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„Friede den Hütten!“

Georg Büchner als umtriebig zu bezeichnen, wäre eine grobe Untertreibung. Büchner war angehender Wissenschaftler, Autor und Revolutionär. Am 17. Oktober vor 200 Jahren kam er in Hessen zur Welt, am 19. Februar 1837 verstarb er im Züricher Exil im Alter von nur 23 Jahren an Typhus.

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Büchner wuchs wohlbehütet als Sohn eines gutbürgerlichen Arztes auf. Die Revolution war ihm also nicht in die Wiege gelegt - aber sie war in Mode während der Zeit des Vormärz. Die Nachwehen der Französischen Revolution waren allerorten zu spüren - auch im Großherzogtum Hessen. Dort waren die Volksvertreter nicht vom Volk gewählt - und die Opposition war zwar liberal, aber in erster Linie im Sinne von wirtschaftsliberal.

Die aufkeimende Demokratie nach dem Vorbild der USA galt dem jungen Büchner als Ideal, wie Jan-Christoph Hauschild in seinem neuen Buch „Georg Büchner. Verschwörung für die Gleichheit“ schreibt. Schon als Schulbub hatte er sich für Cato begeistert, der gegen Cäsar kämpfte und lieber starb, als sich und sein Volk in Unfreiheit zu wissen. Was die liberale Opposition wollte, war Büchner schon im Alter von 19 Jahren zu wenig. Es interessierte ihn nicht, den Einfluss des Adels zugunsten des Großbürgertums zu beschneiden. Er forderte Gleichheit für alle und meinte damit eine tatsächliche Gleichheit an materiellem Reichtum.

Demokratischer Kommunismus

Büchner verließ seine Heimat und belegte Medizin an der Universität im nahen Straßburg, wo er bei einer Pfarrersfamilie lebte und sich heimlich mit der Tochter des Hauses verlobte. Nach zwei Jahren war jedoch Schluss - länger durfte man nicht im Ausland studieren. Als Büchner, den Kopf voller revolutionärer Ideen, nach Hessen zurückkehrte, musste er schnell merken, dass es dort keinen Raum gab, wo sie sich entfalten konnten - noch keinen. Deshalb gründete Büchner selbst die im Untergrund agierende „Gesellschaft für Menschenrechte“ nach französischem Vorbild.

Viele Mitglieder hatte der Trupp zunächst nicht, er rekrutierte sich hauptsächlich aus persönlichen Freunden aus Büchners Umfeld, also Studienkollegen und ehemaligen Schulkameraden. Das Ziel war kein geringeres als der Umsturz, um mit den herrschenden Verhältnissen aufzuräumen und eine Art demokratischen Kommunismus - freilich noch etwas nebulös und nicht im Detail ausgearbeitet - einzuführen.

Verbündeter und Widersacher zugleich

Hochverrat war eines der am strengsten geahndeten Verbrechen, Büchner und seine Mitstreiter mussten viel Energie dafür aufwenden, nicht entdeckt zu werden. Dennoch nahm man Kontakt mit ähnlich gesinnten Gruppen auf. Tonangebend war in der widerständigen Szene Hessens damals Friedrich Ludwig Weidig, ein Theologe und Lehrer, der bis heute als einer der maßgeblichen Protagonisten des Vormärz und Wegbereiter der Revolution von 1848 gilt. Er wurde mit seinen Schülern zu Büchners wichtigstem Verbündeten - und gleichzeitig zum Widersacher.

Der Liberaldemokrat auf der einen, der Kommunistenvorläufer auf der anderen Seite - das ging nicht gut. Aber Weidig hatte im Untergrund eine Infrastruktur geschaffen, auf die Büchner mit seinem kleinen Häufchen an Anhängern nicht verzichten konnte. Als er ein Flugblatt verfasst hatte, das den Anstoß für die heiß ersehnte Revolution geben sollte, wandte er sich an Weidig, dessen Kreis über eine Druckerei und Vertriebsmöglichkeiten verfügte.

Pamphlet gegen die „Blutsauger“

Dem Text war ein Spruch vorangestellt, der bis heute von revolutionären Kräften gerne zitiert wird: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ Tausende Exemplare sollten in weiten Teilen Hessens vor allem an die Bauern verteilt werden und diese aus ihrer, wie Büchner meinte, Lethargie reißen und ihnen zeigen, dass die Ungleichheit und Ungerechtigkeit nicht gottgewollt seien und man sie beenden könne, wenn man nur zusammenhalte.

Nicht von ungefähr verwendete Büchner Bibelzitate und Bilder aus der Welt der Bauern: „Der Bauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter ihm und dem Pflug und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und lässt ihm die Stoppeln.“ Und: „Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Presser, die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen und durch eure Arme, die ihr ihnen willenlos leihet. Ihrer sind vielleicht 10.000 im Großherzogtum und eurer sind es 700.000, und also verhält sich die Zahl des Volkes zu seinen Pressern auch im übrigen Deutschland.“

Als sich die Schlinge zuzog

Zwischen Weidig und Büchner kam es fast zum Bruch, weil Ersterer vor dem Druck noch viel an Büchners Text des „Hessischen Landboten“, wie die Publikation betitelt wurde, verändert hatte. Weidig hatte ihn entschärft, weil er die liberale Opposition der Großbürger nicht vergraulen wollte. Aus dem Wettern gegen „Reiche“ machte er eines gegen „Vornehme“, weil er nicht wollte, dass sich die zum Reichtum gelangten Mitglieder der liberalen Opposition vor einer Revolution fürchten mussten. Büchner war zutiefst erbost.

Der „Landbote“ wurde ihnen schließlich aber zum Verhängnis, weil es einen Verräter unter Weidigs engsten Vertrauten gab. Viele Exemplare wurden abgefangen, Mitstreiter Büchners festgenommen, er selbst wurde verhört, sein Zimmer durchsucht und versiegelt. Es folgten gescheiterte Befreiungsversuche der Inhaftierten, noch eine zweite Ausgabe des „Landboten“ - und schließlich zog sich die Schlinge um Weidig und Büchner zu.

Buchhinweis

Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchner. Verschwörung für die Gleichheit. Hoffmann und Campe, 352 Seiten, 23,70 Euro.

„Stirne: sehr gewölbt“

Gegen Büchner wurde ein Haftbefehl erlassen - er setzte sich jedoch zuerst nach Straßburg und später nach Zürich ab, während Weidig sich weigerte zu fliehen und in der Haft ums Leben kam - man geht von Suizid aus. Büchner wurde polizeilich gesucht - in dem entsprechenden Steckbrief, von einer Zeitung veröffentlicht, wurde er wenig schmeichelhaft so beschrieben: „Alter: 21; Größe: sechs Schuh, neun Zoll neuen hessischen Maßes; Haare: blond; Stirne: sehr gewölbt; Augenbrauen: blond; Augen: grau; Nase: stark; Mund: klein; Bart: blond; Kinn: rund; Angesicht: oval; Gesichtsfarbe: frisch; Statur: kräftig, schlank; besondere Kennzeichen: Kurzsichtigkeit.“

Von „Dantons Tod“ bis „Woyzeck“

Hauschild schreibt in seinem Büchner-Buch, dass die revolutionäre Energie Büchners sich nach dessen Flucht in andere Bereiche kanalisierte. Büchner reüssierte im Studium, eine hervorragende akademische Karriere wäre ihm bevorgestanden. Und vor allem wandte er sich dem Schreiben zu. Sein erstes Drama schrieb er sogar noch kurz vor der Flucht - in nur fünf Wochen entstand „Dantons Tod“, ein während der französischen Revolution angesiedeltes Stück. Im Mittelpunkt des Dramas steht - wie könnte es anders sein - die Abrechnung mit den großbürgerlichen Revolutionsgewinnlern.

Nach „Lenz“, Büchners einziger Prosaarbeit, in der er sich mit dem von einer psychischen Krise geschüttelten Sturm-und-Drang-Dichter Jakob Reinhold Lenz auseinandersetzt, folgte 1836 „Leonce und Lena“, ein sozialkritisches Lustspiel. Sein letztes, unvollendet gebliebenes Drama, „Woyzeck“, sollte schließlich den Weltruhm Büchners begründen - allerdings lange nach dessen Tod. Darin schildert Büchner, wie ein Mann aus dem Volk aufgrund seiner erbarmungswürdigen Lebensumstände zum Mörder seiner Geliebten wird.

Letzte Tage im Delirium

Viele Details aus Büchners Leben sind durch Briefe überliefert. Briefe Büchners, solche, die er erhalten hat, und schließlich noch einige, in denen er erwähnt wird. Büchner muss eine beeindruckende Persönlichkeit gewesen sein. Noch an seinem Sterbebett hielten zahlreiche Freunde über eine Woche lang bei ihm Wache, während er nur noch fantasierte.

Wenige Tage vor seinem Tod versuchte Büchner zu fliehen, weil er glaubte, in Darmstadt zu sein und kurz vor der Verhaftung zu stehen. Ein Freund hielt seine Worte fest: „In jener französischen Revolution, die wegen ihrer Grausamkeit so verrufen ist, war man milder als jetzt. Man schlug seinen Gegnern die Köpfe ab. Gut! Aber man ließ sie nicht jahrelang hinschmachten und hinsterben.“ Seine Verlobte, die inzwischen nach Zürich gekommen war, konnte ihn noch einmal beruhigen. Als Büchner schließlich starb, hinterließ er durch seinen vielgestaltigen Kampf für Gerechtigkeit trotz junger Jahre ein gewaltiges Erbe.

Simon Hadler, ORF.at

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