Höchstrichter verblüffen mit Aufhebung
Das Verfahren gegen den früheren ÖVP-Innenminister und EU-Abgeordneten Ernst Strasser wegen Vorwürfen der Bestechlichkeit wird neu aufgerollt. In einer gänzlich unerwarteten Entscheidung verwies der OGH die Causa am Dienstag zurück an die erste Instanz. Der Prozess muss von vorne beginnen. Strasser gilt damit weiterhin als unbescholten.
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Mit seiner Entscheidung schlug der OGH einen von niemandem vorhergesehenen Haken. Allgemein war erwartet worden, dass die Höchstrichter der Empfehlung der Generalprokuratur folgen, wonach der im Jänner gefällte Schuldspruch gegen Strasser bestätigt, jedoch die Strafe von vier Jahren unbedingter Haft gemildert wird - möglicherweise bis hin zu einer Fußfessel statt Haft. Selbst Strassers eigener Anwalt argumentierte am Dienstag vor dem OGH vor allem mit „mildernden Umständen“.
„Politisch und gesellschaftlich tot“
Strassers Anwalt Thomas Kralik hatte gegen die erstinstanzliche Verurteilung seines Mandanten sowohl Nichtigkeitsbeschwerde als auch Berufung eingebracht - eine gängige juristische Praxis. In der Nichtigkeitsbeschwerde argumentiert man, das gesamte Verfahren sei fehlerhaft gewesen und deshalb aufzuheben. Als „zweitbeste Lösung“ wird fast immer auch Berufung eingelegt: Damit wird der Urteilsinhalt selbst nicht bekämpft, wohl aber das Strafausmaß.
Kralik hatte wohl nur eine Strafmilderung im Sinn, als er am Dienstag vor dem OGH argumentierte, Strasser sei allein schon durch die öffentliche Wahrnehmung des ersten Prozesses „politisch und gesellschaftlich tot“. Diese „Negativ-Publizität“ hätte vom Erstgericht mildernd berücksichtigt werden müssen, meinte Kralik. Richter Georg Olschak hatte im Jänner im Gegenteil den Strafrahmen hoch angesetzt, weil sich Strasser als EU-Abgeordneter eines besonders verwerflichen Falls von Bestechlichkeit schuldig gemacht habe.
OGH sieht „Undeutlichkeit“ in erster Instanz
Der OGH hob das erstinstanzliche Urteil gegen Strasser jedoch nicht wegen der Nichtigkeitsbeschwerde von Strassers Anwalt auf, sondern aus eigener Entscheidung. Das Erstgericht hatte aus Sicht des OGH nicht ausreichend klargestellt, ob Strasser einen Vorteil - 100.000 Euro jährlich - für ein konkretes Amtsgeschäft gefordert habe. Nach geltendem Recht wäre Strasser wegen „Beeinflussung“ strafbar, betont der OGH. Diese Reform kam für den konkreten Fall aber zu spät.
Vor der erst heuer beschlossenen Neufassung des Korruptionsstrafrechts musste die Verbindung zwischen Bestechung und einem ganz konkreten Amtsgeschäft nachweisbar sein. Genau der Umstand, dass das auch Möglichkeiten zur Verschleierung und straffreien Korruption eröffnete, hatte zur Reform geführt: „Anfüttern“ und Ähnliches wurde erst nach den Vorgängen im November und Dezember 2010, als Strasser mit vermeintlichen Lobbyisten konferierte, verboten.
Neuverhandlung dürfte nicht lange dauern
In seiner Urteilsbegründung erklärte OGH-Präsident Eckart Ratz, der OGH müsse in seiner „Rechtswahrerfunktion“ ein Urteil von Amts wegen aufheben, wenn „der Sachverhalt nicht zum rechtlichen Schluss passt“. Zugleich stellte Ratz klar: Der Sachverhalt sei vom ersten Gericht „mängelfrei“ geklärt worden. In anderen Worten: Ein langwieriges Beweisverfahren mit Aussagen aller Beteiligten ist in der Neuauflage des Verfahrens nicht mehr nötig.
Dementsprechend gingen alle Beteiligten davon aus, dass die Neuverhandlung des Falles schnell vor sich gehen dürfte. Ratz sagte, unter Beachtung der Vorgaben des OGH könne die Entscheidung in der Verfahrenswiederholung schnell erfolgen. Strassers Anwalt Kralik ging nach der OGH-Verhandlung davon aus, dass die neue Verhandlung höchstens ein, zwei Tage dauern wird. Auch der neue Prozess wird am Wiener Straflandesgericht, jedoch mit neu zusammengesetztem Schöffensenat, stattfinden.
Strasser geht wortlos
Kralik begrüßte „glücklich“ und „überrascht“ die OGH-Entscheidung - schon deshalb, weil das Gericht damit bewiesen habe, dass es „trotz aller medialer Vorverurteilung“ nicht der Stimme des Volkes folge. Das zeige, dass „die Justiz und der OGH funktionieren“. Kralik sieht die Ausgangsposition für Strasser jetzt günstiger. Ob er bei der Neuauflage des Verfahrens mit einem Freispruch rechnet, ließ er offen. Strasser selbst hatte am Dienstag vor dem Höchstgericht erneut seine Unschuld beteuert.
Strasser gestand zwar „grobe Fehler“ ein, blieb aber dabei, dass er die ihm vorgeworfene Tat „nicht getan, nicht gewollt und nicht versucht“ habe. Umso mehr habe ihn das Ersturteil in seiner „exzessiven Strenge“ wie „ein Keulenschlag“ getroffen. Seine frühere Rechtfertigung, er habe an eine Geheimdienstverschwörung geglaubt, wiederholte Strasser vor dem OGH nicht. Nach dem Urteil verließ er den Verhandlungssaal wortlos, er bahnte sich ohne einen Kommentar den Weg durch die zahlreich erschienenen Journalisten und Fotografen.
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