschaft werde dazu führen, „dass die Ökonomisierung der Bildung auch in den nächsten Jahren weitergehen wird“, so ÖH-Chef Florian Kraushofer (Fachschaftslisten, FLÖ). In einer Resolution forderte die ÖH die Regierung dazu auf, „die Anforderungen und Probleme der Hochschulen endlich ernst zu nehmen“.
Töchterle stimmt gegen Zusammenlegung
„Ich sehe jetzt schon, dass die Symbolik ganz schlecht ist für viele in der Wissenschaft“, sagte der scheidende Wissenschaftsminister Töchterle. Wissenschaft und Forschung seien kein unbedeutender Teil der Stärke Österreichs. „Jetzt zu sehen, dass das nur eine Appendix in einem anderen Ministerium ist, wird viele schmerzen.“
In der „Tiroler Tageszeitung“ kündigte Töchterle an, als Nationalratsabgeordneter gegen das Bundesministeriengesetz - mit dem die Fusion der beiden Ressorts besiegelt wird - zu stimmen.
FPÖ: „Begräbnis erster Klasse“
„Die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums wird eine weitere massive Schwächung des Wissenschafts- und Forschungsstandorts Österreich zur Folge haben“, kritisierte FPÖ-Wissenschaftssprecher Andreas Karlsböck. Zwar sei es ein Vorschlag der Freiheitlichen gewesen, die Kompetenzen für Wissenschaft und Forschung zu bündeln, jedoch komme das unter dem „Wirtschaftslobbyisten Mitterlehner einem Begräbnis erster Klasse gleich“. Die Freiheit der Wissenschaft werde „der zügellosen Freiheit des Marktes weichen müssen“, so Karlsböck.
Grüne: „Vollkommen unverständlich“
Es sei „vollkommen unverständlich“, dass die Wissenschafts- und Forschungsagenden zum „Anhängsel der Wirtschaft degradiert“ würden, sagte die Klubobfrau der Grünen, Eva Glawischnig. Das Regierungsprogramm kritisierte sie als „Verwaltung des Stillstands“.
TS: „Schlag ins Gesicht“
Die von der Regierung vielfach propagierte Aufwertung der Wissenschaft werde mit der Abschaffung des Wissenschaftsministeriums konterkariert, so der Wissenschaftssprecher des Teams Stronach (TS), Marcus Franz. „In Wahrheit ist das ein Schlag ins Gesicht aller Österreicher, die studieren und sich gerne weiterbilden.“ Für Franz ist damit offensichtlich, dass SPÖ und ÖVP die Wissenschaft nichts wert ist.
NEOS: „Wie Zuchtbulle neben Traktor“
Scharfe Kritik kam auch von NEOS. „Die Zusammenlegung von Wissenschaft und Wirtschaft in einem gemeinsamen Ministerium zeugt entweder von absoluter Unwissenheit, was Wissenschaft braucht und was Wirtschaft ist, oder es herrscht hier in der ÖVP absolute Ignoranz“, so Wissenschaftssprecher Niki Scherak in einer Aussendung. Diese Absicht sei nicht nur eine gefährliche Drohung, sondern auch ein „Schuss ins Knie der universitären Zukunft in Österreich“: „Ich bin fassungslos - das ist, wie wenn man einen Zuchtbullen neben einen Traktor stellt und miteinander vergleicht.“
Keine Kritik von FHs
Anders äußerten sich die Fachhochschulen (FH): Die FH-Konferenz begrüßte ausdrücklich „die so wichtige Erhöhung der Fördersätze und den weiteren Ausbau des Fachhochschulsektors“ im Regierungsprogramm. Die FHs würden sich seit jeher durch ihre enge Verzahnung mit der Wirtschaft auszeichnen, mit den Josef-Ressel-Zentren würden wichtige Projekte bereits jetzt über das Wirtschaftsministerium abgewickelt.
„Dem scheidenden Wissenschaftsminister Dr. Töchterle danken wir für sein Engagement. Wir freuen uns auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem nun auch für Wissenschaft zuständigen Bundesminister Dr. Reinhold Mitterlehner“, so FHK-Präsident Helmut Holzinger. Für den Rektor der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg, Ivo Brunner, ist auch die Absetzung des Wissenschaftsministers eine Enttäuschung - mehr dazu in oesterreich.ORF.at.
Wirtschaftsbund: „Richtiger Schritt“
Einen „richtigen Schritt in eine innovative Zukunft“ sieht auch der ÖVP-Wirtschaftsbund in der Übertragung der Wissenschaftsagenden ins Wirtschaftsressort. „Fakt ist, dass eine erfolgreiche Wirtschaft, nachhaltiges Wachstum und damit auch Arbeitsplätze von fortschrittlichen Technologien und Forschung abhängen. Daher ist es gut und wichtig, dass die Bereiche Wirtschaft und Wissenschaft nun zusammengehören“, so Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner in einer Aussendung. Auch in Deutschland seien die Bereiche Wirtschaft und Technologie in einem Ministerium gebündelt.
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