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Washington fährt große Geschütze auf

Tausende ukrainische Demonstranten stemmen sich gegen den Einfluss aus Moskau. Washington schlägt sich auf ihre Seite - und droht Kiew mit Sanktionen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die USA im Namen der Menschenrechte Strafen verhängen.

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In Kiew verteilte die Europabeauftragte des US-Außenministeriums, Victoria Nuland, erst einmal Weckerln und Kekse. Mit einem Plastiksack voll abgepacktem Gebäck ließ sich die US-Außenpolitikerin zu proeuropäischen Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) führen, die „Gott segne Sie!“ skandierten und über den Besuch der US-Amerikanerin jubelten. Es waren kleine Zuckerbrote, die Nuland den Demonstranten in die Hände drückte, während in Washington fast gleichzeitig die Peitsche ausgepackt wurde.

Alle Optionen seien auf dem Tisch, um Recht und Menschenwürde in der Ukraine walten zu lassen, sagte US-Außenamtssprecherin Jennifer Psaki - und ließ dabei plötzlich auch ein Wort fallen, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Sanktionen.

Department of State Pressesprecherin Victoria Nuland

APA/EPA/Andrew Kravchenko

US-Außenpolitikerin Nuland verteilt Gebäck an Protestierende

„Mögliche Belastungen“

Konkreter wurde sie nicht, doch sie stellte klar, dass die gewaltsame Niederschlagung der Proteste in einer europäischen Demokratie „absolut unzulässig“ sei. Selbst Verteidigungsminister Chuck Hagel warnte seinen ukrainischen Amtskollegen am Telefon vor „möglichen Belastungen“, sollte dieser das Militär gegen die Oppositionellen im eigenen Land einsetzen.

Sanktionen kann vor allem heißen: Einreiseverbote und eingefrorene Guthaben. Vor einem Jahr hatte Präsident Barack Obama etwa den „Magnitsky Act“ unterzeichnet, der Sanktionen wie Kontosperrungen gegen kriminelle russische Beamte vorsieht.

Bangen um Milliardeninvestitionen

Auch gegen Länder wie Kuba, Syrien und den Iran sind Strafmaßnahmen in Kraft, um den USA in Verhandlungen mehr Hebelwirkung zu verschaffen. Die USA fahren schwere Geschütze auf, denn sie wollen ihre eigenen Investitionen ungern im russischen Einfluss versickern sehen. Seit dem Kollaps der Sowjetunion und der ukrainischen Unabhängigkeit haben die Amerikaner mehr als fünf Mrd. Dollar in das osteuropäische Land gepumpt. Mit dem Geld wurden unter anderem Gesetzesvollzug, Wahlrecht, Justizsektor und Geschäftsklima in der jungen Republik am Schwarzen Meer gestärkt. Allein im US-Haushaltsjahr 2013 waren es mehr als 100 Mio. Dollar.

Das Kalkül der USA

Hinter diesen Summen steckt ein klares Kalkül. Denn schafft die Ukraine den langersehnten EU-Beitritt, könnte Kiew ein wichtiger Verbündeter Washingtons werden, um jeden Schritt Moskaus aus nächster Nähe zu verfolgen. Und solange Russland als Schutzmacht für antidemokratische Staaten auftritt und autoritäre Regime fördert, brauchen die USA gerade in der demokratisch instabilen Region Ost- und Südosteuropa jeden Partner, den sie kriegen können. Deshalb muss der Transfer zur Demokratie und einer freien Marktwirtschaft glücken.

Dass sich die USA in Osteuropa einmischen wollen, bereitet dem Kreml Magenschmerzen, was Präsident Wladimir Putin unlängst zu einem Seitenhieb in Richtung US-Regierung veranlasste: „Wir waren immer stolz auf unser Land - wir streben aber nicht an, eine Supermacht zu sein, die etwa Anspruch auf Weltherrschaft erhebt“, sagte der Kreml-Chef in seiner Rede an die Nation. Doch für die USA gilt: Selbst wenn sich die Ukraine nicht als neuer bester Freund am östlichen Rand der EU entpuppt, könnte das Land als Puffer zwischen Russland und dem Westen, der NATO und der EU taugen.

„Schwierige Unterhaltung mit Janukowitsch“

Auch ein gewaltiger Schub für die Wirtschaft steht auf dem Spiel, denn der Beitritt zur EU bedeutete auch den Beitritt zum größten Binnenmarkt der Welt - und verstärkten Handel mit den USA, sobald das geplante EU-US-Freihandelsabkommen steht. Sarkastisch fragte der Historiker Timothy Snyder in der „New York Review of Books“: „Würde irgendjemand irgendwo auf der Welt für ein Handelsabkommen mit den USA hinnehmen, einen Schlagstock auf den Kopf zu bekommen?“

Nuland - und mit ihr die US-Regierung - wird nicht lockerlassen, bis sich die Lage in Kiew entspannt. Zwei Stunden hatte sie mit dem ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch gesprochen, bevor sie Kekse an die Protestler verteilen ging. Eine „schwierige Unterhaltung“ sei das gewesen, klagte sie. Dann verabschiedete sie sich und versprach, zu Hause alles zu berichten, was sie gesehen hatte.

Johannes Schmitt-Tegge, dpa

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