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Reparatur wahrscheinlich

Die seit Jahren heftig umstrittene EU-Vorratsdatenspeicherung von Internet- und Handydaten dürfte fallen. Der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kam am Donnerstag nach Klagen in Irland und Österreich zu dem Ergebnis, dass die Vorratsdatenspeicherung EU-Recht widerspricht.

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Die entsprechende EU-Richtlinie sei unvereinbar mit der Charta der Grundrechte der EU, „da die Einschränkungen der Grundrechtsausübung, die sie aufgrund der durch sie auferlegten Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung enthält, nicht mit unabdingbaren Grundsätzen einhergehen, die für die zur Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihrer Auswertung notwendigen Garantien gelten müssen“, heißt es in dem Gutachten. Auch die vorgegebene Mindestdauer der Speicherung von zwei Jahren verstößt laut Generalanwalt gegen die EU-Grundrechtscharta.

Ein Urteil in der Causa dürfte erst nächstes Jahr erfolgen. Das Gutachten des Generalanwaltes ist für die EU-Richter zwar nicht bindend, aber üblicherweise folgen sie in ihrem Urteil dem Generalanwalt in vier von fünf Fällen. Eine ersatzlose Aufhebung der Datenspeicherung wie von vielen Gegnern gewünscht ist aber mehr als unwahrscheinlich. Realistischer sind wohl eine Verringerung der vorgeschriebenen Mindestspeicherdauer - im Gespräch sind sechs statt 24 Monate - und eine formaljuristiche Änderung der Richtlinie, um den vom Generalanwalt festgestellten Widerspruch zu jenen Bedingungen, unter denen die Grundrechte eingeschränkt werden dürfen (Artikel 52, Abs. 1 der Grundrechtscharta, Anm.), zu reparieren.

In Österreich seit 2012 in Kraft

In der EU sind die Telekommunikationsunternehmen nach den Attentaten von London seit 2006 verpflichtet, Verbindungsdaten ihrer Kunden auch ohne konkreten Anlass oder Verdacht bis zu zwei Jahre lang aufzubewahren, damit Ermittler zur Aufklärung schwerer Verbrechen darauf zugreifen können. Das gibt die EU-Richtlinie von 2006 vor, die von den Staaten national umgesetzt werden muss. In Österreich trat die Richtlinie nach jahrelanger Verzögerung und erst nach einer Verurteilung wegen Nichteinführung im Vorjahr in Kraft.

Die EU-Charta wiederum schützt die Rechte und Freiheiten der Bürger etwa gegen staatliche Eingriffe. Nach Ansicht des Gutachters ist bei der Datenspeicherung nicht sichergestellt, dass die Einschränkung „den Wesensgehalt der Rechte und Freiheiten achtet“ und verhältnismäßig ist. Seiner Auffassung nach sollte die Speicherdauer für die Daten auf unter ein Jahr begrenzt werden. Der Gutachter empfiehlt dem EuGH, die beanstandete Richtlinie in seinem Urteil nicht direkt auszusetzen. Vielmehr sollten die EU-Gesetzgeber ausreichend Zeit erhalten, um „innerhalb eines vernünftigen Zeitraums“ die notwendigen Änderungen vorzunehmen.

Brüssel zu Änderungen bereit

Die EU-Kommission deutete nach der Kritik des Generalanwaltes an, dass sie Änderungen an dem Gesetzeswerk anstrebt. Die Vorratsdatenspeicherung sei insbesondere mit der EU-Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation verknüpft, sagte ein Sprecher der zuständigen EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström am Donnerstag.

Diese Richtlinien seien „verknüpft“, es habe daher keinen Sinn, sie isoliert zu betrachten, sagte der Sprecher. Bereits im Jahr 2011 habe die EU-Kommission Verbesserungen zur EU-Vorratsdatenspeicherung vorgeschlagen. Die EU-Datenschutzreform kommt derzeit allerdings kaum voran. Die bereits zu Jahresbeginn 2012 von EU-Justizkommissarin Viviane Reding vorgelegte Reform soll die geltende EU-Datenschutzrichtlinie ersetzen. Die stammt aus dem Jahr 1995 und somit aus einer Zeit, als weder Soziale Netzwerke ein Massenphänomen noch das Sammeln von Verbraucherdaten durch weltweit vertretene Internetkonzerne ein Milliardengeschäft waren.

11.000 Privatpersonen und Land Kärnten

In Österreich hatten die Kärntner Landesregierung, ein Angestellter eines Telekommunikationsunternehmens sowie insgesamt über 11.000 Privatpersonen vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) die österreichische Regelung beanstandet. Der VfGH bezweifelt, dass die EU-Richtlinie mit der Grundrechtscharta der EU und dem Recht auf Schutz personenbezogener Daten vereinbar ist. Das österreichische Gericht ersuchte daher in dem Rechtsstreit (C-594/12) den EuGH um eine Vorabentscheidung. Die Vorratsdatenspeicherung blieb bis auf weiteres trotzdem in Kraft.

In Irland klagte die Bürgerrechtsorganisation Digital Rights gegen die Vorratsdatenspeicherung (C-293/12). Das Unternehmen macht geltend, die Vorratsspeicherung seiner Kommunikationsdaten sei ungültig. Der irische High Court will vom EuGH wissen, ob die EU-Richtlinie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie mit den Grundrechten auf Privatleben, Schutz personenbezogener Daten, freie Meinungsäußerung und gute Verwaltung vereinbar ist.

Ruf nach „grundlegender Änderung“

Der SPÖ-Europaabgeordnete Josef Weidenholzer, Berichterstatter im EU-Parlament zu diesem Thema, sieht sich in seiner Kritik bestätigt. „Die Entscheidung hat für die Menschen in Europa eine grundsätzliche Bedeutung und zeigt auf, wie fehlgeleitet die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist“, sagte er.

„Die Vorratsdatenspeicherung in der jetzigen Form ist unverhältnismäßig und nicht mit den Grundrechten der Europäischen Union vereinbar. Die anlasslose Massenspeicherung ist zudem ineffizient und trägt keinesfalls zur Aufklärung und Verbrechensbekämpfung bei.“ Die Europäische Kommission sollte die Fehler korrigieren und eine Revision der Richtlinie vorlegen.

Weidenholzer forderte eine „grundlegende Änderung“: Die Kommission solle Mitgliedsstaaten nicht verpflichten, die Vorratsdatenspeicherung einzuführen, „sondern ihnen klare Grenzen vorgeben, was erlaubt ist und was nicht“. Weidenholzer plädierte für eine maximale Speicherfrist von sechs Monaten und eine klare Zweckbegrenzung - nur zur Strafverfolgung und mit richterlicher Genehmigung.

Erfreute Reaktionen

Auch in Österreich gab es mehrere Reaktionen auf die Einschätzung des Generalanwalts. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AKVorrat) - federführend bei der österreichischesn Klage - sieht sich durch den Generalanwalt bestätigt. „Wenngleich nicht pauschal ausgeschlossen wird, dass eine Vorratsdatenspeicherung zulässig sein könnte, enthält der Schlussantrag doch Hinweise, dass der konkrete Nachweis der Notwendigkeit zur Rechtfertigung bislang nicht erbracht wurde“, hieß es in einer Stellungnahme.

AKVorrat sprach von einem Etappensieg. Nun liege „der Ball bei der Politik, ob sie die Pauschalüberwachung der Bevölkerung angesichts der Geheimdienstaffären der letzten Monate noch objektiv begründen kann“, so AKVorrat-Sprecher Thomas Lohninger.

„Rückenwind“ in Kampf für Datenschutz

Auch Verkehrsministerin Doris Bures (SPÖ) und SPÖ-Datenschutzsprecherin Elisabeth Grossmann sprachen von einer „Bestätigung für die österreichische Skepsis“. Der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser betonte, man stehe „knapp vor dem größten Erfolg bei der Durchsetzung elementarster Grundrechte seit langem, wenn der Europäische Gerichtshof der Stellungnahme des Generalanwalts folgt“.

Steinhauser bewertet das als „Rückenwind“ für eine „neue BürgerInnenbewegung, die für Datenschutz kämpft“. Zudem sei es ein „erster bestandener Bewährungstest für die EU-Grundrechtscharta“, so Steinhauser. Team-Stronach-Klubchefin Kathrin Nachbaur begrüßte die Stellungnahme des Generalanwalts und meinte, der gläserne Mensch ohne Wenn und Aber, den die EU allen Bürgern aufgezwungen habe, „muss rasch aus dem nationalen Recht verschwinden“.

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