„Erwarten das Schlimmste“
Geht es nach Schätzungen der UNO, werden für die erste Nothilfe auf den Philippinen rund 225 Millionen Euro benötigt. Doch während die internationale Hilfsmaschinerie langsam anläuft, bleibt das Ausmaß der von Taifun „Haiyan“ verursachten Katastrophe weiter offen. In abgelegenen Regionen wartete man bisher vergeblich auf Hilfe.
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Ab Mittwoch, so die UNO-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos gegenüber BBC mit Verweis auf Angaben der philippinischen Regierung, sollen erste Hilfstrupps auch in die abgelegenen Regionen vorrücken. Man erwarte „mit Sicherheit das Schlimmste“, so der für die UNO-Hilfseinsätze zuständige John Ging in New York: „Je mehr Zugang wir in die betroffenen Gebiete erhalten, umso deutlicher wird die Tragödie.“

APA/AP/Wally Santana
Auf dem Flughafen der Provinzhauptstadt Tacloban warteten am Dienstag zahllose Menschen auf einen Platz in einem Transportflugzeug
Über 300 km/h
„Haiyan“ zog am Freitag mit Spitzengeschwindigkeiten mit weit über 300 Kilometern pro Stunde über die Philippinen. Es handelte sich um den bisher schwersten Taifun, der jemals auf Land traf.
Am Dienstag erreichte ein Team des Senders ABS-CBN die fast völlig zerstörten Ortschaften Dulag, Tolosa und Pala auf der Insel Leyte. Obwohl nur 20 Kilometer von der Stadt Tacloban und somit der Basis der Hilfe des Notstandsgebietes entfernt gelegen, wartete man dort seit dem Durchzug von „Haiyan“ am Freitag bis dahin vergeblich auf Hilfe.
Behindert werden die Rettungsarbeiten derzeit auch vom Tropensturm „Zoraida“, dessen erste Ausläufer mit starken Regenfällen am Dienstag unter anderem Tacloban erreichten. Nach Angaben des philippinischen Wetterdienstes soll „Zoraida“ allerdings nicht so heftig werden wie zunächst befürchtet.

APA/EPA/PHILIPPINE RED CROSS
In der philippinischen Hauptstadt Manila werden Hilfspakete für das Katastrophengebiet vorbereitet
Acht Tote bei Plünderungen
Beim Sturm verzweifelter Taifun-Opfer auf ein Reislager auf den Philippinen sind nach Angaben eines Beamten acht Menschen ums Leben gekommen. Die Leute seien erschlagen worden, als eine Wand des Gebäudes unter dem Andrang der Menschen einbrach und niederstürzte, sagte Rex Estoperez, Sprecher der nationalen Nahrungsmittelbehörde, am Mittwoch.
Der Zwischenfall geschah am Dienstag in Alangalan auf der schwer betroffenen Insel Leyte. Nach Angaben des Beamten plünderten die Menschen tonnenweise Reis. „Wir appellieren an diejenigen, die Reissäcke mitgenommen haben, sie mit anderen zu teilen und nicht zu verkaufen“, sagte er.
Rund 1.800 Tote bisher bestätigt
Weiter nur Spekulationen gibt es bislang über die Zahl der Todesopfer. Ein Polizeichef sprach am Wochenende von rund 10.000 Toten allein in der Provinz Leyte. Auch die philippinische Katastrophenschutzbehörde NDRRMC geht davon aus, dass in und um Tacloban die meisten Opfer zu beklagen sind. Geht es nach dem philippinischen Präsidenten Benigno Aquino, könnten die bisherigen Schätzungen aber zu hoch gewesen sein. Man gehe derzeit von 2.000 bis 2.500 Toten aus, so Aquino gegenüber CNN. Offiziell bestätigt wurden bislang 1.833 Todesopfer. Der Behörde für Katastrophenschutz zufolge wurden 2.623 Menschen verletzt.
Auf der Insel Samar, wo „Haiyan“ am Freitag als Erstes über die Küste hereinbrach, sind bisher über 500 Menschen in Massengräbern beigesetzt worden, sagte die zuständige Gouverneurin Sharee Ann Tan im Rundfunk. In Tacloban wurden nach Angaben von Bürgermeister Alfred Romualdez bis Dienstag 250 Leichen geborgen. Viele Tote werden zudem in den umliegenden Dörfern vermutet, in die bisher noch keine Hilfstrupps vordringen konnten.
„Die Probleme sind immens, das Gebiet ist riesig, aber wir tun alles Menschenmögliche“, versicherte Innenminister Mar Roxas. Die Versorgung sei aber längst noch nicht ausreichend, so der Minister laut CNN weiter. Als „gute Nachricht“ wertete Roxas, dass zumindest der Mobilfunk wieder funktioniert. Auf Strom werden die Menschen aber noch mindestens zwei Monate warten müssen, so Energieminister Jericho Petilla.
Chaos auf Flughafen von Tacloban
Für die Hilfsmannschaften gilt derzeit aber ohnedies, zunächst die verschütteten Straßen zu räumen - erst dann könne man auch die Bedürftigen erreichen. Zu schaffen machen den Helfern aber nicht nur die zerstörte Infrastruktur und die seit Dienstag wieder starken Regenfälle, sondern auch bewaffnete Überfälle und Plünderungen.
Ein Hilfskonvoi auf dem Weg nach Tacloban wurde am Dienstag von kommunistischen Rebellen der Gruppe Neue Volksarmee überfallen. Nach Armeeangaben wurden dabei zwei Angreifer getötet. Als erste Maßnahme gegen die zunehmende Gewalt wurden von der Regierung Hunderte zusätzliche Sicherheitskräfte in das Katastrophengebiet entsandt.
Dramatische Szenen spielten sich am Dienstag auch auf dem schwer beschädigten Flughafen von Tacloban ab. Überlebende versuchten die Rollbahn zu stürmen, um einen Platz auf den Hilfsflugzeugen zu ergattern. Gleichzeitig wurde von Hilfsorganisationen beklagt, dass es weiter unmöglich sei, nach Tacloban zu gelangen, da der Flughafen derzeit nur vom Militär benutzt werden dürfte. AP berichtet etwa von einem Ärzte- und Logistikteam, das seit Freitag vergeblich darauf wartet, in das Katastrophengebiet zu gelangen. Ähnliches verlautete unter anderem von Ärzte ohne Grenzen.

APA/EPA/Jay Rommel Labra
Seit Tagen ohne Wasser und Lebensmittel: Zahllose Menschen warten weiter auf Hilfe
50.000 Lebensmittelpakete pro Tag verteilt
Gleichzeitig stapeln sich laut Agenturberichten auf dem Flughafen der zerstörten Stadt Kisten mit Medikamenten, Wasser, Lebensmitteln und sonstigen Hilfsgütern, die angesichts der zerstörten Infrastruktur allerdings noch nicht zu den Bedürftigen gebracht werden konnten. Dennoch sprachen die lokalen Behörden zuletzt von einer Stabilisierung - so würden inzwischen bis zu 50.000 Lebensmittelpakete pro Tag verteilt -, viele Plätze waren aber weiter mit Leichen übersät. Die Toten müssten schnell begraben werden, um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern, sagte ein UNO-Mitarbeiter.
Spendenkontos:
„Nachbar in Not“: 400 400 440 01, BLZ 20111, Kennwort: Philippinen
Caritas: 7.700.004, BLZ 60.000, Kennwort: Taifun Katastrophe
Österreichisches Rotes Kreuz: 40014400144, BLZ 20.111, Kennwort: Überflutungen Philippinen
Ärzte ohne Grenzen: 930.40.950, BLZ 60.000, Kennwort: Philippinen
World Vision: 80080081800, BLZ 20.111, Kennwort: Philippinen
Arbeiter-Samariterbund: 93.028.745, BLZ 60.000 Kennwort: ASBÖ Auslandshilfe
Kindernothilfe Österreich: 92144077, BLZ 60.000, Kennwort: Taifun Philippinen
Volkshilfe: 1.740.400, BLZ 60.000, Kennwort: Katastrophenhilfe
Johanniter Auslandshilfe: 684.047.707, BLZ 12.000, Stichwort: Philippinen
UNICEF: 1.516.500, BLZ 60.000, Kennwort: Kinder Philippinen
Hilfswerk Austria International: 90001002, BLZ 60.000, Kennwort: Philippinen
Diakonie Katastrophenhilfe: 28711966333, BLZ 20.111, Kennwort: Taifun
SOS-Kinderdorf: 1.566.000, BLZ 60.000, Kennwort: Philippinen
Wettlauf mit der Zeit
Nach UNO-Schätzungen haben rund 660.000 Menschen durch „Haiyan“ ihre Häuser verloren oder mussten vor den bis weit ins Landesinnere vorgedrungenen Wassermassen fliehen. Die Betroffenen müssen mittlerweile seit Tagen ohne Lebensmittel, Wasser und medizinische Versorgung auskommen. Angesichts dieser verzweifelten Lage werden die Rettungs- und Hilfseinsätze immer mehr zu einem Wettlauf gegen die Zeit.
Amos und die philippinische Regierung starteten am Dienstag einen weiteren Aufruf für Nothilfe. Das UNO-Ernährungsprogramm (WFP) bereitete mit der Regierung auf dem Flughafen der Insel Cebu die Einrichtung einer Luftbrücke vor. Zahlreiche Organisationen und Länder versprachen zudem unbürokratische Soforthilfe. Von der österreichischen Regierung wurden 500.000 Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung gestellt.
USA schicken Flugzeugträger
Die USA schickten unterdessen den Flugzeugträger „George Washington“ und vier weitere Schiffe von Hongkong ins Katastrophengebiet. Das Schiff könnte von dem Taifun zerstörte Flughäfen teilweise ersetzen und hat eine große Anlage zur Aufbereitung von Trinkwasser an Bord. Auch Großbritannien schickte ein Schiff der Marine und ein Transportflugzeug.
Die mit 5.000 Marinesoldaten und 80 Flugzeugen besetzte „George Washington“ wird allerdings erst in zwei bis drei Tagen den Inselstaat erreichen. „Wir fahren so schnell wir können“, sagte ein Offizier des Marinekonvois. Das Wetter sei aber sehr schlecht. Hohe Wellen und ein starker Wind schränkten das Tempo ein.
Von der US-Marine wurden nach eigenen Angaben auch drei Landungsschiffe in Alarmbereitschaft versetzt. Eine Marinesprecherin sagte am Dienstag, die Schiffe befänden sich auf dem Flottenstützpunkt Sasebo im Süden Japans. Die Schiffe können unabhängig von einer Hafeninfrastruktur Material von See an Land bringen. An Bord verfügen sie über medizinische Einrichtungen zur Versorgung von Verletzten. Außerdem haben sie Decks zur Landung von Hubschraubern.
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