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Yasmine Hamdan im Interview

Im Westen gilt sie als die große musikalische Neuentdeckung aus dem arabischen Raum, in Beirut als Pionierin der Indie-Musik-Szene. Vergleiche mit anderen Musikerinnen glücken kaum. Ihre Lieder handeln von „Verzagtheit“, „Hoffnung“, „ein wenig von Zärtlichkeit und Sex“ - und nicht zuletzt von „Politik“. ORF.at hat Yasmine Hamdan für ein Interview in ihrer Wahlheimatstadt Paris besucht.

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ORF.at: Sie gelten als repräsentative junge arabische Stimme der sogenannten Elektro-Musik-Szene. In Medien werden Sie oft als „Underground-Ikone der arabischen Welt“ bezeichnet: Sind Sie mit dem Image zufrieden, ist das die beste Beschreibung für Ihre Werke?

Hamdan: Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt mit einer Beschreibung zufrieden sein kann, weil ich meine Werke immer überdenke, und wirklich versuche, nicht in ein Format gesteckt zu werden. Ich weiß nicht, ob das, was ich tue, als dies oder jenes definiert werden kann. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, und der Grund, warum sie mich oder Soap Kills eine ikonische Band oder Underground-Gruppe genannt haben, war, weil das damals der Realität entsprach.

In dieser Zeit waren wir am Anfang, es war der Beginn – und wir haben viel initiiert. Wir öffneten die Türen für diese Art von Musik in der Region und gaben auch zusätzlich Konzerte in Frankreich und Europa. So sind wir eine Art Pioniere geworden. Ich möchte aber dennoch so frei wie möglich bleiben – in Bezug auf mein Werk und meine Kreativität. Ich würde sagen, dass das keine falsche Definition ist, und auf eine Art und Weise fühle ich mich auch geehrt, eine Underground-Ikone genannt zu werden.

ORF.at: Ihr erstes Soloalbum „Ya Nass“ wurde dem Musikgenre „World Music“ zugeschrieben, das dürfte vielleicht nicht die beste Genrebeschreibung sein?

Hamdan: Es kommt auf das Land an.

ORF.at: Vielleicht wäre „Arab Electro Folk Pop“ die bessere Beschreibung?

Hamdan: Ja (lacht), vielleicht so etwas in der Art.

ORF.at: Was genau meinen Sie in Bezug auf die Kategorisierung, wenn Sie sagen, „es kommt auf das Land an“?

Hamdan: Ich beschäftige mich nicht viel mit Kategorien, weil sie mir nicht viel bedeuten. Erst als ich nach Paris kam, fand ich heraus, was alles „World Music“ war und dass meine Musik darunter fiel. Ich war damals sehr enttäuscht darüber, weil ich es für eine diskriminierende Kategorie halte. Aber vielleicht läuft es so, und vielleicht funktioniert die Industrie so - irgendwie kann ich es verstehen, weil ich ja auf Arabisch singe, aber dennoch ist es stigmatisierend für mich.

Ich würde sagen es ist arabischer Folk, vielleicht etwas Pop, etwas Elektro, ich würde sagen, es ist auch Trance, ich würde vieles sagen. Das Kategorisieren könnte viel mehr Spaß machen. Jemand wie Cesaria Evora ist auch in der „World Music“ eingereiht. Aber so funktioniert die Musikindustrie nun mal. Das wird sich vielleicht mit der Zeit und dem Internet ändern – Grenzen werden jetzt auch anders gezogen, die Dinge ändern sich, wir leben in einer kosmopolitischeren Welt, könnte man sagen.

ORF.at: Ihr hattet bei der diesjährigen Europatour bereits sieben Konzerte, wie war es?

Hamdan: Ja. Vor kurzem waren wir in Amsterdam und London. Davor haben wir in Frankreich drei, vier Konzerte gespielt - wir spielten auch in Belgien, in Brüssel und in Antwerpen. Es war fantastisch, ich habe viel Spaß, ich liebe die Band, mit der ich spiele - das bedeutet mir viel. Es läuft gut.

ORF.at: Sie gaben auch im Sommer 2012 auch ein Konzert in Kairo – während einer sehr turbulenten Zeit dort?

Hamdan: Ja, jetzt ist es bedauerlicherweise ständig so.

ORF.at: Die Reaktionen der Musikpresse in Europa und in Ägypten ist ähnlich. Sie bekommen überall, wo Sie auftreten, viele Komplimente und gutes Feedback?

Hamdan: Naja, viele schätzen, was ich tue, und ich denke, es ist auch deshalb, weil ich auf subversive Art und Weise viele Tabus anspreche und auf Missstände aufmerksam mache. Und ich lebe ja nicht im Nahen Osten. Ich bin dort nicht so oft präsent wie in Europa. Viele schätzen auch meine anderen Projekte.

Ich glaube, viele Leute dort haben das Bedürfnis, Missstände und Tabus aufzuzeigen, und versuchen die Zustände in ihrem Land zu verbessern. Sie sind auf der Suche nach Gerechtigkeit und Hoffnung. Die Menschen in der arabischen Welt und ihre Lage sind auf eine gewisse Weise auch meine Antriebsquelle bzw. inspirieren meine Arbeit.

ORF.at: In Interviews erwähnen Sie oft den Einsatz von „ironischer Kritik“, was genau ist damit gemeint? Vor allem, was soll darunter das nicht Arabisch sprechende Publikum verstehen?

Hamdan: Also viele verstehen das, fühlen und begreifen, worum es geht. Es ist ein interaktive Beziehung mit dem Publikum. Es hängt von Hintergrund, Sensibilität jedes Einzelnen ab. Die Leute die meine Musik hören „fühlen“, worum es geht, ohne es wörtlich zu verstehen. Da ist etwas Geheimnisvolles daran.

Ich weiß nicht, wieso auch ich selbst mich manchmal in eine singende Stimme verliebe und sie mir, ohne dass ich ihre Worte verstehe, Liebe schenkt und Hoffnung und etwas in mir befreit, mich glücklich macht oder mir andere Gefühle gibt. Das ist die Magie der Musik. Als ich begonnen habe, westliche Musik zu hören, habe ich nie irgendwas von den Worten verstehen können, aber die Musik hat mir wirklich etwas gegeben. Und ich glaube an diese Kraft der Musik und der Kommunikation.

ORF.at: Sie sprechen mehrere Sprachen. Glauben Sie, dass das Ihre Arbeit beeinflusst? Könnten Sie sich zum Beispiel vorstellen, ein Album auf Französisch zu machen?

Hamdan: Vielleicht nicht gleich ein ganzes Album. Es geht dabei gar nicht um die Sprache, sondern um Emotion. Ich bin mit anderen Sprachen nicht so verbunden wie mit Arabisch. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich so viele Dialekte beherrsche und nicht nur einen, beispielsweise Libanesisch. Ich kann in Ägyptisch singen, Kuwaiter Dialekt, in Libanesisch, Palästinensisch - mit vielen arabischen Akzenten. So habe ich eine Vielzahl von Möglichkeiten, aus denen ich wählen kann und an die ich meine Melodien anpassen kann.

Auf Französisch zu singen wäre eine Möglichkeit - ich habe sogar schon französische Songs gemacht. Einzelne Lieder. Aber ich weiß nicht, ob ich ein ganzes Album nur auf Französisch machen würde. Es geht dabei um den Bezug. Es geht dabei auch um meine Identität. Ich komme immer wieder zu den Wurzeln zurück, und eine meiner Hauptmotivationen, Musik zu machen, war, für eine alternative Stimme zu kämpfen. Und eben diese alternative Stimme in Arabisch. Für mich als eine Frau, eine Künstlerin, die aus der arabischen Welt kommt, ist das etwas mit großen Wert, und es lohnt sich, darum zu kämpfen.

ORF.at: Wie haben Sie eigentlich die verschiedenen Dialekte in Arabisch gelernt? Durch die Musik, die Sie hören?

Hamdan: Die arabische Welt ist sehr anders. Es handelt sich dabei nicht um eine, sondern um viele Welten. Die Länder sind zueinander sehr unterschiedlich, teilen aber gewisse kulturelle Eigenheiten. Zum Beispiel Kino. Ich bin mit ägyptischem Kino aufgewachsen und alter ägyptischer Musik, dann lebte ich aber auch am Golf und wuchs so mit Rhythmen vom Golf, der Musik und den Melodien von dort.

Weil meine Eltern eine Haushälterin aus Sri Lanka hatten, habe ich auch etwas von sri-lankischer und indischer Kultur mitbekommen. Später lebte ich in Griechenland, wo ich mit griechischer Musik und Pop aus den 80ern, wie Wham, in Kontakt kam.

Ich bin also sehr früh mit vielen verschiedenen Kulturen in Berührung gekommen und habe mir von überall etwas herausgeholt, das mir gefällt. Ich habe viele Dinge von vielen Orten mitgenommen. Und Elia (ihr Ehemann, der Regisseur Elia Suleiman, Anm.) ist beispielsweise Palästinenser, so kenne ich auch diese Kultur. Es gibt keine Reinheit im Austausch, es gibt nur eine Mischung aus Dingen, die von überallher kommen.

ORF.at: Songs von Ihnen wurden auch oft zum Filmsoundtrack. Für den Film „Divine Intervention“ zum Beispiel. Und jetzt auch in Jarmuschs neuen Film „Only Lovers Left Alive“. Da treten Sie ja auf und spielen sich selbst sozusagen. Wie war es beim Filmdreh?

Hamdan: Es war fantastisch. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Die Nacht, in der wir die Szene drehten, war fantastisch. Der Film handelt von Vampiren und wurde hauptsächlich in der Nacht gedreht, so haben wir auch die Auftrittsszene in der Nacht gedreht, in einem winzig kleinen, alten Cafe in der Altstadt von Tangier. Ein echtes Publikum war anwesend, und ich bin live aufgetreten. Während der Szenen hatte ich Spaß mit dem Publikum, und es war wirklich eine Nacht, an die ich mich immer erinnern werde.

ORF.at: Sie haben in verschiedenen Interviews erwähnt, dass Marc Collin nicht versteht, was Sie singen? Da dürfte er mit Jim Jarmusch etwas gemeinsam haben?

Hamdan: Keiner von denen - niemand - versteht, was ich singe. Mirwais hat auch nichts verstanden, als wir „Arabology“ (Album von 2009, Anm.) aufgenommen haben. Manchmal versteht sogar meine ganze Band kein Wort, aber sie begreifen es trotzdem. Ja, Mark Collin, hat mit mir an meinem neuen Album gearbeitet, ohne die Texte zu verstehen. Es ist lustig und auch interessant, weil es mir so Freiheiten gibt. Irgendwie. Es ist langweilig für mich, die Texte zu erklären, weil sie sich dadurch verändern.

Viele der Songs sind unmöglich übersetzbar, weil die arabische Sprache, Literatur und überhaupt die Art, wie in arabischen Ländern kommuniziert wird, stark auf Metaphern aufbaut und viele Dinge nicht gesagt werden, sondern es gibt lediglich viele Andeutungen, Sprachbilder, Wörter mit vielfältigen Bedeutungen je nach Kontext. Es gibt also viele Schichten, und viel wird nicht gesagt, aber man kann es erahnen. Darin liegt etwas sehr Mysteriöses, und wenn ich anfange, die Texte zu übersetzen, verschwindet es, eben weil die Worte ja dieses Mysterium transportieren.

ORF.at: Was sind die großen Themen auf ihrem neuen Album?

Hamdan: Abhängig vom Lied gibt es Charaktere. Viele davon sind feminine Charaktere, einer vielleicht ist männlich. Die weiblichen Charaktere führen jeweils eine Art inneren Dialog. Sie phantasieren, manchmal nörgeln sie, manchmal drücken sie Verzweiflung aus, und aber auch ihre Sinnlichkeit oder etwas über ihre Sexualität. Es ist immer ein intimes, inneres Zwiegespräch.

Es gibt auch andere Lieder, zwei davon sind von einem alten libanesischen Komponisten geschrieben. Sie haben auch eine Menge an Metaphern, jedoch sind sie stark in einem sozialen oder quasi direkt politischen Kontext. Wenn man über Sex oder seine Gefühle spricht, ist es auch immer irgendwie politisch, aber mit “direkt politisch” meine ich hier, dass die Songs von Beirut handeln.

Sie wurden in den 40ern geschrieben, und der Grund, wieso ich sie wieder neu singen wollte, war, dass ich sie wunderschön finde und ich sie zudem für äußerst aktuell halte. Sie sind wichtig für mich, weil sie mir helfen, etwas von meiner Melancholie auszudrücken, etwas von meiner Verzagtheit oder meiner Ängstlichkeit, etwas von meiner Hoffnung, ein wenig von der Zärtlichkeit, die ich fühle, ein bisschen von der Mutlosigkeit und diesem Schweigen, das ich fühle in Anbetracht der politischen oder sozialen Probleme, die wir im Land und der Gesamtregion haben.

ORF.at: Wie schätzen Sie die Situation in der jetzigen Musikszene im arabischsprachigen Raum, vor allem die Beiruter Musikszene, ein?

Hamdan: Früher waren die Leute an diese Kultur – ausgehen oder Konzerte besuchen - nicht gewöhnt. Jetzt leben sie genau so, und es gibt viele neue Bands im Libanon, Palästina etc. Nach den Veränderungen, die vor zwei, drei Jahren stattgefunden haben, passiert jetzt all das. Was mir aufgefallen ist und was mich auch nachdenklich, zuversichtlicher und glücklich gemacht hat, ist die junge Generation, die sich eine Stimme verschafft hat und begonnen hat, für ihre Stimme zu kämpfen.

In meiner Zeit habe ich das auf meine Art gemacht. Aber in der Umgebung damals war nicht diese Art von Energie anwesend - und jetzt fühle ich eben diese junge Energie im Nahen Osten und der arabischen Welt und eine Gewissheit: Das ist gut.

ORF.at: Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie nach Soap Kills dann in der alten arabischen Musik ihre Inspirationsquelle gefunden haben?

Hamdan: Es war wie ein Abenteuer, eine lange Reise, bei der ich auf die Suche ging nach alten Kassetten und musikalischen Raritäten in alten Plätzen, Märkten und Geschäften. Es ist etwas, das zu mir gekommen ist, und ich habe begonnen, auf Arabisch zu singen, indem ich gelernt und zugehört habe und richtig besessen war von Melodien und Details der Musik. Ich kann andererseits auch sagen, dass meine Arbeit mit das Resultat oder einfach ein Schritt ist von meiner Suche. Ich war nämlich auf der Suche nach etwas und habe seit der Zeit mit Soap Kills in meinen verschiedenen Kollaborationen danach gesucht.

Das Album „Ya Nass“ spiegelt mehr meine Stimmung wieder: zurückzugehen zu etwas sehr Intimem, mehr akustisch aber auch elektronisch, aber etwas erdiger, näher an mir selbst. Da hatte ich dann diese Idee, etwas sehr Melodisches zu machen, einfach, aber auch komplex. Ich versuche eine Balance herzustellen zwischen Einfachheit und Komplexität. Für mich ist dieses neue Album etwas, das ich mit der Hilfe, dem Talent und der Assistenz von Mark Collin komponiert habe, jedoch genau so, wie ich es tatsächlich komponieren wollte. Ich wollte zu der Zeit wirklich keinen Kompromiss machen und bin damit sehr zufrieden.

Das Interview führte Dalibor Manjic, ORF.at