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„Da fließen einem die Tränen“

Die Kritik an der Vergabe der Fußball-WM 2022 an Katar will nicht verstummen. Während die deutsche Gewerkschaft IG Bau nach einem Besuch der Baustellen die Arbeitsbedingungen dort anprangerte, sieht sich der Weltfußballverband (FIFA)für die Einhaltung der Arbeitsrechte nicht zuständig.

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Nach einem Kontrollbesuch im Emirat Katar auf Baustellen für die Fußball-WM 2022 übte die deutsche Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG Bau) harte Kritik an den Bedingungen für Gastarbeiter. „Da fließen einem die Tränen, wenn man das sieht“, sagte IG-Bau-Vizechef Dietmar Schäfers dem deutschen „Handelsblatt“. Etwa die Hälfte der Bauarbeiter sei miserabel untergebracht.

Matratzen „so dick wie Wolldecken“

Oft müssten Gastarbeiter zu zehnt in einem Zimmer wohnen, das nur rund 15 Quadratmeter groß sei, sagte Schäfers der Zeitung. Die Matratzen zum Schlafen seien „so dick wie eine Wolldecke - und darunter ist ein Rost aus Stahlstangen“. Die hygienischen Verhältnisse seien mangelhaft. Auch bekämen die Arbeiter - oft aus Indien und Nepal - weniger Geld, als ihnen zugesagt worden sei, kritisierte Schäfers. Zudem nähmen ihnen die Arbeitgeber mitunter die Pässe ab.

Speziell bei örtlichen Firmen in Katar herrschten bedenkliche Zustände, kritisierte Schäfers. Dort aber, wo Gruppen von Firmen aus Europa und den USA „das Sagen haben, sind die Standards gut“. Für nächstes Jahr haben die Arbeitnehmervertreter einen neuen Kontrollbesuch in Katar angekündigt.

4.000 tote Arbeitskräfte für WM

Seit Ende September die britische Zeitung „The Guardian“ darüber berichtete, dass Arbeiter auf den WM-Baustellen wie „moderne Sklaven“ behandelt würden und Dutzende von ihnen in den vergangenen Wochen gestorben seien, gehen international die Wogen hoch. Sollte die Zahl der Todesfälle so fortschreiten wie bisher, würden bis zum WM-Beginn mindestens 4.000 ausländische Arbeitskräfte sterben, sagte ein Vertreter des Internationalen Gewerkschaftsbundes (ITUC) der Zeitung. Die katarische Regierung wies die Anschuldigungen zurück und schaltete eine internationale Anwaltskanzlei ein.

Doch den Beteuerungen von Katar will man in Europa keinen Glauben schenken. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im EU-Parlament, die Deutsche Barbara Lochbihler, wirft dem WM-Gastgeberland Katar und der FIFA eine ignorante Haltung vor. „Ich muss die Regierung von Katar auf das Heftigste kritisieren, dass sie in Kauf nimmt, dass Arbeiter sterben“, sagte die Grünen-Politikerin dem Sportinformationsdienst (SID). „Aber auch die FIFA hat sich nicht umgehend informiert und Verbesserungen gefordert.“

Scharfer Angriff auf FIFA

Sie verlangte von der FIFA, sich für bessere Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen einzusetzen. „Die Arbeiter brauchen angemessene Löhne, Unterkünfte, Schutzvorkehrungen auf den Baustellen und kostenloses Trinkwasser“, sagte Lochbihler. Die katarische Regierung müsse zudem das Verbot, den Arbeitsplatz zu wechseln, abschaffen: „So ein System begünstigt Zwangsarbeit.“ Auch deutsche Unternehmen, die an Bauprojekten in Katar beteiligt seien, stünden in der Pflicht, für ordentliche Arbeitsbedingungen zu sorgen.

Kritik an der FIFA gab es auch von Amnesty International (AI). „Katar hat mit die schlimmsten Arbeitsbedingungen weltweit. Wir erwarten von der FIFA, dass sie aktiv eingreift“, sagte Regina Spöttl, bei AI zuständig für die Golfstaaten, gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ („SZ“). Als Veranstalter dürfe sich die FIFA nicht aus der Verantwortung nehmen. „In erster Linie ist Katar zuständig für ein gutes Arbeitsrecht im Land. Aber es sind auch die Veranstalter, die für menschenwürdige Bedingungen Sorge tragen müssen“, meinte Spöttl.

Blatter übernimmt keine Verantwortung

Doch die FIFA sieht sich nicht als richtiger Adressat für die Angriffe. Die FIFA könne nicht zur Verantwortung gezogen werden, sagte FIFA-Präsident Joseph Blatter bei einer Pressekonferenz in Zürich. „Es tut uns sehr leid, was passiert ist“, so Blatter, dem zufolge es in jedem Land geschehen könne, dass es Todesfälle auf Baustellen gibt. Auf die Frage nach der Verantwortung gibt es laut Blatter jedenfalls eine klare Antwort: Da die Überprüfung der Arbeitsrechte in Katar „eine Verantwortung der Unternehmen“ sei, könne „eine Intervention nur durch Katar erfolgen“.

Rummenigge: Entscheidung „akzeptieren“

Unterstützung erhielt Blatter von Bayern München Vorstandsvorsitzenden Karl-Heinz Rummenigge. Dieser rief dazu auf, die Kritik an Katar in Deutschland nicht zu übertreiben. Deutsche Unternehmen würden von der Fußball-WM 2022 wirtschaftlich stark profitieren, begründete Rummenigge am Mittwoch bei den Medientagen München: „Die deutsche Wirtschaft hat dort Milliardenaufträge.“ Zum Beispiel sei die Deutsche Bahn für das Metrosystem zuständig.

Die umstrittene Vergabe des WM-Turniers an Katar sei „eine exklusive Entscheidung“ des Exekutivkomitees der FIFA gewesen, so Rummenigge. „Es nützt nichts, wenn man jetzt hinterher den Finger hebt und sagt, da hätte es vielleicht bessere Möglichkeiten gegeben wie Australien oder Amerika. Da wäre sicherlich die Kritik geringer gewesen. Aber man hat sich für Katar entschieden, und das gilt es jetzt zu respektieren und zu akzeptieren“, meinte der FC-Bayern-Chef, der auch Vorsitzender der europäischen Clubvereinigung ECA ist.

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