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Im Rausch der Bilder

Der israelische Regisseur Ari Folman hat sich auf den Weg in die Zukunft des Kinos gemacht - und ist dabei auf eine LSD-geschwängerte Fantasiewelt gestoßen. Entkommen kann man nur um den Preis einer menschenwürdigen Existenz. Nun ist Folmans Science-Fiction-Thriller „The Congress“ in heimischen Kinos angelaufen.

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Eines gleich vorweg: Wer atemberaubende Special Effects, 3-D zum Staunen und eine simple „Es geht um’s Überleben“-Story sucht, der sollte sich lieber Karten für „Gravity“ mit George Clooney und Sandra Bullock kaufen. „The Congress“ ist in jedem erdenklichen Sinn das Gegenteil davon - wenn nicht sogar die Antithese. Folman imaginiert eine Welt des endgültigen Triumphs der Technologie über den Menschen, im Kino und darüber hinaus. Und das verheißt bei ihm nichts Gutes.

Folman nutzte als Ideenpool Stanislaw Lems Buch „Der futurologische Kongress“. Schon als Kind hatte er den Science-Fiction-Klassiker gelesen, dann noch einmal auf der Filmschule - und von da an wusste er, dass er den Stoff einmal verfilmen werden würde. Seit damals verging einiges an Zeit. Folman machte sich einen Namen als TV-Regisseur und Dokumentarfilmer. Seinen größten Erfolg feierte er mit „Waltz with Bashir“ - einem dokumentarischen Animationsfilm mit Thrillerelementen, für den er einen Golden Globe und eine Oscar-Nominierung einheimste.

Schauspielerin Robin Wright in einer Szene des Films "The Congress"

Polyfilm Verleih

Robin Wright beweist Mut zur Selbstdemontage

„Drecksfilme und kapriziöses Verhalten“

Um das Prinzip der Vermischung von realen Bildern und Animationen herum baute Folman „The Congress“ auf. Eine Schauspielerin wird vom Studio Miramount (eine Verballhornung von Miramax und Paramount) mit sanftem Druck gezwungen, sich 3-D-einscannen zu lassen, um in späteren Filmen von einer digitalen Doppelgängerin ersetzt werden zu können.

Robin Wright spielt sich in dieser Rolle selbst und beweist dabei Mut zur Selbstironie, wenn nicht zur Selbstdemontage. Ihre größten Erfolge - heißt es im Film (und zumindest die Eckdaten decken sich mit ihrer Biografie) - seien die ersten Rollen gewesen, darunter jene der Jenny Curran in „Forrest Gump“. Danach - nur noch falsche Entscheidungen, „Drecksfilme“ und kapriziöses Verhalten - das zumindest wirft ihr der Künstleragent Al vor, gespielt von Harvey Keitel.

Eine animierte Robin Wright mit Elvis Presley in einer Szene des Films "The Congress"

Polyfilm Verleih

Robin Wright mit Elvis: Hier ist alles möglich

Blümchensex - aber wirklich

Der Film setzt auf grandiose Dialoge und Monologe. Ein böser Miramount-Manager will Schluss machen mit: „Managern, Agenten, Drogen, dem Koks, den Depressionen, den Liebhabern, den scheiternden Beziehungen, den sexuellen Ausschreitungen, den gebrochenen Verträgen, der Depression nach Flops, der Vernachlässigung der PR, dem Gebettel um Vergebung“ - sprich allem, was Wright ausmacht, allem, was in der Filmbranche menschelt und im Sinne der Profitmaximierung stört. Deshalb: Nur noch digitale Kopien realer Schauspieler.

Sind diese Grundpfeiler der Story abgesteckt, sollte man sich im Kinosessel zurücklehnen und bereit sein, abzuheben. Denn dann entflieht Wright in eine Comic-Welt, wo mit ein paar Drogen jeder sein kann, wer er will. Diese Welt wimmelt vor vermeintlichen Promis und Figuren wie Elvis, Michael Jackson, Kleopatra, ägyptischen Göttern, David Bowie, Betty Boop - alles animiert im Stil der 30er Jahre, mit einem Touch Yellow Submarine, blumen- und farbenreich, ohne Hass und Krieg, nur Liebe. Das Ganze ist ein visueller LSD-Trip sondergleichen. Blümchensex bekommt hier eine ganz neue Bedeutung.

Schauspieler Harvey Keitel in einer Szene des Films "The Congress"

Polyfilm Verleih

Harvey Keitel in klassischer Pose

Charaktere als Drogen

Ein Paralleluniversum, in dem sich Wright trotzdem nicht wohlfühlen kann, weil sie ihren kranken Sohn vermisst, der ganz offensichtlich in der realen Welt verblieb. Schließlich schraubt sich die Filmwelt im Film noch einmal eine Ebene höher und Wright verkauft sich selbst nicht nur als Scan, sondern auch als Substanz. Es braucht keine Filme mehr - man zieht sich Charaktere als Drogen rein, mit denen man dann eine gewisse Zeit lang alles erleben kann, was man will, bis hin zum Robin-Wright-Porno.

Der Film strotzt vor popkulturellen Anspielungen und Filmreferenzen. Tom Cruise als abgehalfterte, verblödet dauergrinsende Comic-Figur, cineastische Paraphrasen auf „Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb“ und auf Folmans Lieblings-Science-Fiction-Film „2001: Odyssee im Weltraum“. Gegen Ende kippt „The Congress“ Richtung klassische Sci-Fi-Dystopie, wie man sie schon oft gesehen hat - dann wieder Realfilm, mit grau-braun-schlammigen Häuserskeletten als Kulisse und Menschen in Lumpen.

Ein Film, ein Statement

Folman hat zum Film auch ein Statement veröffentlicht, in dem es heißt: „‚The Congress‘ ist zu allererst eine Zukunftsvision, aber auch ein Schrei nach Hilfe und eine tief empfundene Sehnsucht nach dem Vergangenen, nach dem altmodischen Kino, wie wir es kennen und lieben.“ „The Congress“ ist Folmans Pfeilspitze gegen ein Kino, in dem nur noch prominente Plakatgesichter und Special-Effect-Feuerwerke zählen und Quote bringen - Stichwort „Gravity“.

„The Congress“ steckt voller cinematografischer Poesie, in Bild und Wort, barocke Verspieltheit dominiert hier in jeder Hinsicht. Schon alleine deshalb ist der Film ein Statement gegen jene Aalglätte, die mit Schauspielern wie Keitel und Wright gar nicht zu haben wäre. Die Animationen wurden selbstverständlich von Hand gemalt. Folman lässt keinen Zweifel an seiner Devise: Kino ist ein Handwerk - keine Technologie, und auch kein beliebiges Vehikel für PR-Strategien.

Simon Hadler, ORF.at

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