Ex-Rebellen hinter Kidnapping
Der Donnerstagfrüh verschleppte libysche Regierungschef Ali Seidan ist nach Angaben eines Ministers wieder frei. Seidan sei mehrere Stunden nach seiner Entführung durch die Rebellenmiliz, die sich selbst „Operationszelle von Revolutionären“ nennt, wieder in Freiheit, sagte Außenminister Mohammed Abdelasis der Nachrichtenagentur AFP zu Mittag.
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Den Angaben zufolge wurde Seidan von der Brigade ehemaliger Revolutionäre „befreit“. Dabei soll kein einziger Schuss gefallen sein. Der Regierungschef blieb unverletzt. Die libysche Nachrichtenagentur al-Tadhamun berichtete unter Berufung auf das Sicherheitskomitee von Tripolis, ehemalige Revolutionäre hätten sich für Seidans „Freilassung“ eingesetzt.
Bewaffnete drangen in Hotel ein
Seidan war in der Früh aus einem Hotel in der Hauptstadt Tripolis von Bewaffneten verschleppt worden. Als Drahtzieher der Entführung gelten ehemalige Rebellen der Gruppe „Operationszelle von Revolutionären“, die im Auftrag des Innenministeriums für Sicherheit und Ordnung in der Hauptstadt Tripolis sorgen soll. Die Miliz „Brigade für den Kampf gegen die Kriminalität“ bekannte sich laut der amtlichen Nachrichtenagentur LANA ebenfalls zu der Tat. Sie ist ebenfalls dem Innenministerium unterstellt.
NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und der britische Verteidigungsminister William Hague hatten Seidans sofortige Freilassung gefordert. UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon verurteilte die Verschleppung des Regierungschefs. Die Entführung müsse ein Weckruf für alle Libyer in den Zeiten des Wandels sein.
Demonstranten schossen auf Innenministerium
Seidan versuchte nach seiner Freilassung, die Lage zu beruhigen. Während einer Sitzung des Kabinetts sagte er, seine Entführung habe mit innerlibyschen Streitigkeiten zu tun. Ausländische Diplomaten oder Geschäftsleute hätten nichts zu befürchten. Die Sicherheitslage sei stabil. Der TV-Sender Libja al-Ahrar übertrug die ersten Minuten der Sitzung.
Er dankte einigen Milizionären, die sich für seine Freilassung eingesetzt hätten, und forderte sie auf, in die regulären Streitkräfte einzutreten. Nach Bekanntwerden der Entführung hatten sich Demonstranten vor dem Gebäude des Innenministeriums versammelt, in dem der Politiker festgehalten wurde. Sie forderten seine Freilassung und gaben Schüsse auf das Haus ab.
Twitter-Meldung gefälscht?
Verwirrung herrscht allerdings über eine Twitter-Meldung von Seidan nach seiner Entführung. „Wenn es das Ziel dieser Entführung war, mich zum Rücktritt zu bewegen, dann kann ich dazu nur sagen, dass ich nicht zurücktreten werde. Wir kommen nur langsam voran, aber wir sind auf dem richtigen Weg“, schrieb Seidan im Kurznachrichtendienst Twitter. Laut der Agentur Reuters soll allerdings der Twitter-Account gefälscht worden sein und es sich nicht um Aussagen von Seidan handeln.
Im Innenministerium festgehalten
Laut Regierungsangaben soll Seidan im Innenministerium festgehalten worden sein. Der Sprecher der Abteilung für Verbrechensbekämpfung im Innenministerium, Abdelhakim al-Balasi, hatte der staatlichen Nachrichtenagentur LANA zuvor gesagt, es handle sich nicht um eine „Entführung“, sondern um eine „Festnahme“.

EBU
Die Entführer stellten Bilder des Entführten ins Netz
Das Justizministerium hatte jedoch betont, die Staatsanwaltschaft habe keinen Haftbefehl für Seidan ausgestellt. Die Gruppe ehemaliger libyscher Rebellen erklärte hingegen, Seidan „auf Anordnung der Staatsanwaltschaft festgenommen“ zu haben. Parlamentspräsident Nuri Abu Sahmin, der Seidan nach eigenen Angaben in dessen kurzer Geiselhaft besucht hatte, sagte vor der Presse: „Es gibt keine Immunität für Revolutionäre.“
Vergeltung für Festnahme von Al-Kaida-Mitglied
Die Miliz hatte Seidan offenbar als Vergeltung für die Festnahme eines führenden Al-Kaida-Mitglieds in Tripolis entführt. Die Milizionäre begründeten ihre Tat damit, dass die libysche Regierung die Festnahme des Al-Kaida-Anführers Abu Anas al-Libi durch ein US-Sonderkommando gebilligt habe. Er wird auf einem Kriegsschiff im Mittelmeer festgehalten. Der Libyer soll 1998 an den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania beteiligt gewesen sein.
Die Gruppe erklärte, sie habe sich zu der Entführung entschlossen, nachdem US-Außenminister John Kerry erklärt habe, dass die libysche Regierung von dem US-Einsatz gegen Libi gewusst habe. Sie warf der Regierung Korruption und Gefährdung der nationalen Sicherheit vor. Viele Libyer hatten Seidan die Schuld für die Verschleppung Libis gegeben. Nach dem Verschwinden von Libi hatte es in Bengasi eine Protestaktion radikaler Islamisten gegeben.
Obama: Weitere Einsätze möglich
Einige der Milizen, die sich 2011 während der Kämpfe gegen Diktator Muammar al-Gaddafis Truppen gebildet hatten, äußerten ihren Unmut darüber, dass Ausländer mitten in der Hauptstadt einen libyschen Staatsbürger verschleppen können. Die Regierung hatte nach dem Vorfall die US-Botschafterin ins Außenamt zitiert, gleichzeitig aber betont, man hoffe weiterhin auf gute Beziehungen zu Washington. US-Präsident Barack Obama hatte erst am Dienstag das Vorgehen verteidigt und weitere entsprechende Einsätze in Aussicht gestellt.
Bei der Entführung Seidans im Hotel Corinthia, in dem viele Diplomaten und hohe Regierungsvertreter wohnen, fielen Wachleuten zufolge keine Schüsse. Es habe auch keinen Kampf gegeben. Der arabische TV-Sender al-Arabija zeigte Bilder, auf denen Seidan finster blickt und von einer Gruppe von Männern in Zivilkleidung umringt wird.
Seidan ist der erste gewählte Regierungschef Libyens. Der ehemalige Oppositionelle hatte in der Ära von Gaddafi im Exil gelebt, unter anderem im Irak und in Deutschland. Seidan hatte den Aufbau einer neuen Armee als Priorität genannt. Ein Jahr nach seinem Amtsantritt kommt der Aufbau der Armee und Polizei jedoch nur langsam voran. Erst am Montag besetzten Dutzende Soldaten den Amtssitz von Seidan, um die Auszahlung ausstehender Löhne zu fordern.
Probleme mit Ex-Rebellen und Islamisten
Das Land ist tief gespalten. Viele Regionen in Libyen gelten als unsicher. Die Regierung versucht, den Einfluss rivalisierender Stammesmilizen und radikaler Islamisten einzudämmen, die unter anderem um die Kontrolle über das lukrative Erdöl kämpfen. Zahlreiche frühere Rebellenmilizen weigern sich, ihre Waffen abzugeben, und versuchen mit Gewalt, ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. Wiederholt belagerten bewaffnete Demonstranten Behörden, Ministerien und das Parlament. Zudem liefern einander die Milizen sowie rivalisierende Stämme immer wieder blutige Kämpfe.
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