Themenüberblick

Erleichterung hielt nur kurz

US-Präsident Barack Obama und seine Demokraten sind nach außen hin die klaren Gewinner des US-Budgetstreits. Sie harrten im Nervenkrieg um die drohende Zahlungsunfähigkeit des Staates so lange aus, bis die Republikaner schließlich nachgaben. Schon in das erste weltweite Aufatmen über die Lösung des Streits mischen sich jedoch Töne, in denen von Erleichteurng keine Spur ist.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr.

Obama las der politischen Klasse in Washington am Donnerstag die Leviten. „Die Frustration der amerikanischen Bevölkerung mit dem, was in dieser Stadt passiert, war nie größer“, sagte Obama im Weißen Haus. „Die amerikanische Bevölkerung hat von Washington vollkommen die Nase voll.“ Der Präsident ließ „alle meine Freunde im Kongress“ wissen, dass sich der Politikstil dringend ändern müsse.

„Es gibt hier keine Gewinner“

Seine Kritik richtete Obama vor allem gegen die Tea-Party-Abgeordneten, ohne den erzkonservativen Flügel der Republikaner direkt beim Namen zu nennen. Der Streit über die Anhebung der Schuldenobergrenze und der Stillstand der Bundesverwaltung hätten der US-Wirtschaft „vollkommen unnötigen Schaden“ zugefügt. „Es gibt hier keine Gewinner“, sagte er.

Auch die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, etwa las den Vereinigten Staaten am Donnerstag überraschend deutlich die Leviten: „Es wird essenziell sein, die Unsicherheit rund um die fiskalpolitischen Abläufe zu reduzieren, indem man das Schuldenlimit auf eine dauerhaftere Weise erhöht“, reagierte sie auf die Einigung. Im Wesentlichen erreichten die Demokraten durch das Gesetz nur eine Vertagung des Streits um ein paar Monate.

Die EU-Kommission zeigte sich hingegen erleichtert. „Wir begrüßen sehr die Vereinbarung, die nun erreicht wurde“, sagte der Sprecher von Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel. „Sie hat die dunklen Wolken beseitigt, die die Weltwirtschaft und die jüngste wirtschaftliche Erholung in Europa überschattet haben. Das ist eine sehr gute Nachricht.“

China zürnt

Wohingegen die Rechnung aus China, mit Staatsanleihen um 1,28 Billionen Dollar (942.000 Mrd. Euro) der größte ausländische Gläubiger der USA, prompt folgte. Während Peking offiziell die Einigung lobte, rächte sich die staatlich gelenkte chinesische Ratingagentur Dagong mit einer Herabstufung der US-Kreditwürdigkeit von „A“ auf „A-“ mit negativem Ausblick. Auch in einem Kommentar der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua wurde Investoren geraten, sich nach Alternativen zu US-Investments umzusehen.

Mitglieder des US-Kongresses auf Stufen vor dem Kapitol

Reuters/Jonathan Ernst

Abgeordnete verlassen nach der Abstimmung das Repräsentantenhaus

Explizit forderte Xinhua eine „De-Amerikanisierung“ der Weltwirtschaft. Die anderen asiatischen Volkswirtschaften, allesamt durch US-Staatsanleihen und Exporte intensiv mit Washington verbunden, reagierten ebenso deutlich: Zeigten sich die Börsen zuerst positiv auf die US-Einigung, geriet der Dollar im Tagesverlauf ins Rutschen. Er rate seinen Klienten zum Abstoßen von US-Anleihen, sagte der Hongkonger Analyst Martin Hennecke gegenüber der Nachrichtenagentur AP.

„Show“, „Unfug“ und „dummes Schuldenlimit“

Hennecke ließ als einer von vielen Marktbeobachtern seinem Zorn über das Verhalten der US-Politik in dem Konflikt freien Lauf: Der Schuldenstreit sei „nur Show, um die Leute von den wirklichen Themen abzulenken und die Öffentlichkeit mit Unfug zu beschäftigen. Worüber sie verhandeln sollten, ist eine Konkursvereinbarung über die Vereinigten Staaten, weil sie nämlich pleite sind. Das ist, worum es geht. Es geht nicht um irgendein dummes Schuldenlimit.“

Für den eskalierten Finanzstreit mussten die USA schon jetzt bezahlen. Der 16-tägige „Shutdown“ der US-Verwaltung seit 1. Oktober habe die Wirtschaft bereits 24 Milliarden Dollar (17,7 Mrd. Euro) gekostet, bilanzierte die Ratingagentur Standard & Poor’s. Eher zweckoptimistisch klang denn auch US-Finanzminister Jacob Lew mit seiner Hoffnung, dass das Politschauspiel nichts an „224 Jahren stärkster Kreditwürdigkeit“ in den USA ändern werde.

Zumindest Journalisten haben etwas zu lachen

Politisch schließlich sind die Republikaner nun zersplitterter denn je. Die ultrakonservative „Tea-Party“-Fraktion hielt den liberaleren Teil der Partei bei dem Konflikt in Geiselhaft. Ex-Präsidentschaftskandidat John McCain genierte sich öffentlich für eines der „peinlichsten Kapitel“ in seiner Politkarriere. Eine Umfrage des Pew-Instituts zeigt, dass die Anhänger der Republikaner de facto gespalten sind: Die liberale Hälfte kann den „Tea-Party“-Teil nicht ausstehen - und umgekehrt.

Eine Stenographin wird vom Redepult im Kapitol abgeführt

EBU

„Sie ist einfach ausgeflippt“

Wie die Republikaner bis zum 8. November 2016, wenn die USA über die Nachfolge von Obama entscheiden, wieder zur geschlossenen Partei werden sollen, weiß derzeit niemand. Die Demokraten umgekehrt sollten sich nicht zu früh freuen: Die Einigung im Budgetstreit ist nur unwesentlich mehr als ein dreimonatiger Aufschub für den jetzigen Streit. Als Obama bei der Pressekonferenz nach der Einigung sagte, der Streit werde sich nicht wiederholen, brachen die anwesenden Journalisten nicht umsonst in Gelächter aus.

Stenotypistin bricht in wirre Tirade aus

Schließlich gab es noch ein ganz besonderes Opfer des tagelangen Pokers - die Stenotypistin des US-Abgeordnetenhauses: Die TV-Übertragung zeigte, wie die Frau während der Abstimmung zum Podium ging und zu schreien begann. Gott lasse sich nicht lächerlich machen, man könne nicht „zwei Herren dienen“, und die Verfassung sei von Freimaurern geschrieben, rief sie unter anderem, bevor sie abgeführt wurde. „Ich weiß auch nicht, sie ist einfach ausgeflippt“, sagte ein Republikaner gegenüber dem Sender CNN.

Links: