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„Frauen müssen aus ihrem Käfig raus“

Amanda Palmer hat am Donnerstagabend ein bejubeltes Konzert im Rahmen des Blue Bird Festivals im Wiener Porgy & Bess gegeben. Davor sprach sie mit ORF.at über unnötigen Zickenkrieg unter Feministinnen, Miley Cyrus, über Reichtum und über irre Partys, die sie mit Fans gefeiert hat.

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ORF.at: Ihren Sound und Style nennt man Punk Cabaret. Wo kommt das her?

Amanda Palmer: Ich habe sehr früh Musiktheater gehört und die Beatles. Als Teenie dann experimentelle Musik und Punk. Sachen wie Joy Division, The Cure, Bauhaus. Kurt Weill. Musik, die ich mag, die zu mir spricht – das sind emotionale Sachen. Drama! Deshalb mag ich Bands wie die Doors. Von denen kann man halten, was man will, aber es ist wirklich theatralische Musik. Das hört man halt raus bei mir. Aber auch Sachen wie Depeche Mode.

Sängerin Amanda Palmer im Porgy & Bess

ORF.at/Zita Köver

Amanda Palmer im Interview mit ORF.at

ORF.at: Sie hatten viele Probleme mit Ihrer Plattenfirma und sind im Streit gegangen. Hängt Ihnen das nach – vor allem was Ihren großen Hit „Coin Operated Boy“ betrifft?

Palmer: Ja, natürlich. Was die Profite von dem Song betrifft, liege ich mit ihnen weiter im Bett. Das tut mir im Arsch weh, aber was soll man machen. Darum rate ich jedem jungen Künstler: Verkaufe deine Inhalte nicht, wenn irgendwie möglich. Das Copyright muss bei dir bleiben. Die Rechte für „Coin Operated Boy“ werden für alle Zeit bei denen bleiben. Also was die eine erfolgreiche Aufnahme betrifft. Der Song an sich gehört schon mir.

ORF.at: Und der Vertrag mit Darbo, die den Song benutzen?

Ich liebe den Deal mit Darbo. Darbo hat meine Band gerettet während der letzten paar Jahre. Die Krankenversicherung in den USA ist so teuer – und wir mussten eine für uns und die Band abschließen. Jedes Jahr, in dem Darbo den Vertrag verlängert, sind wir erleichtert – weil das genau der passende Betrag für die Versicherung ist. Ganz abgesehen davon: Ich mag die Werbung, ich hab’ sie selbst abgesegnet. Sie ist lustig, künstlerisch.

ORF.at: Sie haben sich Ihr neues Album von Fans vorfinanzieren lassen auf der Plattform Kickstarter. Es war die finanziell erfolgreichste Kampagne dieser Art aller Zeiten. Hat dabei alles perfekt funktioniert?

Mir ging es mit dem Kickstarter eher darum, die Fans zu beeindrucken, als einen Profit zu machen. So betrachtet, war der Kickstarter ein Wahnsinnserfolg. Rein finanziell habe ich Verluste gemacht. Der Kickstarter, die Platten, die CDs, haben etwas eingebracht. Aber es brauchte rundherum so viel. Die Band kostet etwas, die Angestellten, die ganze Maschinerie muss laufen, sonst wird so ein Kickstarter nichts. Aber: Ist meine Karriere gewachsen – und mache ich heute und in Zukunft wegen des Kickstarters mehr Geld, als ich sonst gemacht hätte? Ja! Man kann das nie schwarz-weiß sehen.

ORF.at: Bei dem Kickstarter konnte man sich als Fan schon sorgen machen. Sie haben so viele Privatkonzerte für Fans in aller Welt verkauft. Das viele Reisen, dann sicher auch noch seltsame Begegnungen ...

Palmer: Aber ich liebe es. Ich bin sogar schon fast fertig damit! Ich habe 28 oder 29 solcher Privatkonzerte gegeben: And I fucking love it. Es ist natürlich ungemein anstrengend!

ORF.at: Da müssen viele interessante Geschichten dahinterstecken!

Jede Woche eine andere großartige Geschichte! Letzte Woche war ich irgendwo im Nirgendwo, mitten in einem kleinen Kaff in Deutschland. Das Mädchen, das das Konzert gekauft hat, ist die Tochter von Bauern. Die haben aus einem Stadel das ganze Heu rausgeräumt, das sie an eine Brauerei verkaufen. Und dort haben sie eine Discoparty aufgebaut. Aus ganz Europa sind Freunde von dem Mädchen gekommen: Polen, Holland, Großbritannien, von überall. Jeder hat Schnaps aus seiner Gegend mitgenommen, Essen, Schokolade. Jeder hatte Gitarren mit. Es wurde viel besoffen zusammen gesungen. Wir sind mit unserem Tourbus bis zu dem Stadel hingefahren und haben die ganze Nacht bei dieser verrückten Party mitgefeiert. Ich kann gar nicht glauben, was ich da alles erlebe. Andere zahlen dafür – ich werde dafür bezahlt! Und ich vertraue den Fans so wie Freunden.

ORF.at: Und das hat an allen 28, 29 Orten gut funktioniert?

Palmer: An manchen Plätzen besser als an anderen, aber ja. Manchmal war es irrer, dann wieder ruhiger. Da gäbe es noch viele Geschichten zu erzählen. Ich könnte ein Buch darüber schreiben.

ORF.at: Gab es auch den Mann mit Anzug und Rose im Mund, der wollte, dass Sie für ihn alleine singen?

Palmer: Nein. Gott, wie ich das geliebt hätte! Aber ich hab’ ihn nicht bekommen.

ORF.at: Wo ging’s überall hin mit den Privatkonzerten?

Palmer: Zum Beispiel nach Tel Aviv, viele Partys in Australien, eine in Norwegen, eine ganz weit draußen in Kanada. Seltsame Orte. Wunderschön. In Norwegen zum Beispiel waren wir eine Stunde von Oslo entfernt in den Bergen, in einem Privathaus, mit Lagerfeuern und vollkommen verrückten, besoffenen Norwegern. Es war einfach unglaublich. Das mit den Privatkonzerten war wirklich eine gute Idee.

ORF.at: Aber die Konzerte, der Kickstarter, Social Media, Musik machen ... Ist das nicht zu viel?

Palmer: Ich mache keine Musik zurzeit, das macht es leichter. In den letzten zwei Jahren habe ich vielleicht zwei Songs geschrieben. Das ist okay. Ich möchte keine Minute davon missen, auch wenn es sehr anstrengend ist. Ich weiß schon, dass ich es mir leichter machen könnte. Dass mein Leben normaler sein könnte. Dass ich mehr Geld machen könnte. Aber ich mag es so, wie es ist. Und das Konzert heute beim Blue Bird Festival ist mein letztes Konzert für eine lange Zeit. Jetzt kommt die ganz lange Pause.

ORF.at: Denken Sie nie: Mit dem Riesenerfolg von „Coin Operated Boy“ – so hätte ich weitermachen sollen? Große Charterfolge mit einer großen Plattenfirma? Einfach Frieden und ganz, ganz viel Geld haben? Nicht einmal fünf Minuten lang denken Sie zwischendurch: Das hätte ich machen sollen?

Palmer: Nein. Ich wäre nicht glücklich.

ORF.at: In einer riesigen Villa am Meer mit mehreren Swimmingpools und hundert Angestellten?

Palmer: Ich brauche keine zehn Swimmingpools. Neil und ich haben uns gerade ein wunderschönes Haus mit einem Swimmingpool gekauft. Aber nur ein Swimmingpool! Und wir wollen nur ein Auto haben, höchstens zwei. Und schon das finde ich dekadent! Das ist schon so viel mehr, als ich jemals hatte, und eigentlich mehr, als ich jemals brauchen werde.

Ich weiß, was mich glücklich macht. Nicht Geld, nicht Pools, nicht Juwelen, nicht Autos. Es macht mich glücklich, mit Menschen zusammen zu sein. Nenn mich einen Spinner. Solange ich genug Wein zu trinken und genug zu essen habe und genug Menschen um mich, die ich mag – solange ist mir alles andere scheißegal. Okay, einen Platz zum Schlafen brauche ich noch. Ich kenne mich selbst gut genug. Ich bin lieber in einem abgefuckten Appartement mit einem Haufen cooler Leute als in einer Villa.

ORF.at: Grizzly Bear haben unlängst in einem Interview erzählt, dass man sie zwar auf der ganzen Welt kennt und schätzt – dass sie sich aber immer noch Sorgen machen müssen, ob sie das Geld für die Krankenversicherung zusammenbekommen. Als Medienkonsument glaubt man immer: Wer berühmt ist, ist auch reich.

Palmer: Das ist eines der Probleme mit der öffentlichen Wahrnehmung von Musikern. Die wurde von den Medien in den letzten 30 Jahren zerstört, wenn sie über Rockstars berichtet haben. Jetzt glaubt jeder, alle international bekannten Musiker sind reich – zumindest viel reicher, als sie wirklich sind. Das stimmt einfach nicht. Ich weiß nicht, was die Leute glauben, wo das ganze Geld herkommen soll. Das ist ja nicht Zauberei. So funktioniert das nicht.

ORF.at: Ich habe mich sehr gewundert, dass Sie sich in den doch äußerst – sagen wir – seltsamen, mit offenen Briefen ausgetragenen Konflikt zwischen Sinead O’ Connor und Miley Cyrus eingemischt haben, bei dem es um Miley Cyrus’ Nacktauftritte ging. Wieso haben sie da eingegriffen?

Palmer: Weil mich Sinead O’Connors Brief aufgeregt hat. Ich habe sie ja immer so bewundert. Zu sehen, wie sie Miley Cyrus runterputzt, war kaum auszuhalten. Ich musste meine Meinung dazu loswerden, vor allem weil ich so viele Frauen erlebt habe, die Sinead Recht gegeben haben. Da musste ich sagen: Nein, das ist eine gefährliche Argumentation. Glaubt nicht, dass Miley Cyrus einfach nur eine Marionette ist, die sich von bösen Managern anschaffen lässt, was sie tut. So einfach ist es nicht. Und der Streit geht noch weiter!

Was mich so aufregt: Da ist so viel Potenzial von Feministinnen und überhaupt von uns Frauen: Wir sind Milliarden! Und dann schlagen wir uns gegenseitig die Schädel ein. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Manchmal denke ich: Wenn wir Frauen aufhören, uns gegenseitig anzuzicken, dann ist es auch möglich, dass dieser Planet gerettet wird. Man sollte meinen, wir könnten uns zusammenreißen und zusammenhalten. Jedem könnte geholfen werden. Mehr Verständnis, mehr Offenheit, mehr Unterstützung, mehr Solidarität unter Frauen, egal was sie arbeiten oder welche Art von Kunst sie machen.

Sängerin Amanda Palmer im Porgy & Bess

ORF.at/Zita Köver

„Nichts gegen Männer. Ihr seid eh großartig.“ Amanda Palmers Almosen.

Das ganze Feminismusding implodiert und implodiert, es gibt viel zu viel Zickenkrieg. So ähnlich ist das mit der Kapitalismuskritik. Die da oben können sich freuen und sagen: Gott sei Dank, unsere Gegner lösen sich selbst auf! Ich weiß nicht, wie man das wieder hinkriegt. Aber ich will die kleinen Sachen, die ich tun kann, tun, um Frauen daran zu erinnern, dass sie sich gegenseitig helfen sollten. Wir sollten wirklich zusammenzuhalten, um die ganze Scheiße wieder hinzukriegen. Nichts gegen Männer. Ihr seid eh großartig. Ich liebe Männer. Und wie ich sie liebe – viele von ihnen. Aber die generelle Richtung, in der sie die Welt treiben, ist einfach nicht gut.

ORF.at: Aber was Miley Cyrus betrifft: Sie ist ja nur so, wie sie ist, weil sie mitten in diesem System schon als Kinderstar aufgewachsen ist – im System der popkulturellen Verwertbarkeit, mitten im Herzen des Kapitalismus, wo Menschen wie sie ausgebeutet werden.

Palmer: Ja – das System ist beschissen. Da sind wir uns einig. Wenn wir Miley gratulieren, dass sie laut aufschreit – sie schreit immer noch von innen im Käfig nach draußen. Sie ist eine Geisel, die tut, was immer sie kann. Die Frage ist: Wie bekommen wir Frauen aus den Käfigen raus?

ORF.at: Aber Miley Cyrus schreit ja nicht für sich selbst. Sie schreit ja fürs System. Ihre Bosse werden sich schwerlich aufregen, wenn sie nackt auf einer Abrissbirne herumturnt.

Palmer: Korrekt. Aber die Lösung ist nicht: Keiner darf mehr schreien. Man muss das System auf Hunderte unterschiedliche Arten angreifen. Wenigstens findet jetzt eine Diskussion statt. Deshalb habe ich den Brief geschrieben. Die Diskussion findet statt – und sie ist mir so wichtig, dass ich auch daran teilnehmen möchte.

ORF.at: Im deutschsprachigen Raum gibt es eine Debatte über weibliche Nacktheit. Viele sind weiterhin der Meinung, dass Frauen als Produkte gesehen werden, wenn sie sich öffentlich nackt zeigen, ganz egal ob für eine Waschmittelwerbung oder für die Kunst.

Palmer: Wir Amerikaner schauen verwundert nach Europa. Jedes Mal, wenn man auf das Cover des „Spiegel“ schaut, selbst wenn es um die Umwelt oder die Finanzkrise geht, sieht man Titten! Was haben die Titten mit der Finanzkrise zu tun? Aber Statistiken haben wohl klar gezeigt, dass sich das Heft so besser verkauft. Auch in den USA sind wir gespalten in dieser Frage. Okay, ihr da drüben habt kein Problem mit Titten – weniger als wir in den USA. Aber es ist auch lächerlich, dass man dauernd Titten am „Spiegel“-Cover sieht, egal, ob sie zum Thema passen oder nicht. Es gibt keine einfachen Antworten. Ich weiß nur eines: Ich schaue gerne Titten an. Ich liebe Titten.

ORF.at: Apropos Brüste. In ihrem Song „Map of Tasmania“ geht es um behaarte Vaginas. Ist es Ihnen ein Dorn im Auge, dass so viele Frauen ihre Vaginas und ihren ganzen Körper rasieren?

Palmer: Ich will, dass jeder die totale Freiheit hat, die Freiheit, sich zu rasieren oder eben nicht zu rasieren. Die Menschen sollten sich nicht fühlen, als ob sie sich in einem Käfig befinden würden, in dem die Entscheidungen für sie getroffen werden. Das ist das Problem mit modernem Feminismus. Viele, die sich als Feministinnen bezeichnen, sagen, sie haben die vollkommen freie Entscheidung, ob sie sich rasieren oder nicht. Und sie entscheiden sich dafür, sich zu rasieren. Und wenn man sie fragt, warum, wird es nebulös. Es sei irgendwie angenehmer.

Und wenn man sie festnagelt: Es ist einfach ungut, sich öffentlich mit Haaren unter den Achseln und auf den Beinen zu zeigen. Kinder lachen, Männer schieben blöde Meldungen. Das tut einem einfach weh. Da verwendet man seine Energie lieber für etwas anderes. Das ist keine echte Freiheit. Du bist noch immer im Käfig, wenn auch mit einem Fuß draußen. Ja, ich könnte jederzeit raus, aber da draußen ist es so gefährlich ... Man kann nur hoffen, dass irgendwann die kritische Masse erreicht ist, der Punkt, an dem die ganze Wahrnehmung kippt und wir wirklich frei agieren können.

Es ist ja irritierend. Ihr Männer habt ja wirklich die Wahl. Niemand lacht Sie wegen Ihres Vollbarts aus. Niemand würde lachen, wenn Sie rasiert wären. Es ist voll und ganz ihre Wahl.

ORF.at: Wenn Sie etwas wirklich ärgert, machen Sie einen Song. Als Sie weg wollten von der Plattenfirma oder unlängst, als sie sich über die „Daily Mail“ geärgert haben, die ungefragt ein Nacktfoto von Ihnen publizierten. Hilft Ihnen die Musik, Frust abzubauen?

Palmer: Und wie! Musik hilft da viel. Songs haben außerdem viel Macht. Immer schon. Denken wir an Folk-Musik, die ich liebe, an Protestsongs. Über Feminismus singen, über Bürgerrechte, das kann so viel mehr bringen, als wenn man etwas sagt oder in einen Blog schreibt. Musik hat einfach mehr Macht.

ORF.at: Haben Sie eigentlich Klavierunterricht gehabt als junges Mädchen?

Palmer: Ich hatte ein paar Stunden. Aber das meiste habe ich mir selbst beigebracht. Ich übe nicht gerne. Ich habe auch nie so wirklich perfekt Noten lesen gelernt. Aber ich habe sechs oder sieben Jahre lang im Kirchenchor gesungen. Ich habe einfach so getan, als ob ich Noten lesen könnte und mir die richtigen Töne von den Erwachsenen abgehört. Mein musikalisches Gehör ist noch von daher sehr gut. Und wir hatten ein Klavier zu Hause. Meine Mutter hat ein bisschen Klassik gespielt. Also wuchs ich schon in einer musikalischen Atmosphäre auf.

Das Gespräch führte Simon Hadler, ORF.at

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