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Prompte Reaktion an Börsen

Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt ihren Leitzins überraschend auf das Rekordtief von 0,25 Prozent und verschärft damit ihren Krisenkurs. Das teilte die Notenbank am Donnerstag nach einer Sitzung des EZB-Rats in Frankfurt mit. Damit ist Geld im Euro-Raum so billig wie nie.

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Angesichts der extrem niedrigen Inflation im Euro-Raum von zuletzt 0,7 Prozent im Oktober hatten einige Beobachter diese weitere Lockerung der Geldpolitik gefordert. So könnte die Notenbank eine deflationäre Abwärtsspirale aus fallenden Verbraucherpreisen und schwachem Wirtschaftswachstum verhindern. Das belgische EZB-Ratsmitglied Luc Coene hatte kürzlich betont, dass „ein weiterer Fall der Inflation ein geldpolitisches Handeln rechtfertigen“ könne. Die meisten Ökonomen hatten dennoch mit einer Zinspause gerechnet.

EZB-Chef Mario Draghi bekräftigte nach der Entscheidung das Billiggeldversprechen der Zentralbank. Ein Preisverfall auf breiter Front droht laut Draghi aber nicht. „Wir sehen insgesamt keine Deflation auf uns zukommen“, sagte Draghi. Es sei allerdings eine „längere Phase“ niedriger Inflation zu erwarten. Danach werde sich diese schrittweise dem angestrebten Niveau annähern, fügte er hinzu. Details zu der erwarteten Preisentwicklung werde die EZB in den Konjunkturprognosen im Dezember vorlegen. Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an. Das stärkt den Preisauftrieb. Die EZB sieht Preisstabilität bei knapp unter 2,0 Prozent Jahresteuerung.

Euro stürzt ab

Nach der EZB-Entscheidung zogen die Börsenkurse an - der deutsche Leitindex DAX stieg etwa auf ein neues Rekordhoch von 9.143,16 Punkten. Der Euro stürzte dagegen ab.

„Untergrenze noch nicht erreicht“

Die EZB hat laut Draghi ihr Pulver nach der jüngsten Leitzinssenkung noch nicht verschossen. „Wir haben die Untergrenze noch nicht erreicht und könnten den Zins grundsätzlich weiter senken“, betonte der EZB-Präsident. Die Zentralbank sei bereit, alle „zur Verfügung stehenden Instrumente einzusetzen“. Dazu gehöre theoretisch auch eine Neuauflage der vor rund zwei Jahren eingesetzten langfristigen Kreditlinien für Banken. Auf der jüngsten Zinssitzung sei das aber „kein großes Thema“ gewesen.

Das deutsche EZB-Direktoriumsmitglied Jörg Asmussen hatte zu Beginn der Woche vor Rückschlägen in der Euro-Schuldenkrise gewarnt. Die wirtschaftliche Erholung sei „schwach, fragil und ungleichmäßig“, sagte Asmussen am Dienstag in Stockholm. Die jüngsten Wirtschaftsdaten hätten einen schwachen Start ins Schlussquartal angedeutet. Asmussen betonte allerdings auch, dass sich die Stimmungsindikatoren auf hohem Niveau bewegten.

Zweifel an Sinnhaftigkeit

Üblicherweise orientiert sich die EZB nicht an einzelnen monatlichen Inflationsdaten, sondern am mittelfristigen Ausblick. Zum Teil ist der geringe Preisdruck auch eine Folge der politisch gewollten Sparmaßnahmen in einigen Krisenländern. Da Banken bereits seit Jahren extrem günstig an EZB-Geld kommen, es aber nicht an Unternehmen weiterreichen, ist umstritten, ob die weitere Zinssenkung in den Krisenländern positive Auswirkungen haben wird.

Der historische Zinsschritt kommt auch deshalb überraschend, weil die Wirtschaft im Euro-Raum die Rezession verlassen hat und 2014 - auch laut EZB-Prognosen - wieder wachsen wird. Allerdings sei die wirtschaftliche Erholung „schwach, fragil und ungleichmäßig“, wie Asmussen kürzlich betonte.

Bank of England hält Zins

Großbritanniens Notenbank behält ihre lockere geldpolitische Linie bei. Wie die Bank of England am Donnerstag in London mitteilte, bleibt der Leitzins auf dem Rekordtief von 0,5 Prozent.

Keine Auswirkungen für Konsumenten

Konkrete Auswirkungen für die heimischen Sparer und Kreditnehmer dürfte die Entscheidung vorerst eher nicht haben. Sparquote und Sparzinsen waren schon vor der Leitzinssenkung im Keller. Bei einzelnen Banken im Land gab es schon davor nur noch 0,05 Prozent auf täglich fälliges Geld. Dass es aufs Sparbuch tatsächlich bald einmal echte nominelle Minuszinsen geben könnte - also dass Sparer dafür zahlen, dass sie Geld aufs Sparbuch legen -, drohe nicht, versichern Banker.

„Wir denken nicht daran, unsere Kunden dafür zu bestrafen, dass sie uns ihr Geld anvertrauen“, sagte der stellvertretende Chef der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich-Wien, Georg Kraft-Kinz, der APA auf die Frage, ob die Bank an Negativzinsen denke. Es gebe unmittelbar keine Pläne, Zinsen zu senken, auf beiden Seiten nicht. Bei den Krediten wird im Wesentlichen auf die Zinsgleitklauseln verwiesen, sie hingen nicht an den Leitzinsen der Notenbank.

Wenig Spielraum

Anleger spekulierten in den letzten Tagen heftig auf einen weiteren Zinsschritt nach unten - und schickten damit den Euro in den Keller. Fachleute waren dagegen überwiegend skeptisch und gingen im Vorfeld nicht davon aus, dass die Währungshüter im November den Leitzins senken - und wurden von der nunmehrigen Entscheidung überrascht.

Denn der mit 0,5 Prozent bereits rekordniedrige Leitzins wäre eigentlich nicht das einzige Instrument, das EZB-Chef Draghi zur Verfügung steht, um die Währungsunion vor einem Teufelskreis aus sinkenden Preisen und rückläufigen Investitionen zu schützen. Und Draghis Spielraum ist gerade bei den Zinsen nur noch marginal - die Nulllinie ist mehr als nur in Sichtweite. Und die Risiken wachsen, je tiefer er geht. Doch auch alternative Therapien hätten Nebenwirkungen.

Offenbar liegen der EZB bereits jetzt - erst in drei Wochen sollen offiziell die neuen Inflationsdaten veröffentlicht werden - Informationen vor, die ein Gegensteuern gegen die Gefahr einer Deflation nötig erscheinen lassen.

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