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Hunderte Arbeiter festgenommen

Aus Protest gegen die Ausbeutung von Tagelöhnern auf den Olympiabaustellen der russischen Stadt Sotschi hat sich ein russischer Arbeiter den Mund zugenäht. Der Mann habe sich mit einem Plakat, auf dem er seinen seit Monaten ausstehenden Lohn forderte, direkt vor dem Olympiapark der Schwarzmeer-Stadt postiert, berichteten örtliche Medien am Freitag. Die Polizei nahm den Mann nach kurzer Zeit fest.

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Menschenrechtler nannten den Protest „grausam, aber notwendig“. „Mit dieser Verzweiflungstat ist es ihm gelungen, einmal mehr auf die massiven Probleme in Sotschi aufmerksam zu machen“, sagte Semjon Simonow von der Organisation Memorial der dpa.

Druck auf Arbeiter steigt täglich

Knapp vier Monate vor Beginn der Winterspiele am 7. Februar nähmen die Beschwerden der Arbeiter und auch die Repressionen der Behörden gegen die Tagelöhner stark zu. „Der Mann, der sich den Mund zugenäht hat, ist Russe und damit trotz seiner Not in einer besseren Lage als Arbeitsmigranten aus (den verarmten zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken, Anm.) Usbekistan und Tadschikistan“, meinte Simonow.

Schlafende Arbeiter im Auto

Reuters/Maxim Shemetov

Viele Arbeiter haben keine Unterkünfte und müssen in Autos schlafen

Bereits im Februar kritisierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die verheerende Situation vieler Migranten. Laut der Studie müssten die Bauarbeiter in Zwölfstundenschichten arbeiten, Unterkünfte und Verpflegung seien mangelhaft. Die Menschenrechtler appellierten damals an das Internationale Olympische Komitee (IOC), eine aktivere Rolle bei der Wahrung der Menschenrechte in Sotschi zu übernehmen. Der Bericht basierte auf Berichten von 66 Arbeitern und wurde von Russland mit Verweis auf strenge Kontrollen rasch wieder unter den Teppich gekehrt.

Mobile Truppen gegen Migranten

Über den Sommer blieb es ruhig auf den Baustellen, bis sich Anfang Oktober die Lage völlig änderte. Ähnlich wie in Moskau, wo am Montag über tausend illegal im Land befindliche Gastarbeiter festgenommen wurden, fanden auch in Sotschi plötzlich Razzien auf den Olympiabaustellen statt. „Von heute an gehen 60 mobile Gruppen auf Streifzüge durch Sotschi. Alle illegalen Migranten müssen nach Hause geschickt werden. Und das unverzüglich“, zitierte die „Frankfurter Allgemeine“ („FAZ“) Alexandr Tkatschow, Gouverneur der südrussischen Region Krasnodar.

Zu Hunderten wurden in den vergangenen Tagen Gastarbeiter inhaftiert und abgeschoben. Von den rund 72.000 Arbeitern, die beim Bau der Wettkampfanlagen, Hotels und Unterkünfte eingesetzt sind, sind laut offiziellen Angaben 16.000 Ausländer. Memorial geht hingegen von rund 50.000 Fremdarbeitern aus, von denen die meisten aus Zentralasien und den Kaukasus-Republiken stammen.

Pässe konfisziert, Löhne einbehalten

Das ein Großteil von ihnen illegal auf den Baustellen arbeitet, sei auch die Schuld der Baufirmen, kritisiert Simonow. Sie würden die Pässe konfiszieren, sich jedoch nicht um eine Arbeitsgenehmigung kümmern. Die Arbeiter müssten dann unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten, und wenn sie sich beschweren, würden ihnen die Löhne nicht ausbezahlt. „Im ersten Monat zahlt man noch das versprochene Gehalt, meistens ist das sogar noch recht gut. Danach diktieren sie ihre Bedingungen“, sagte Simonow der ARD-„Tagesschau“.

Baustelle in Krasnaja Poljana

APA/Hans Klaus Techt

Sotschi ist auch vier Monate vor den Olympischen Spielen eine Baustelle

Aber nicht nur auf Migranten wird derzeit Jagd gemacht, auch russische Staatsbürger, die in Sotschi arbeiten, sehen sich wachsendem Druck ausgesetzt. Immer wieder klopfen Kontrolleure an ihre Türen und überprüfen ihre Arbeitsgenehmigungen. Lokale Medien rufen dazu auf, dass auch sie die Schwarzmeer-Stadt verlassen sollen. „Offenbar hat jemand ein Interesse daran, dass die Arbeiter in einer solchen Notlage sind, während sie fast wie Sklaven ausgenutzt werden“, sagte Simonow zur „FAZ“.

Kaum Einheimische auf den Baustellen

Dabei gibt es vor den mit 37,5 Milliarden Euro bisher teuersten Spiele in der Olympiageschichte noch genug zu tun. Während einige Prestigebauten wie die Eishalle bereits fertig sind, dominieren anderswo noch Bagger und Kräne das Stadtbild. Einheimische sind auf den Baustellen nur selten zu finden. „Sie würden sich das nicht gefallen lassen“, sagt ein Busfahrer der „FAZ“.

Doch die Baufirmen scheinen trotz der vielen offenen Baustellen und der schwindenden Zahl der Arbeiter nicht beunruhigt. Durch gefinkelte Leiharbeitsverträge müssen sie keine Strafen zahlen, auch wenn Kontrolleure bei ihnen auf illegal arbeitende Menschen stoßen. Und die Proteste gegen die Arbeitsbedingungen werden wohl spätestens mit dem Entzünden der olympischen Flamme verhallen.

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