Selbst gewähltes Star-Prekariat
Amanda Palmer ist eine erfolgreiche Sängerin. Noch mehr macht sie allerdings durch die rege Teilnahme am öffentlichen Diskurs von sich reden. Ihre aktionistischen und musikalischen Kommentare zum Musikbusiness und zu feministischen Themen sind durchdacht und bissig. Im Interview mit ORF.at erzählt Palmer, wie sie (kritische) Theorie und Praxis (als Star) miteinander in Einklang bringt.
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Palmer war mit ihrer Band The Dresden Dolls auf dem Weg zu Weltruhm. Nicht nur im Hipster-Universum, sondern auch in den Charts. Reichtum, echtes Star- und Promileben waren in Griffweite. Ihr Song „Coin Operated Boy“ lief im Radio, hierzulande kennt man ihn aus der Darbo-Werbung. Weil sie jedoch ihren Vertrag mit Roadrunner Records als unfair und einschränkend empfand, sekkierte sie die Plattenfirma so lange mit provokanten Songs und Statements, bis sie rausgeschmissen wurde.
Was folgte, war die erfolgreichste Kickstarter-Kampagne aller Zeiten: Ihr letztes Soloalbum „Theatre is Evil“ ließ sich Palmer von Fans vorfinanzieren, sie nahm damit 1,2 Millionen Dollar ein. Sie bot signierte CD- und Vinyl-Versionen an, Auftritte bei Privatpartys und alle möglichen Devotionalien. Nun zieht sie Bilanz: „Rein finanziell habe ich Verluste gemacht. Die Band kostet etwas, die Angestellten, die ganze Maschinerie muss laufen, sonst wird so ein Kickstarter nichts. Aber: Ist meine Karriere gewachsen - und mache ich heute und in Zukunft wegen des Kickstarters mehr Geld, als ich sonst gemacht hätte? Ja!“

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Amanda Palmer beim Soundcheck im Porgy und Bess
Die nicht so gute Idee mit „free shipping worldwide“
Sprich: Die ganze Sache war ein PR-Erfolg und band Fans an sie. Palmer ist freilich selbst schuld, dass das Geld versickerte, und gibt das auch lachend zu. Ohne nachzurechnen hatte sie beim CD-Versand „free shipping worldwide“ dazugeschrieben und gedacht, die paar CDs, die man ans Ende der Welt schickt - das kann nicht so viel ausmachen. Weit gefehlt. Die Postgebühren fraßen mehr als ein Viertel des Kickstarters auf, also über 300.000 Dollar, Kosten, die sie so gut wie gar nicht einkalkuliert hatte.
Amanda Palmer in Wien
Amanda Fucking Palmer (so nennt sie sich selbst) trat in der Nacht auf Freitag im Rahmen des Blue Bird Festivals im Wiener Porgy und Bess auf. Der Abend war ausverkauft, das Publikum tobte. „Coin Operated Boy“, viele Geschichten, eine Ukulele, mit der man die Welt retten kann, und am Ende, weit nach Mitternacht, mit allen Künstlern des Festivalabends gemeinsam „Walk On The Wild Side“: Palmers letztes Konzert vor einer langen, langen Pause feierte sie frenetisch und glücklich mit einem ebensolchen Publikum.
Mini-Gig beim Fan im Heustadel
Und dann die Auftritte bei Fans zu Hause für 5.000 Dollar: Einige Mini-Gigs in Australien waren dabei, dann weit draußen in Kanada, sogar tief in der Natur Norwegens und einer in Tel Aviv. Ist der Preis für Selbstvermarktung ohne Plattenfirma die totale Selbstaufgabe? Rund um die Uhr auf Social-Media-Plattformen mit Fans kommunizieren, zu ihnen nach Hause fahren, dann permanent auf Tour sein und sich auch noch um die Verwaltung kümmern?
„Ja“, sagt Palmer, „das ist tatsächlich wahnsinnig anstrengend. Aber ich will es nicht anders.“ Die mittlerweile 29 Privatpartys bei Fans nennt sie einen vollen Erfolg - weil sie so unendlich viel Spaß gemacht hätten. Palmer sprudelt vor Begeisterung über, wenn sie von letzter Woche erzählt. Ein deutsches Mädel hätte die 5.000 Dollar bezahlt, und Palmer habe dann bei ihr im Heustadel auf dem Bauernhof gespielt, mit einem Haufen verrückter Freunde des Fans aus halb Europa. Jeder habe Schnaps aus seiner Heimat mitgehabt, es habe ein paar Gitarren gegeben, und alle hätten bis in die Morgenstunden besoffen miteinander gesungen und gefeiert.

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Klassischer Kalvierunterricht, Kirchenchor - und dann das ...
„Ich könnte ein leichteres Leben haben“
Also keine Burn-out-Gefahr im selbst gewählten Star-Prekariat? „Ich weiß, dass ich ein leichteres Leben haben könnte, ein normaleres Leben und mehr Geld. Aber es geht mir nicht um die Villa, um Juwelen und um Autos. Das macht mich nicht glücklich. Was mich glücklich macht, ist der Kontakt mit Menschen. Wenn ich mich entscheiden kann, in einer Villa zu sitzen oder gemeinsam mit einem Haufen cooler Leute in einer abgefuckten Wohnung, entscheide ich mich klar für Letzteres.“
Trotzdem ist sie bis heute sauer, dass die Plattenfirma einen guten Teil der Tantiemen für „Coin Operated Boy“ einstreift - und das bis in alle Ewigkeit tun wird. Zerstritten hat sich Palmer mit Roadrunner aber auch wegen eines Videos. Sie wollte darin halbnackt auftreten. Das wurde ihr verboten, weil ihre Figur nicht mädchenhaft mager genug sei. Die Normung des Körpers der Frau ist Palmers zweites Kampfgebiet.
Feministinnen, die sich rasieren
In ihrem Song und vor allem im himmelschreiend komischen Video „Map of Tasmania“ macht sie sich beispielsweise darüber lustig, dass Frauen untenrum und überhaupt überall rasiert sind, um Männern zu gefallen. Was ist so schlecht daran? Schlecht daran sei, so Palmer, dass selbst Feministinnen sich rasierten und behaupteten, das sei nur, weil „es angenehmer sei“, was auch immer das heißen solle.
Frage man genauer nach, stelle sich heraus: Auch sie rasieren sich, weil sie sonst wegen haariger Beine auf der Straße von Kindern auf den Arm genommen würden und sich blöde Meldungen von Männern im Bett anhören müssten. Rasieren, so Palmer, finde sie ab dem Moment okay, ab dem man sich als Frau genauso frei dafür oder dagegen entscheiden könne wie ein Mann.

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„Fuck it“ - und das ganze Publikum brüllt mit - beiderseits mit Augenzwinkern
Miley Cyrus’ Drang zur Nacktheit
Um die Freiheit ging es Palmer auch, als sie sich letztens in den mittels offener Briefe geführten Krieg zwischen der älteren Sinead O’Connor und der jüngeren Miley Cyrus einmischte. Der ehemalige „Hannah Montana“-Star Cyrus tritt in letzter Zeit bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit halb oder ganz nackt auf. O’Connor warnte sie davor, sich und ihren Körper im Namen der Plattenfirmen zu verkaufen. Cyrus reagierte sinngemäß mit: „Fuck off, du psychisch gestörte Oma.“
Palmer wiederum versuchte die von ihr geschätzte O’Connor davon zu überzeugen, dass diese falsch liege. Wenn Cyrus nackt herumlaufen wolle, tue sie das aus eigenem Antrieb, sie sei erwachsen und dürfe tun, was sie wolle. Aber zieht sich Cyrus nicht nur deshalb aus, weil sie im Herzen des ausbeuterischen Popbusiness aufgewachsen ist - und ihr nun das Ausziehen nicht einmal mehr angeschafft werden muss? „Sicher, sie sitzt in einem Käfig und schreit von innen nach draußen. Aber die Lösung kann nicht sein, dass sie einfach nicht mehr schreien darf“ - mehr dazu in fm4.ORF.at.

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Ins Porgy und Bess steckte man für Palmers Konzert gefühlte 10.000 Gäste
Das Recht, sich öffentlich zu entkleiden
Auf das Recht, sich auszuziehen, will auch Palmer selbst nicht verzichten. Nachdem die „Daily Mail“ ein Foto veröffentlichte, das ihren Busen zeigt, der beim Glastonbury Festival aus seinem Halter gerutscht war, schlug Palmer in typischer Manier zurück: Sie schrieb für das nächste große Konzert in Großbritannien einen „Daily Mail“-Verarschungssong und trug ihn splitternackt vor.
Musik, sagt Palmer, sei unheimlich gut, um Wut auszuleben. Und Musik habe Macht. Zu ihren großen Einflüssen schon als Teenager habe amerikanischer Folk gehört - und Kurt Weill. Protestsongs würden viel mehr bewirken als ein Statement oder ein Eintrag im Blog. Aber zu Palmers musikalischer Früherziehung gehörten auch die Doors und Depeche Mode - alles, sagt sie, was theatralisch sei, habe sie in sich aufgesaugt. Von daher komme ihr ganz eigener Stil, den sie in Musik und Style durchziehe: Punk Cabaret - samt Drama, Humor und Rock ’n’ Roll.
Wenn man hartnäckig nachfragt, rückt Palmer auch mit ihren weniger coolen Anfängen heraus, die freilich genauso ihre Spuren hinterlassen haben. Schließlich sitzt oder steht sie auf der Bühne vor dem E-Piano und singt sauber Ton für Ton ins Mikro. Dafür zeichnen klassischer Klavierunterricht und sechs Jahre Kirchenchor verantwortlich. So schließt sich die Klammer zum Trinkgelage im Heustadel: alles, was zu einer Jugend auf dem Land dazugehört.
Simon Hadler, ORF.at
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