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56 Meter unter dem Meer

Nach mehr als neunjähriger Bauzeit ist Ende des Vorjahres der Bahntunnel auf dem Meeresgrund in Istanbul eröffnet worden. Die Marmaray-Verbindung durch den Bosporus befördert mit Zügen im Zweiminutentakt stündlich bis zu 75.000 Menschen. Der Verkehrsinfarkt der Millionenmetropole wird damit zumindest etwas gelindert.

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Vorerst ist nur die Unterquerung der Meerenge mit einer S-Bahn in Betrieb. Ab 2015 soll der Tunnel auch für den Zugsfernverkehr genutzt werden und dann die erste normalspurige Verbindung zwischen Europa und Asien sein. Bei der Eröffnung sprach Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan von einem „Jahrhundertprojekt“.

Teil der „eisernen Seidenstraße“

Die türkische Regierung will den vorerst nur halbfertigen Bahntunnel später als Teil einer „eisernen Seidenstraße“ betreiben, über die Verkehr zwischen China und Europa laufen könne. Das gesamte Marmaray-Projekt soll nach dem Endausbau in den kommenden Jahren 76 Kilometer lang werden.

Karte mit Marmaray-Tunnel

APA/ORF.at

Die Eisenbahnstrecke verläuft von Halkali auf der europäischen Seite über den Bosporus bis zur asiatischen Seite

An der Eröffnungsfahrt durch den Tunnel hatten neben Erdogan auch der türkische Präsident Abdullah Gül und Japans Regierungschef Shinzo Abe teilgenommen. Die japanische Industrie war einer der wichtigsten Zulieferer für das Projekt, das weniger umstritten war als andere von Erdogan unterstützte Vorhaben wie etwa ein dritter Flughafen für Istanbul, ein Kanal parallel zum Bosporus und eine dritte Brücke über die Meerenge.

Erste Panne mit Stromausfall

Nur einen Tag nach der offiziellen Eröffnung gab es gleich die erste Panne: Nach einem Stromausfall in der Früh mussten die Passagiere eines Marmaray-Zuges aussteigen und zu Fuß zu ihrem Zielbahnhof gehen. Ein von einem Passagier angefertigtes Video zeigte die Reihe der Fahrgäste, die durch den Tunnel marschierten. Nach Behebung des Fehlers wurde der Marmaray-Betrieb wieder aufgenommen.

Marmaray-Projekt

Das Wort „Marmaray“ leitet sich von Marmara-Meer und dem türkischen Wort für Schiene - „ray“ - ab. Die neue Eisenbahnlinie soll den Anteil des Schienenverkehrs am Fahrgastaufkommen in Istanbul von 3,6 Prozent auf 27,7 Prozent erhöhen.

Der 13,6 Kilometer lange Tunnel, davon 1,4 unter Wasser, verläuft teils unterirdisch, teils als in den Meeresboden eingespülte Röhre und zählt zu den weltweit größten Infrastrukturprojekten der vergangenen Jahre. Auf dem Grund wurden in 56 Metern Tiefe elf Tunnelelemente aus Beton und Stahl verankert.

Die Konstrukteure versprechen, dass der Tunnel schwersten Erdbeben standhalten werde - nur 20 Kilometer entfernt verläuft die Nordanatolische Verwerfungszone. Der Tunnel sei in Istanbul das sicherste Bauwerk überhaupt, sagte der türkische Transportminister Binali Yildrim. Anders sieht das die Vereinigung der Ingenieure. Es habe noch keine ausreichenden Belastungstests gegeben. Und für den Fall dass in die Waggons Wasser eindringen sollte, gäbe es keine Pumpen, um es wieder abzusaugen, lautet ihre Kritik.

Zugsgarnitur

APA/EPA/Tolga Bozoglu

Die Züge für die neue Strecke

150 Jahre alter Traum realisiert

Von einer Verkehrsverbindung unter dem Bosporus hindurch wurde schon rund 150 Jahre lang geträumt. Der Traum werde nun Wirklichkeit, meinte Erdogan bei der Eröffnung. Die ersten Entwürfe stammen von osmanischen Sultanen, die von einer „neuen Seidenstraße“ bis nach China schwärmten. Die Pläne scheiterten jedoch an der großen Tiefe des Bosporus.

Doch die Idee tauchte immer wieder auf, aber erst als in den 80er Jahren der wachsende Verkehr die Stadt völlig zu verstopfen drohte, wurde ernsthaft über diese Alternative nachgedacht. 1999 unterzeichnete der türkische Staatsminister Recep Onal mit Japan einen Projektvertrag. Er sah ein Darlehen in Höhe von 117 Mio. US-Dollar (rund 95 Mio. Euro) vor und eine Bauzeit von vier Jahren.

Tunnelarbeiten

APA/EPA/Tolga Bozoglu

Baustopp nach archäologischen Funden

Die ursprünglich geplanten Baukosten blähten sich zu einer Summe von fast drei Milliarden Euro auf. Den größten Teil der Finanzierung tragen die Japan Bank für Internationale Kooperationen (JBIC) und die Europäische Investitionsbank (EIB). Wie viel das ehrgeizige Projekt im Endeffekt tatsächlich kosten wird, darüber halten sich die Verantwortlichen bedeckt. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die ursprünglich veranschlagte Summe deutlich überschritten wird.

Eigentlich waren vier Jahre Bauzeit veranschlagt, doch zahlreiche historische Funde verzögerten die Arbeiten immer wieder. So stießen die Bauarbeiter unter anderem auf einen alten byzantinischen Hafen. Fünf historische Schiffe wurden freigelegt, die die Geschichte der Stadt völlig neu schrieben. Durch den Fund ist belegt, dass die Stadt schon vor 8.000 Jahren besiedelt wurde, und nicht wie angenommen vor 3.000.

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