„Gefahr von ungeheurem Ausmaß“
Für 2015 hat sich die Weltgemeinschaft ein großes Ziel gesteckt: Bis Jahresende soll endlich ein allgemein verbindliches Klimaschutzabkommen stehen. Experten zufolge bleibt kaum noch Zeit, um die Erderwärmung auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen. Von der UNO-Klimakonferenz COP19, die Montagvormittag in Warschau begonnen hat, wird dennoch kein Durchbruch in wesentlichen Fragen erwartet.
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Die Welt ist zu beschäftigt mit anderen Problemen - wie etwa der Wirtschaftskrise. Und mit Polen richtet dieses Jahr ausgerechnet ein vehementer Verfechter der klimaschädlichen Kohleenergie die Klimakonferenz aus. „Es gibt keinen Zweifel, dass wir handeln müssen und dass wir jetzt handeln müssen“, erklärte UNO-Klimasekretärin Christiana Figueres vor der knapp zweiwöchigen Konferenz mit mehr als 190 Teilnehmerstaaten. „Warschau muss zeigen, dass wir diese Botschaft verstanden haben.“
„Lücke zwischen Handeln und Ziel immer größer“
Kurz vor Start der Konferenz häuften sich die Appelle an die Teilnehmerländer, ernsthafte Schritte zu unternehmen. So mahnte der Direktor des UNO-Umweltprogramms (UNEP), Achim Steiner, eindringlich zu mehr Tempo in der Klimapolitik. „Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen, aber die Geschwindigkeit, mit der wir vorangehen, reicht vorn und hinten nicht“, sagte Steiner dem deutschen Sender NDR Info. „Die Lücke zwischen Handeln und Ziel wird immer größer, das heißt, wir bewegen uns noch immer in die falsche Richtung“, fügte er hinzu. Das habe Konsequenzen für die Wirtschaft und die Zukunft.
„Es geht ums Überleben“
Der ehemalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan warnte in drastischen Worten: „Letztendlich geht es ums Überleben“, sagte der Friedensnobelpreisträger der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“) am Wochenende. „Es ist eine schleichende Gefahr von ungeheurem Ausmaß“, warnte er. Auch die „bedenkenlose Ausbeutung der Ressourcen“ müsse gestoppt werden. „Wir brauchen dringend Umweltsteuern, um den Konsum zu drosseln.“
Das Versagen der Vereinten Nationen (UNO) beim Bekämpfen des Klimawandels sei größer und folgenreicher als ihr Versagen bei den Völkermorden von Srebrenica und Ruanda, sagte Annan. Dennoch werde die Erderwärmung von vielen Menschen unterschätzt. Annan warnte davor, sich allein auf die Politik zu verlassen. Die Rolle des Einzelnen werde oft unterschätzt. „Das Volk kann führen, wenn die politischen Anführer es nicht tun.“
Wissenschaft schlägt Alarm
Die Befunde der Wissenschaft sind tatsächlich alarmierend. Die Konzentration der Treibhausgase in der Erdatmosphäre hat 2012 einen neuen Rekordwert erreicht, verkündete die Weltorganisation für Meteorologie vor ein paar Tagen. Die Chancen, die Erderwärmung auf ein beherrschbares Maß zu begrenzen, werden immer kleiner, warnte das UNO-Umweltprogramm. Statt der anvisierten maximal zwei Grad könnte die Durchschnittstemperatur im schlimmsten Szenario bis zum Jahr 2100 um bis zu knapp fünf Grad steigen, heißt es im aktuellen Bericht des Weltklimarats IPCC.
Die klimaschädlichen Emissionen müssten daher noch in diesem Jahrzehnt ihren Höhepunkt erreichen und danach drastisch gesenkt werden, sagte Tasneem Essop von der Umweltschutzorganisation WWF. „Wenn wir dieser besonderen Herausforderung nicht begegnen, dann werden wir mit Sicherheit die Chance verpassen, einen katastrophalen Klimawandel zu stoppen.“
Verhärtete Fronten
Doch derartige Appelle von Klimaexperten und Umweltschützern zeigen keine große Wirkung. Die Fronten sind weiter verhärtet. China, der weltgrößte Treibhausgasemittent, bestreitet zwar nicht den dringenden Handlungsbedarf, sieht aber vor allem die Industriestaaten in der Pflicht - eine Auffassung, die viele Entwicklungs- und Schwellenländer teilen.
Die US-Regierung unter Präsident Barack Obama hat die Gefahr durch die Klimaerwärmung, etwa durch die Zunahme schwerer Stürme, zwar ebenfalls erkannt. Gegen ein Abkommen mit ehrgeizigen verbindlichen Zielen für die Verringerung der Treibhausgasemissionen gibt es in Washington aber weiter große Widerstände.
„Harte Knochenarbeit“
Umweltminister Nikolaus Berlakovich (ÖVP) erwartet „harte Knochenarbeit“, aber keine sensationellen Durchbrüche. Österreich sei voll auf EU-Linie und wolle „unbedingt ein verbindliches Abkommen“. Die Grünen nahmen die Regierung im Vorfeld entsprechend in die Pflicht und forderten eine „Vorreiterrolle“ Österreichs.
Auch EU weniger ambitioniert
Selbst der Klimaschutzelan der Europäischen Union hat angesichts der Euro- und Wirtschaftskrise spürbar nachgelassen. Trotz einer allgemeinen Zusicherung der Industrieländer beim Klimagipfel 2009 in Kopenhagen, armen Ländern beim Klimaschutz bis 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar (knapp 75 Mrd. Euro) unter die Arme zu greifen, weigerte sich die EU bisher wie die USA, diese Zusage zu konkretisieren.
Und Konferenzgastgeber Polen scheint kaum geeignet, diese Blockaden zu überwinden. Das Land ist - relativ gesehen - einer der eifrigsten Kohlekonsumenten weltweit. Mehr als 90 Prozent des Stroms in Polen werden aus dem besonders umweltschädlichen Energieträger gewonnen. Gegen die Zielvorstellung der EU-Kommission, bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken, legte Warschau sein Veto ein.
Bisherige Zusagen werden verwässert
Von vielen Seiten werden bisherige Klimaschutzzusagen in Zweifel gezogen oder verwässert. Bei der UNO-Klimakonferenz 2011 in Durban war vereinbart worden, spätestens bis zum Treffen 2015 in Paris solle ein allgemein verbindliches Abkommen stehen, das 2020 in Kraft treten würde. Das wird von einigen nun uminterpretiert.
„Einige Länder sagen jetzt, dass man in Paris nur den Rahmen und die Regeln festlegen muss“, kritisiert Alden Meyer von der US-Organisation Union of Concerned Scientists. Konkrete nationale Zusagen könnten dann erst später auf den Tisch gelegt werden. In jedem Fall ist schon jetzt klar: Am Ende des Treffens in Warschau am 22. November werden genügend Fragen für die nächste UNO-Klimakonferenz Ende 2014 in der peruanischen Hauptstadt Lima offenbleiben.
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