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Missbrauch des Euro-Systems?

Die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat letzte Woche für zwiespältige Reaktionen gesorgt. So sollen laut einem Bericht der „Financial Times“ („FT“) sechs EZB-Ratsmitglieder im Vorfeld dagegen „revoltiert“ haben. Das französische Direktoriumsmitglied sprach sich unterdessen öffentlich klar für die Leitzinssenkung aus.

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Angeführt sei die Truppe von zwei deutschen EZB-Ratsmitgliedern worden. Außerdem hätten auch der österreichische EZB-Rat und Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) Ewald Nowotny und der Niederländer Klaas Knot gegen die Zinssenkung gestimmt. Der EZB-Rat besteht aus 23 Personen, unter ihnen die 17 Chefs der Notenbanken der Euro-Staaten.

Keine OeNB-Stellungnahme zu Abstimmung

Zumindest ein Viertel des EZB-Rats soll nicht mit dem Kurs des Präsidenten Mario Draghi einverstanden sein. Vor allem die Anti-EZB-Stimmung im größten Euro-Land Deutschland könnte Draghi in seinem Kampf gegen die Deflation bzw. im Hinblick auf andere anstehende heikle Entscheidungen hemmen, so ein Involvierter zur Zeitung. Bei der OeNB in Wien wollte man den Bericht nicht kommentieren: „Abstimmungsergebnisse werden nicht bekanntgegeben“, sagte ein Sprecher Nowotnys zur APA.

Coeure gegen höheren Leitzins

Unterdessen verteidigte das französische Direktoriumsmitglied Benoit Coeure die Leitzinssenkung. Höhere Zinsen würden „dem Sparer schaden“, schrieb Coeure am Montag in einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“. Ein höherer Leitzins für die Euro-Zone hätte „die Rezession verschärft, das Einsetzen einer Erholung verzögert“ und zum Risiko einer Deflation beigetragen.

Die Zinssenkung der EZB wirke sich nur auf Zinsen für kurzfristige Geldanlagen aus, schrieb Coeure. Die Zinsen für langfristige Geldanlagen hingegen, die für Sparer entscheidender seien, stünden in Deutschland deswegen unter Druck, weil Wertpapiere wie die als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen auch bei Investoren aus dem Ausland stark gefragt seien. Dadurch sänken die Zinsen für solche Papiere. Andere Länder, etwa im Süden der Euro-Zone, müssten hingegen hohe Zinsen zahlen.

Unterm Strich sei die Geldpolitik der EZB und damit auch die derzeitige Niedrigzinspolitik „angemessen“, rechtfertigte Coeure die jüngste Zinssenkung. Das uneinheitliche Zinsniveau in der Euro-Zone könnte nur eingeebnet werden, wenn die Bankenunion vorangebracht werde, zu der eine gemeinsame Bankenaufsicht und ein einheitlicher Mechanismus zur Abwicklung von Banken gehören.

„Kalte Enteignung der Sparer“

Draghi hatte die Zinssenkung vergangene Woche mit der niedrigen Inflationserwartung und der zögerlichen Konjunkturerholung begründet. Von Bankern und auch Ökonomen aus den nördlichen Euro-Zonen-Staaten erntete er heftige Kritik.

„Draghi missbraucht das Euro-System, indem er den Südländern Billigkredite gibt, die sie am Kapitalmarkt so nicht bekommen würden“, deponierte etwa der Präsident des Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts ifo, Hans-Werner Sinn, am Wochenende. In Österreich hatte Sparkassenverbandspräsident Michael Ikrath von einer „kalten Enteignung der Sparer“ gesprochen.

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