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Überraschende Wende

Im Jänner dieses Jahres ist der ehemalige Innenminister Ernst Strasser wegen Bestechlichkeit zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. Nun, fast ein Jahr später, nahm der Rechtsstreit eine überraschende Wende: Der Oberste Gerichtshof (OGH) hob das Urteil erster Instanz auf und wies die Causa ans Erstgericht zurück.

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Die Tatfrage habe das Erstgericht „mängelfrei“ geklärt, erläuterte OGH-Präsident Eckart Ratz in der Urteilsbegründung. Aber das Urteil sei aufzuheben, weil „der Sachverhalt nicht zum rechtlichen Schluss“ passe.

„Anfüttern“ erst seit 2013 strafbar

Denn: Es werde nicht ausreichend dargestellt, ob Strasser den Vorteil - die 100.000 Euro - für ein konkretes Amtsgeschäft, also Einfluss auf ein bestimmtes EU-Gesetz, gefordert hat. Zwar sei es im zweiten Gespräch um eine EU-Richtlinie gegangen. Aber dass Strasser (der Versuche unternahm, diese zu verändern) den „Vorteil“ genau dafür verlangte, geht aus dem Urteil erster Instanz laut Ratz nicht hervor.

Das wäre bei der anzuwendenden Rechtslage 2010 aber nötig gewesen. Denn damals konnten Amtsträger wegen Bestechlichkeit nur verurteilt werden, wenn es um ein konkretes Amtsgeschäft ging. „Anfüttern“ und Ähnliches wurde erst mit dem neuen Korruptionsstrafrecht unter Strafe gestellt, das Anfang 2013 in Kraft trat.

Kein neues Beweisverfahren erforderlich

Die Folge des OGH-Spruchs ist, dass die Causa nun erneut am Straflandesgericht verhandelt werden muss. Der OGH ist keine „Tatsacheninstanz“: Er hat zu entscheiden, ob Urteile rechtmäßig zustande kamen, nicht aber, ob eine Straftat begangen wurde. Da das Gericht den Sachverhalt jedoch von der Erstinstanz als „mängelfrei“ geklärt erachtet, ist ein langwieriges Beweisverfahren mit Aussagen aller Beteiligten in der Neuauflage des Verfahrens nicht mehr nötig.

Anwalt rechnet mit Urteil nach ein, zwei Tagen

Dementsprechend gingen alle Beteiligten davon aus, dass die Neuverhandlung des Falles schnell vor sich gehen dürfte. Ratz sagte, unter Beachtung der Vorgaben des OGH könne die Entscheidung in der Verfahrenswiederholung schnell erfolgen. Strassers Anwalt, Thomas Kralik, ging nach der OGH-Verhandlung davon aus, dass die neue Verhandlung höchstens ein, zwei Tage dauern wird. Auch der neue Prozess wird am Wiener Straflandesgericht stattfinden - jedoch mit neu zusammengesetztem Schöffensenat.

Im Straflandesgericht muss man zunächst warten, bis der Akt - samt Urteil - vom OGH zurückkommt. Dann wird über das elektronische Aktenverteilungssystem der Wirtschaftsrichter bestimmt, der für die Neuauflage zuständig ist. Dieser muss sich einlesen, dann wird die Verhandlung ausgeschrieben, erläuterte Präsident Friedrich Forsthuber - ohne irgendwelche zeitlichen Prognosen abgeben zu können.

Strasser geht wortlos

Kralik begrüßte „glücklich“ und „überrascht“ die OGH-Entscheidung - schon deshalb, weil das Gericht damit bewiesen habe, dass es „trotz aller medialer Vorverurteilung“ nicht der Stimme des Volkes folge. Das zeige, dass „die Justiz und der OGH funktionieren“. Kralik sieht die Ausgangsposition für Strasser jetzt günstiger. Ob er bei der Neuauflage des Verfahrens mit einem Freispruch rechnet, ließ er offen. Strasser selbst hatte am Dienstag vor dem Höchstgericht erneut seine Unschuld beteuert.

Strasser gestand zwar „grobe Fehler“ ein, blieb aber dabei, dass er die ihm vorgeworfene Tat „nicht getan, nicht gewollt und nicht versucht“ habe. Umso mehr habe ihn das Ersturteil in seiner „exzessiven Strenge“ wie „ein Keulenschlag“ getroffen. Seine frühere Rechtfertigung, er habe an eine Geheimdienstverschwörung geglaubt, wiederholte Strasser vor dem OGH nicht. Nach dem Urteil verließ er den Verhandlungssaal wortlos, er bahnte sich ohne einen Kommentar den Weg durch die zahlreich erschienenen Journalisten und Fotografen.

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