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Nur nicht „Weltmusik“ sagen

Yasmine Hamdan, die Stimme der Underground-Musikszene des Libanon, die Ende der 1990er Jahre mit ihrer Band Soap Kills den internationalen Durchbruch geschafft hat und nun im neuen Jim-Jarmusch-Streifen zu sehen ist, gastiert im Rahmen ihrer Europatour zum ersten Mal in Wien und stellt dabei ihr erstes Soloalbum „Ya Nass“ vor.

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Musikkritiker schwärmen von der Sängerin und ihrem neuen Album: Der „Guardian“ findet, dass sie es verdient, „the next female celebrity from the Arab-speaking world“ zu werden, der Radiosender „France Info“ nennt sie eine „Pionierin der arabischen Welt“ und die französische „Elle“ meint, dass ihre „samtige Stimme wahre Wunder vollbringt“.

„Ya Nass“ ist zwar ausschließlich auf Arabisch gesungen, aber bewusst nicht nur für das Arabisch sprechende Publikum bestimmt. ORF.at hat die Sängerin für ein Interview in Paris besucht.

Der Einfluss des „arabischen" Sounds

Das Debütalbum der in Beirut geborenen Sängerin, die laut Eigenaussage in verschiedenen arabischen Dialekten singt, ist von alter arabischer Gesangstradition beeinflusst, entspricht gleichzeitig aber keinem Klischee von „orientalischer Musik“. Das hängt auch mit Hamdans Ausflügen in die Indie-Elektro-Szene zusammen. Ihr Album wird überraschenderweise trotzdem in die Nähe der World Music gerückt. Zu Unrecht, wie die Sängerin findet.

Die Einflüsse der „arabischen Musik“ in der „Weltmusik“-Szene sind bereits seit den 80ern und dem Aufkommen des vieldeutigen und breit angelegten Musikgenres sehr stark. Bevor es diese Kategorie gab, stand die arabische Musik - meist unterteilt in zwei Kategorien, die arabische Volksmusik und die arabische klassische Musik - für sich.

Künstlerisches Porträt von Yasmine Hamdan

Nicholas Wagner

Hamdan weiß sich zu inszenieren

„Crossover“ in der Welt des Entertainments

Einzelelemente des „Beats“ und des „Sounds“ der arabischen Musik sind immer öfter in der Popularmusik zu finden: im Hip-Hop und R ’n’ B sowie in Pop und Rock. Dieser Sound schafft es im „Musik-Crossover“ in unregelmäßigen Abständen immer aufs Neue und erfolgreich in die Hallen der westlichen Entertainment-Welt.

Traditionelle arabische Lieder, gesungen von neuen Superstars der arabischen Musikwelt, im Duett mit Madonna, dienten zuletzt bei der „Confessions Tour“ der „Queen of Pop“ als Intro und vielleicht auch als Anreiz, sich mit den Weiten der Welt der „Arab Music“ auseinanderzusetzen. Ganz freizusprechen vom Vorwurf der naiven Exotisierung sind diese Arabesken jedoch nie.

Zusammenarbeit mit Madonna-Produzent Mirwais

Der französische Musikproduzent Mirwais, der als Pionier in Sachen „Progressive-Electro-Music“ gilt und mit Madonna zwei Alben produzierte, arbeitete auch mit Hamdan zusammen. 2009 brachten die beiden das Album „Arabology“ heraus. Und das, obwohl auch Mirwais von dem, was Hamdan singt, kein Wort versteht. Für die Sängerin sei das nichts Neues, und das begleite sie schon sehr lange: „Manchmal versteht sogar meine ganze Band kein Wort, aber sie begreifen es trotzdem.“ Das Gleiche erlebt der Zuhörer ihrer Meinung nach, und das Verstehen von Lyrics sei ohnehin überbewertet: „Viele verstehen das, fühlen und begreifen, worum es geht. Es ist ein interaktive Beziehung mit dem Publikum. Es hängt vom Hintergrund, der Sensibilität jedes Einzelnen ab“, so Hamdan.

Liveauftritt im neuen Jarmusch-Film

Nach dem turbulenten und erfolgreichen Band-Dasein schafften es einzelne Titel von Soap Kills in die Welt des Films - und wurden zuerst meist in Autorenfilmen von libanesischen Filmemachern als Soundtrack verwendet. Als Gast bei internationalen Filmfestivals ergab sich der nächste Film-Coup, der Sprung ins US-amerikanische Kino. Denn Jim Jarmusch ist auf Hamdan aufmerksam geworden. Er ließ nun die Sängerin in seinem neuen Film „Only Lovers Left Alive“, der Ende Dezember in die österreichischen Kinos kommt, auftreten.

„Es war eine unglaubliche Erfahrung. Ich habe Jarmusch auf einem Filmfestival getroffen. Ich hatte einen Auftritt, und er entwickelte eine Idee für mich, dann wurde ich kontaktiert und habe ihn drei Jahre später wiedergetroffen, wegen der Szene, die er für mich geschrieben hat. Die Dreharbeiten waren phantastisch“, so Hamdan.

Dabei sei nichts gestellt gewesen. Hamdan singt im Film live, vor echtem Publikum, wie die Wahlpariserin erzählt: „Die Szene wurde in der Nacht in einem winzig kleinen, alten Cafe in der Altstadt von Tangier gedreht. Während der Szenen hatte ich Spaß mit dem Publikum, und es war wirklich eine Nacht, an die ich mich immer erinnern werde.”

Neue Zeiten des arabischen Pop

Der Ruhm der Musikdiven der arabischen Welt vor allem in den 1950ern Jahren, von Omm Kulthum, Asmahan und Fairuz sowie weniger bekannten Sängerinnen wie Aisha El Marta und Shadia, gilt als unvergänglich. Aber gleichzeitig auch als halb vergessen.

CD-Cover des Albums Yasmine Hamdan

Crammed (Indigo)

Yasmine Hamdans neues Album „Ya Nass“

Den ersten großen internationalen Durchbruch schaffte die arabische Musik vor allem durch den Einsatz in Filmen. Die Melodien und Lyrics begeisterten über die Grenzen des Libanon bis Ägypten in Kinokassenschlagern das Publikum. Hamdan schöpft aus dem Repertoire der Diven der alten traditionellen arabischen Popmusik und macht daraus ihren eigenen Sound: „Diese Musik nährt mich intellektuell, emotional und auch in Bezug auf meine Identität. In meiner Arbeit sind diese Leute eine große und einflussreiche Quelle.“

Hamdans „Sound“ klingt dabei gleichzeitig rauchig, sinnlich und poetisch. Die Faszination für den alten „Arab-Pop“ habe sich spontan ergeben: „Es war wie ein Abenteuer, eine lange Reise, bei der ich auf die Suche ging nach alten Kassetten und musikalischen Raritäten auf alten Plätzen, in Märkten und Geschäften. Es ist etwas, das zu mir gekommen ist, und so habe ich auch begonnen, auf Arabisch zu singen, indem ich gelernt und zugehört habe und richtig besessen war von den Melodien und den Details der Musik.“

Kategorisierung als Stigma

Verfolgt man den musikalischen Werdegang von Yasmine Hamdan seit 1997, dem Geburtsjahr ihrer Band Soap Kills, dann wird klar, warum sie wenig Verständnis hat, dass ihr erstes Soloalbum „Ya Nass“ in der Kategorie „World Music“ zu finden ist. „Irgendwie kann ich es verstehen, weil ich ja auf Arabisch singe, aber dennoch ist es stigmatisierend für mich.“ Dabei spricht Hamdan ein wichtiges Thema an - die Kategorisierung in der Musik nach Herkunft und Sprache. Die Sprache in der Musik solle man grundsätzlich nicht so genau nehmen: „Ich weiß nicht, wieso auch ich selbst mich manchmal in eine singende Stimme verliebe und sie mir, ohne dass ich ihre Worte verstehe, Liebe schenkt - und Hoffnung, und etwas in mir befreit.”

„Balance zwischen musikalischen Texturen“

Nach ihrer Zeit mit Soap Kills tourte sie mit dem US-amerikanischen Duo CocoRosie, das sie in Beirut kennengelernt hatte: „Sie haben mich wirklich gepusht und mir auf viele Arten geholfen.“ Damals entstanden auch einzelne Songs von ihr auf Englisch und Französisch. Ihr Debütsoloalbum nahm sie mit dem Produzenten Marc Collin auf, dem Kopf der französischen Band Nouvelle Vague.

Das Album soll Hamdans derzeitige Stimmung widerspiegeln. Es klingt erdiger und sei sehr „intim, näher an mir selbst. Ich versuche eine Balance herzustellen zwischen Einfachheit und Komplexität. Und ich weiß, dass arabische Musik sehr komplex sein kann mit den verschiedenen Modi usw. Ich liebe auch Popmusik und wollte so eine Balance zwischen diesen verschiedenen musikalischen Texturen finden“, sagt die Sängerin über ihr Album, das im April dieses Jahres erschienen ist. Hamdan gehört der Nachkriegsgeneration aus dem Libanon an und führt laut Eigenangabe ein „Nomadenleben“. Seit den 1990er Jahren zog sie mit ihrer Familie oft um und lebte in Griechenland, Kuwait und Abu Dhabi. Nun lebt und arbeitet sie in Frankreich. Das Album reflektiere ihre verschiedenen Lebensstationen.

Yasmine Hamdan während eines Auftritts

Amelie Rouyer

Eindringlicher Sound, der ankommt - auch, wenn man die Sprache nicht versteht

In vielen Dialekten zu Hause

Hamdan spricht mehrere Sprachen fließend, dennoch meint sie, sie sei „mit anderen Sprachen nicht so verbunden wie mit Arabisch. Ich bin glücklich und dankbar, dass ich so viele Dialekte beherrsche und nicht nur einen, beispielsweise Libanesisch. Ich kann in Ägyptisch singen, Kuwaiter Dialekt, in Libanesisch, Palästinensisch - mit vielen arabischen Akzenten. So habe ich eine Vielzahl von Möglichkeiten, aus denen ich wählen kann und an die ich meine Melodien anpassen kann.“

Hinweis

Yasmine Hamdan: 15. November, 20.00 Uhr, Chaya Fuera, Kandlgasse 19-21, 1070 Wien

Mit Hamdan hat die Musikwelt eine neue Grande Dame des arabischen Pop gefunden. Aber nicht nur das. Was Hamdans Werke speziell macht, ist, dass sie in Sachen Elektro-Pop bereits in der höheren Liga mitspielt und eben gleichzeitig den arabischen Pop revolutioniert hat - mehr oder weniger im Alleingang. Yasmine Hamdan verdient es, eine „Berühmtheit“ des arabischsprachigen Raums genannt zu werden. Ihre Europa-Tour läuft gut an, und das neue Album ist vielversprechend: Hamdans „Arab-Elektro-Folk-Pop“ verweist nicht nur auf eine reiche Vergangenheit, sondern hat vor allem auch Zukunft. Das Publikum und die Kritiker in Paris, London und Berlin können das bestätigen.

Dalibor Manjic, Paris, ORF.at

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