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„Konspiratives Denken ist amerikanisch“

Vor 50 Jahren wurde US-Präsident John F. Kennedy ermordet. Auch heute noch glauben viele US-Amerikaner nicht an die offizielle Version des Schussattentates. So wird die Annahme, dass Kennedys Mörder Lee Harvey Oswald ein Einzeltäter war, von unzähligen Verschwörungstheorien infrage gestellt.

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Zu den am häufigsten auftauchenden Thesen gehören wahlweise ein Komplott des US-Geheimdienstes CIA oder der Mafia, eine Anordnung zur Ermordung durch den kubanischen Revolutionsführer Fidel Castro, oder gar durch Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson. Aber auch Spekulationen über einen Mordanschlag des russischen Geheimdiensts KGB oder ein Komplott um die US-Notenbank Fed und eine skurrile UFO-Theorie, wonach Kennedy ermordet wurde, weil er sich zu sehr für Außerirdische interessierte, machten die Runde.

Die Limousine mit dem angeschossenen Präsidenten Kennedy auf der Rückbank von hinten fotografiert

AP/James W. Ike Altgens

Die Limousine kurz nach dem Schussattentat

Oswald: „Ich habe niemanden umgebracht“

Einer aktuellen Umfrage zufolge glauben bis heute mehr als die Hälfte der US-Bürger an eine Verschwörung. Aspekte rund um den Tathergang, die auch nach zahlreichen Untersuchungen ungeklärt blieben, bieten weiterhin schier endlosen Stoff für wilde Spekulationen über Kennedys Tod. Nach dem Attentat machten sich zudem Hunderte Buchautoren und Dokumentarfilmer, aber auch Hollywood-Regisseure auf die Suche nach „den wahren Hintergründen“ rund um den Tod des beliebten US-Präsidenten.

US-Präsident John F. Kennedy und Ehefrau Jacqueline bei ihrer Ankunft in Dallas 1963

Reuters/JFK Library/The White House/Cecil Stoughton

US-Präsident John F. Kennedy und seine Ehefrau Jacqueline bei ihrer Ankunft in Dallas im Jahr 1963

„Ich habe niemanden umgebracht“, sagte Oswald kurz nach seiner Verhaftung gegenüber Reportern. Er bestritt bis zu seinem Tod zwei Tage später, dass er an der Ermordung Kennedys beteiligt gewesen sei. Das gefundene Beweismaterial sprach jedoch gegen ihn. Auf der Tatwaffe, die im Texas School Book Depository gefunden wurde, fand die Polizei seine Fingerabdrücke. Als Mitarbeiter des Depots konnte er den Tatort ohne Probleme betreten und verlassen. Oswald wurde eineinhalb Stunden nach dem Attentat in einem Kino festgenommen, nachdem er den Streifenpolizisten J. D. Tippit während seiner Flucht erschossen hatte.

„Mächtige Personen“ im Hintergrund

Ein wirklich stichhaltiges Motiv Oswalds fehlte allerdings. Die psychischen und privaten Probleme des früheren Marineinfanteristen, der zeitweise in der Sowjetunion gelebt hatte, waren für viele Amerikaner keine befriedigende Erklärung. Nachdem der Nachtclubbesitzer Jack Ruby, dem Verbindungen zur Mafia nachgesagt wurden, Oswald ermordet hatte, heizte er mit einem Statement die Gerüchteküche weiter an. Wenn die Welt die wahren Hintergründe zu den dramatischen Ereignissen wissen wolle, müsse man ihn nach Washington bringen, sagte er bei einer Pressekonferenz. „Hier“ könne er nicht reden und verwies auf ominöse „mächtige Personen“, die ihn daran hinderten.

Kommission belegt Einzeltäterthese

Bereits kurz nach dem Attentat räumten Medien den Verschwörungstheorien umfassenden Platz ein. Kennedy-Nachfolger Johnson stand immer mehr unter Druck, das Attentat aufzuklären. Eine Woche nach dem Tod des Präsidenten setzte er eine parlamentarische Untersuchungskommission unter der Leitung des obersten US-Bundesrichters Earl Warren ein.

Kennedy-Nachfolger  Lyndon Baines Johnson legt den Amtseid ab

Reuters/JFK Library/Cecil Stoughton/The White House

Kennedy-Nachfolger Lyndon Baines Johnson legt den Amtseid ab

Die Warren-Kommission durchstöberte etwa 20.000 Seiten an FBI-Vernehmungsprotokollen und befragte mehr als 500 Zeugen. Ergebnis der Untersuchungen war, dass die Schüsse auf Kennedy von Oswald abgegeben wurden. Zudem wurde festgestellt, dass weder Oswald noch Ruby an Verschwörungen irgendeiner Art beteiligt waren. Für die Kommission und den neuen Präsidenten Johnson war die Einzeltäterschaft Oswalds damit bewiesen.

Racheplan der CIA?

Die Arbeit der Verschwörungstheoretiker begann damit allerdings erst richtig. Denn die zentrale Frage nach dem Tatmotiv Oswalds konnte auch die Warren-Kommission nicht überzeugend beantworten. Ein Präsident der Weltmacht USA, so wurde gemunkelt, dürfe nicht einfach so von einem unscheinbaren Mann umgebracht werden, es müsse etwas Größeres dahinter stecken - das könne auch bedeuten, dass hinter dem Täter der eigene Inlandsgeheimdienst CIA stecke.

Folgerichtig taucht der Geheimdienst in beinahe jeder Verschwörungstheorie um Kennedys Tod auf. Auch Secret Service, Bundespolizei FBI und Pentagon werden immer wieder genannt. Zahlreiche Verschwörer glauben, dass die CIA sich für die gescheiterte Invasion in der Schweinebucht auf Kuba rächen wollte. Kennedy hatte die Operation, die zum Sturz Castros führen sollte, gegen den Willen der CIA abgebrochen. Eine weitere Theorie lautet, dass die CIA einen Angriff auf Kuba mit einem misslungenen Attentat anzetteln wollte. Die Agenten wollten danebenschießen, trafen Kennedy aber versehentlich am Kopf.

KGB und mafiöse Verstrickungen

Der Kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR diente vielen allerdings auch als schlüssiger Beleg für die Annahme, dass der russische Geheimdienst KGB den Mord Kennedys in Auftrag gab. Zudem lebte der Schütze Oswald zwei Jahre in der Sowjetunion, hatte eine russische Frau und pflegte Kontakt zu sowjetischen Diplomaten. Bis heute kursiert die Theorie, dass ein Geheimdienstler Oswald als KGB-Agent anheuerte und ihn auf den US-Präsidenten ansetzte.

Lee Harvey Oswald

AP

Der Todesschütze Lee Harvey Oswald

Unter Konspirationisten gehört außerdem die Mafia-Theorie zu den populärsten. Führende Mafia-Bosse sollen wütend gewesen sein auf Kennedy, der das FBI härter gegen das organisierte Verbrechen der Mafia durchgreifen ließ. Der Attentäter Oswald soll zudem selbst Verbindungen zu mafiösen Kreisen gepflegt haben. Und auch Oswalds Mörder Ruby soll von der Mafia geschickt worden sein, um zu verhindern, dass der Coup letztlich ans Licht kommt.

Bizarre Theorie um fliegende Untertassen

Bei Verschwörungstheoretikern immer hoch im Kurs stehen fliegende Untertassen. Für konspirative Kreise war es da möglicherweise naheliegend, auch den Kennedy-Mord mit einem unbekannten Flugobjekt zu verbinden. Laut der UFO-Theorie war der wahre Hintergrund für das Attentat auf den damaligen US-Präsidenten Kennedys Interesse an Außerirdischen.

Demnach habe der Präsident gedroht, geheime Programme der CIA aufzudecken. Als „Beweis“ gilt den Verfechtern der These unter anderem ein vermeintlicher Brief Kennedys an die CIA, in dem er zehn Tage vor seinem Tod geheime UFO-Unterlagen verlangt. Dazu soll ein Schreiben des CIA-Direktors passen, der erklärt, die vertraulichen Papiere nicht weitergeben zu können.

„Rationale Erklärungen werden verschmäht“

Eine endgültige Erklärung für den Mord an Kennedy, die auch sämtliche Verschwörungstheoretiker zufriedenstellt, wird es wohl auch in Zukunft nicht geben. Die dadurch bleibende Lücke mit Verschwörungstheorien zu füllen sei wohl zutiefst amerikanisch, glaubt der österreichische Historiker Günter Bischof, der seit einigen Jahren in den USA forscht und lehrt. „In der amerikanischen Geschichte ist konspiratives Denken ein Grundzug in der Bevölkerung“, sagt Bischof laut der APA.

Immer wenn Ereignisse passierten, die zu groß und überwältigend seien, um sie unmittelbar zu begreifen, wolle ein Teil der US-Bevölkerung sie einfach nicht wahrhaben. „Rationale Erklärungen des Geschehens werden verschmäht.“ Dasselbe Muster wie beim Kennedy-Attentat gelte auch bei Ereignissen wie dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor 1941 und den Anschlägen vom 11. September 2001, sagte Bischof. Viele US-Bürger wollten einfach nicht wahrhaben, dass Anschläge gegen so eine „Ausnahmenation“ erfolgreich sein könnten.

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