Andrang auf Flughafen
Die Ohnmacht der hungernden Taifun-Opfer auf den Philippinen schlägt in verzweifelte Gewalt um. Auch fünf Tage nach der verheerenden Naturkatastrophe saßen am Mittwoch Hunderttausende ohne Essen und Trinkwasser in den Trümmerbergen des riesigen Katastrophengebiets. Am Mittwoch eröffneten Sicherheitskräfte das Feuer auf eine Gruppe von Plünderern in Leyte.
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Bewaffnete Männer sollen am Mittwoch Geschäfte und Lagerhäuser auf der Suche nach Essen, Wasser und Proviant gestürmt haben, wie der Lokale TV-Sender ANC berichtete. Daraufhin sollen Sicherheitskräfte das Feuer eröffnet haben. Der Schusswechsel soll sich im Dorf Abucay, in der am schwersten betroffenen Provinz Leyte ereignet haben. Von offizieller Seite gibt es dafür keine Bestätigung.

APA/EPA/Dennis M.Sabangan
Die Armee versucht mit Panzern Plünderungen zu verhindern
Betroffen seien Lagerhäuser des Lebensmittelkonzerns Universal Robina und der Pharmafirma United Laboratories sowie eine Reisfabrik, teilte der Leiter der örtlichen Handelskammer mit. Auch in anderen Landesteilen häuften sich Fälle von Plünderungen angesichts der immer noch schleppend anlaufenden Hilfe für die Opfer des Taifuns „Haiyan“.
„Es geht um Selbsterhaltung“
Doch die Plünderer setzen sich auch anderen Gefahren aus. So starben bei der Erstürmung eines Reislagers nach offiziellen Angaben mindestens acht Menschen. Sie kamen ums Leben, als das Gebäude in dem Ort Alangalang einstürzte. Dennoch sei es anderen Plünderern gelungen, 129.000 Säcke Reis zu je 50 Kilogramm wegzuschaffen, wie der Sprecher der nationalen Nahrungsmittelbehörde, Rex Estoperez, erklärte. Er bezifferte den Schaden auf umgerechnet gut 21 Millionen Euro. „Wir appellieren an diejenigen, die Reissäcke mitgenommen haben, sie mit anderen zu teilen und nicht zu verkaufen“, sagte er.
Stadtverwalter John Lim betonte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters, dass „das Plündern kein Verbrechen“ sei. „Es geht um Selbsterhaltung.“ Einige Überlebende buddelten Wasserleitungen auf der verzweifelten Suche nach Trinkwasser aus. „Wir wissen nicht, ob es sicher ist. Wir müssen es abkochen. Aber wenigstens haben wir etwas“, sagte ein 38-Jähriger.

Reuters/Edgar Sue
Hilfslieferungen in die völlig zerstörten Orte werden streng bewacht
Kritik an der Regierung
Das Problem ist nach wie vor, Lebensmittel und Wasser zu den Betroffenen zu bringen. Die Menschen werden immer verzweifelter. „Bitte habt Verständnis: Eine Katastrophe von diesem Ausmaß haben wir noch nie erlebt“, sagte Rene Almendras, Sekretär des Kabinetts, bei einem Briefing der Katastrophenbehörde. „Wir haben ein System, aber es ist nicht perfekt“, räumte der Chef der Behörde, Eduardo del Rosario, ein. „Wir merzen die Probleme aus.“
„Es ist wirklich ärgerlich, niemand in der Regierung scheint die Zügel in der Hand zu haben“, sagte der Kongressabgeordnete Carlos Zarate der Nachrichtenagentur dpa. „Die Menschen verhungern oder sterben an Durchfall.“ Der Bürgermeister von Davao, Rodgrigo Duterte, wird in seiner Kritik noch deutlicher: „Nicht Gott hat die Menschen bei diesem Desaster verlassen, sondern die Regierung.“
Menschen drängen in Flugzeuge
Wer kann, versucht aus der Katastrophenregion zu flüchten. Auf dem Flughafen der besonders stark betroffenen Stadt Tacloban kam es am Mittwoch zum Gedränge, weil zahlreiche Menschen in einer der Militärmaschinen, die Hilfsgüter lieferten, ausgeflogen werden wollten. „Alle sind in Panik“, sagte die Militärärztin Emily Chang, die auf dem ebenfalls vom Sturm zerstörten Flughafen Verletzte versorgte.
Tacloban völlig zerstört
Die Küstenstadt Tacloban wurde zu 90 Prozent zerstört. Von den 220.000 Einwohnern haben laut der Stadtverwaltung bisher nur 20 Prozent Hilfe erhalten.
„Sie sagen, dass es kein Essen gibt, kein Wasser, sie wollen hier weg.“ Bisher sei die Zahl der Flüge von und nach Tacloban noch sehr „begrenzt“, bestätigte ein Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes. Nur Militärmaschinen flögen derzeit die Stadt an.
Begräbnis nach Schüssen gestoppt
In Tacloban wurde am Mittwoch eine Massenbestattung von Opfern des Taifuns „Haiyan“ nach Schüssen gestoppt. Die Gräber seien bereits ausgehoben und ein Laster voller Leichen auf dem Weg dorthin gewesen, als ihn die Polizei zur Umkehr zwang, sagte Alfred Romualdez, der Bürgermeister der besonders stark von dem Unwetter betroffenen Stadt. Die Beamten hätten damit auf Schüsse reagiert.
2.275 Tote bestätigt
„Haiyan“ war am Freitag mit Spitzengeschwindigkeiten von bis zu 380 Kilometern pro Stunde über die Philippinen gepeitscht. Er gilt als der schwerste Taifun, der jemals auf Land traf. Auch am Mittwoch waren noch weite Landstriche unzugänglich, so dass es keinen genauen Überblick über das ganze Ausmaß der Katastrophe gab.
Unklar ist auch, wie viele Menschen ums Leben kamen. Nachdem die Totenzahl zunächst auf 10.000 geschätzt worden war, gab die Katastrophenschutzbehörde am Mittwoch die Opferzahlen mit 2.275 an. Sie listet nur bestätigte Fälle auf und gibt keine Schätzungen. Präsident Benigno Aquino sprach von vermutlich 2.000 bis 2.500 Opfern.
Mehr Regen vorhergesagt
Nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde wurden mindestens 3.655 Menschen verletzt, 80 Personen würden laut offiziellen Angaben noch vermisst. Mitarbeiter von Hilfsorganisation sagten jedoch, dass es am Ende deutlich mehr Tote sein könnten. Allein die Zahl der Vermissten wurde nach Angaben des Roten Kreuzes vorläufig bei 22.000 angesetzt.
Heftiger Regen hat viele der Trümmerfelder, in denen Menschen meist unter freiem Himmel hausen, unter Wasser gesetzt. Am Mittwoch hellte es sich in der Region um Tacloban zunächst auf, aber der Wetterdienst rechnet in den kommenden Tagen mit weiteren Regenfällen.
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