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„Wir haben die Hölle gesehen“

Das Zugsunglück von Viareggio ist bis heute eines der folgenschwersten in der jüngeren europäischen Vergangenheit. 32 Tote waren zu beklagen, nachdem in der Nacht vom 29. auf den 30. Juni 2009 in der nordtoskanischen Stadt ein Güterzug entgleist war. Einige Gaswaggons kippten dabei um, einer davon brach auf und explodierte.

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Zwölf Menschen starben sofort, viele Anrainer erlitten schwerste Verbrennungen. Die Ärzte kämpften zum Teil monatelang um das Leben der Schwerstverletzten. Rund 1.000 Menschen mussten in Sicherheit gebracht werden. Ein ganzes Stadtviertel in der Nähe des Bahnhofs wurde durch die Explosion und das nachfolgende Flammeninferno verwüstet. Zwei Häuser stürzten durch die Wucht der Detonation in der Unglücksnacht ein. Fünf Menschen überlebten lebensgefährliche Verletzungen, rund 50 weitere wurden schwer verletzt.

„Wie in einem Kriegsfilm“

Es war kurz vor Mitternacht, als der Zug mit 14 Waggons die Stadt passierte. Bereits bald nach dem Unglück wurde menschliches Versagen als mögliche Ursache ausgeschlossen und ein Materialfehler am Zug als wahrscheinlichste Ursache angegeben. Die zwei Lokführer, die sich mit Sprüngen aus dem Zug retten konnten, beschworen danach gegenüber den italienischen Medien, sie seien sogar zehn km/h langsamer als die an dieser Stelle vorgeschriebenen 100 km/h unterwegs gewesen.

Schutt und Trümmer nach Unglück

picturedesk.com/EPA/Maurizio Deli Innocenti

Die Detonation verwüstete ein ganzes Stadtviertel

Lokführer Roberto Fochesato wurde nach dem Unglück mit den Worten zitiert, er habe „den Tod vor sich gesehen“. Bereits im Moment des Entgleisens sei Gasgeruch wahrzunehmen gewesen. „Wir haben die Sicherheitsbremse gezogen und sind aus dem Zug gesprungen und weggerannt. Wenige Sekunden später ist alles explodiert. Wir haben die Hölle gesehen.“ Im Laufen hätten er und sein Kollege „eine riesige rote Flamme und eine Explosion gesehen. Die Temperatur ist unerträglich heiß geworden. Es war wie in einem Kriegsfilm.“

Vorwürfe gegen österreichische Firma

Bereits unmittelbar nach dem Unglück begannen gegenseitige Schuldzuweisungen. Der italienische Bahnchef Mauro Moretti wies dabei von Anfang an auf die österreichische Firma GATX Rail Austria, die als Eigentümerin des betroffenen Kesselwagens auch für die Sicherheitskontrollen verantwortlich war. Behörden erklärten nach dem Unglück, der Waggon sei stark verrostet gewesen; offenbar sei deshalb ein Balken in dem Wagen gebrochen.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

GATX Rail Austria ist eine Tochter des US-Unternehmens GATX, das rund um die Welt Gas- und Kesselwagen vermietet. Das Unternehmen wies jedoch jede Verantwortung von sich: Der Waggon habe alle vorschriftsmäßigen Tests passiert, die Wartung sei zudem zuletzt in Italien geschehen. Die italienischen Staatsbahnen verboten unmittelbar nach dem Unglück den Verkehr aller GATX-Waggons im ganzen Land und lösten auch ihre Verträge mit den betroffenen italienischen Werkstätten.

Die betroffene Werkstatt gab ihrerseits wiederum GATX die Schuld: Man habe lediglich im Auftrag der Firma gehandelt und von dieser gelieferte Komponenten montiert. Wie sich später herausstellte, waren die Achsen des Waggons 35 Jahre alte DDR-Fabrikate. GATX unterstrich, diese seien in Ordnung gewesen und verwies auf erst kurz vor dem Unglück absolvierte Materialprüfungen. Dennoch tauschte GATX danach an seinen Waggons im großen Stil Achsen und tragende Elemente aus.

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