Fixe Ausgaben und fragliche Einnahmen
Nach der Einigung auf den Koalitionsvertrag werden in Deutschland immer mehr Zweifel an der Finanzierbarkeit der milliardenteuren Ausgabenpläne von Union und SPD laut. Besonders aus Wissenschaft und Wirtschaft kommt teils scharfe Kritik. Stets genannt wird im Zuge dessen ein Reizwort, das niemand hören will: Steuererhöhungen.
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Die Argumentation geht dabei in folgende Richtung: Im Fokus auf die zurzeit gut laufende Konjunktur seien weniger rosige Zeiten bei der Planung nicht berücksichtigt worden. Bereits eine mittelfristige Planung ist de facto kaum möglich - schließlich lassen sich konjunkturelle Entwicklungen, je weiter sie in der Zukunft liegen, nicht voraussagen (ein entsprechendes Problem wurde zuletzt auch in Österreich diskutiert, Anm.) -, vielmehr geht es um Spielräume, die ein Finanzplan für alle möglichen Szenarien mitbringt. Und genau hier setzt die aktuelle Kritik vieler Experten in Deutschland an.
„Schönwetterkoalitionsvertrag“
„Mir scheint, dass dieser Koalitionsvertrag ein Schönwetterkoalitionsvertrag ist“, kritisierte etwa der Geschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, am Donnerstag im ZDF-„Morgenmagazin“. Dieser sei „nicht darauf vorbereitet, dass auch Schwierigkeiten wieder ins Haus stehen können“, sagte er mit Blick auf die derzeit gut laufende Konjunktur. Das Hauptrisiko für die Wirtschaft bestehe bei den Ausgaben. „Die Ausgaben, die beschlossen sind, kommen auf jeden Fall. Nur die Einnahmen kommen nur dann, wenn die Konjunktur wirklich gut läuft“, gibt Wansleben zu bedenken.
„Wahrscheinlich nicht normal zu finanzieren“
Kaum anders lautet das Urteil des Wirtschaftsexperten Michael Bräuninger. Die für die milliardenteuren Vorgaben veranschlagten zusätzlichen 23 Mrd. Euro seien „wahrscheinlich nicht über den Bundeshaushalt normal zu finanzieren“, so Bräuninger, Forschungsdirektor des Hamburgischen WeltWirtschaftsinstituts (HWWI) im Deutschlandradio Kultur. Die Vorhaben würden dann „sicherlich aus Steuererhöhungen oder über Defizite finanziert, oder man muss abwarten, inwieweit die Konjunktur das ermöglicht“, meinte Bräuninger.
Generell mahnte der Wirtschaftsexperte zu mehr Sparsamkeit. „Es ist eigentlich so, dass wir das Ziel haben, in Zeiten guter Konjunktur auch einmal Überschüsse im Bundeshaushalt stehenzulassen, damit man sich auch einmal Defizite leisten kann. Das ist völlig vernachlässigt worden.“ Skepsis äußerte auch der Vorsitzende des Sachverständigenrates der Bundesregierung, Christoph Schmidt in der „Welt“ (Donnerstag-Ausgabe): „Bis zum Jahr 2017 lassen sich die vorgesehenen Mehrausgaben vielleicht finanzieren, ohne Steuererhöhung und ohne neue Schulden ab dem Jahr 2015 - darüber hinaus jedoch nicht.“
„Alles solide gerechnet“
Der amtierende Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wies die breite Kritik zurück. „Wir haben das wirklich alles solide gerechnet“, sagte er am Donnerstag im Deutschlandfunk. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Vorhaben seien „eine vorsichtige, ehrgeizige, aber realistische Planung“, sagte Schäuble. Alle Ausgaben sollen von den jeweiligen Fachbereichen gegenfinanziert werden. Eine Ausnahme seien die „prioritären Maßnahmen“, die sich von 2014 bis 2017 auf 23,06 Milliarden Euro beliefen, so Schäuble.
Gleichzeitig machte er klar, dass eine Erhöhung der Rentenbeiträge künftig unausweichlich sei. „Die Rentenbeiträge werden in der Zukunft irgendwann steigen, weil weniger Jüngere mehr Älteren gegenüberstehen.“ Bereits am Vortag hatte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Zweifel an der Finanzierbarkeit zusätzlicher Milliardenausgaben zurückgewiesen. „Wir haben das alles sehr sorgsam durchgerechnet“, so Merkel.
„Rückwärtsgewandte Weichenstellungen“
Doch Schmidt, Chef der sogenannten Wirtschaftsweisen, warnte zudem vor den Auswirkungen des Koalitionsvertrags auf Wachstum und Beschäftigung. „Je mehr der Mindestlohn greift und je mehr Menschen die neue Rente mit 63 nutzen, desto eher wird das Wirtschaftswachstum zurückgehen“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats dem „Tagesspiegel“ (Donnerstag-Ausgabe). Union und SPD gäben ohne Not ein Stück Flexibilität am Arbeitsmarkt auf, weswegen die bisherigen Prognosen zur Beschäftigung nun alle hinterfragt werden müssten.
Schmidt zeigte sich auch „in großer Sorge“, dass Deutschlands wirtschaftliche Führungsrolle in Europa in Gefahr gerate. Der „Passauer Neuen Presse“ sagte der Wirtschaftsweise: „Es ist jetzt doch so schlimm gekommen wie befürchtet.“ Der Koalitionsvertrag enthalte „rückwärtsgewandte Weichenstellungen auf dem Arbeitsmarkt und bei den sozialen Sicherungssystemen“.
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