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Inspiration in europäischer Tradition

Benjamin Britten gilt als einer der bedeutendsten Komponisten, Pianisten und Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Äußerlich ein „typischer Engländer“ mit Tweedsakko, Cordhosen und Krawatte, aber im Inneren ein Musiker und Komponist, der seine Inspiration in der spätromantisch-modernen Tradition von Richard Wagner, Gustav Mahler, Richard Strauss und Alban Berg fand - so wird er oft beschrieben.

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Obwohl sein Werk unverkennbar von seiner Heimatgrafschaft Suffolk an der Nordseeküste Südostenglands geprägt ist, schaute Britten stets aufs europäische Festland und nach Amerika, wo er sich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs aufhielt. Nationale Merkmale und patriotische Töne, wie zum Beispiel in der Musik von Edward Elgar und Vaughan Williams, sind bei Britten nicht zu finden. „Britten war absolut entschlossen, die damals in Großbritannien geltenden Standards von Komposition und Aufführung anzuheben. Und das hat er getan“, sagte sein Biograf, der australische Musikwissenschaftler und Dirigent Paul Kildea, der Nachrichtenagentur dpa.

Von Lowestoft auf den Kontinent

Britten wurde vor 100 Jahren, am 22. November 1913, in dem Fischereihafen Lowestoft als jüngstes von vier Kindern geboren. Sein Vater war Zahnarzt, seine Mutter förderte schon früh das musikalische Talent ihres jüngsten Sohnes. Hausmusik und Gesang gehörten zum Alltag - der junge Britten erlernte das Klavierspiel und komponierte schon als Kind eifrig. Bereits als Schüler studierte Britten bei dem britischen Komponisten Frank Bridge, der seinen weiteren beruflichen Werdegang maßgeblich beeinflusste. Es folgte ein Musikstudium am Londoner Royal College of Music. Über Bridge wurde Britten schon als Teenager mit „modernistischen Vorstellungen von Musik und Komposition konfrontiert“, so Kildea.

Der Durchbruch für Britten aber kam 1934, als er als 21-Jähriger unter anderem Italien, Österreich und Deutschland bereiste und in Florenz die Uraufführung seines Oboenquartetts „Phantasy“ erlebte. Sein erster Besuch bei den Wiener Philharmonikern und das Hören von „echtem Operngesang“ waren für Britten so etwas wie ein Aha-Erlebnis. Seine Instinkte wurden bestätigt.

Gründer des Aldeburgh Festivals

„Von da an versuchte er, fast so wie ein kontinentaleuropäischer Komponist zu leben“, so Kildea. Der Besuch von Musikfestivals weckte bei Britten ferner das Verlangen nach der Gründung seines „eigenen“ Festivals in Großbritannien: Gemeinsam mit seinem Lebenspartner, dem Sänger Peter Pears, gründete Britten 1948 das Aldeburgh Festival, so benannt nach dem Küstenstädtchen Aldeburgh in Suffolk, wo Britten und Pears lebten und wirkten.

Homosexualität und Pazifismus

Dazwischen lagen aber Jahre, die für Britten ebenso bedeutend waren. Zusammen mit Pears kehrte der pazifistisch gesinnte Britten zwischen 1939 und 1942 England den Rücken und lebte in den USA. Seine - damals noch strafbare - homosexuelle Beziehung mit Pears und seine Opposition zum Krieg hatten das Leben in England nicht leicht gemacht. In den USA erlebte Britten einen Aufschwung. Die Begegnung mit jüdischen und nicht jüdischen Emigranten aus Kunst, Musik und Malerei - Britten lebte in New York unter anderem in einem Haus mit Golo Mann, Alma Mahler und Salvador Dali - bestärkten Britten in der internationalen Sichtweise seines Schaffens.

In Großbritannien, wo er nach seiner Rückkehr als Kriegsdienstverweigerer vom Militärdienst zurückgestellt wurde, wurde Brittens bedeutendstes Werk, die Oper „Peter Grimes“, bei seiner Uraufführung im Juni 1945 stürmisch gefeiert. Es folgte eine Reihe wichtiger Werke, darunter die Opern „Gloriana“ (1953) und „Death in Venice“ sowie das berühmte „War Requiem“, uraufgeführt 1962 bei der Einweihung der neugebauten Kathedrale von Coventry, die im Zweiten Weltkrieg von den Deutschen bei einem Luftangriff zerstört worden war. Symphonien, Chorwerke, Lieder, Kantaten und Volkslieder gehörten zu Brittens umfassendem Repertoire.

Das „Red House“

Britten, der 1976 im Alter von 63 Jahren starb, ist neben seinem 1986 verstorbenen Lebensgefährten Pears auf dem Friedhof von Aldeburgh begraben. Nur wenige Kilometer entfernt, im „Red House“, wo Britten und Pears lebten, ist ein umfassendes Archiv von Brittens Werken und Korrespondenzen entstanden, das als das größte musikalische Archiv der Welt gilt. Besucher können die Wohnräume und das Studio des höchst produktiven Komponisten besichtigen, dessen Blick vom Flügel aus über die von ihm so geliebte Landschaft glitt.

Anna Tomforde, dpa

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