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Müllsammler als Wirtschaftsfaktor

Rund eine Million „Catadores“ leben in Brasilien vom Sammeln von Müll und Recyclingmaterial. Es sind vor allem Frauen, die aufgrund fehlender Arbeitsplätze, Armut und mangelhafter Ausbildung darin die einzige Möglichkeit sehen, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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Ihre Arbeit sichert nicht nur ihnen und ihren Familien das Überleben, sondern ist auch ein wichtiger Beitrag zum Umweltschutz in vielen brasilianischen Städten, wo Abfalltrennung und Recycling von den Behörden und Firmen nur rudimentär betrieben werden.

Effektiver als Behörden?

Die Sammler von Recyclingmaterialien, wie sie sich selbst nennen, übernehmen Aufgaben, die die Behörden nicht oder nur in geringem Ausmaß erledigen. Denn in vielen Städten steckt Abfalltrennung und Recycling noch in den Kinderschuhen. Wären nicht die „Catadores“, würde es sie wohl gar nicht geben. In Belo Horizonte etwa, einer Stadt mit ca. zwei Millionen Einwohnern, sammeln sie fast viermal so viel Abfall, wie es die Stadt tut, erklärt Luciano Marcos Pereira da Silva, Leiter der brasilianischen NGO INSEA im Interview mit ORF.at.

Die „Catadores“ leisten damit einen wichtigen Beitrag zu mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit - der Müll wird, anstatt verbrannt, zum Einkommen. Ein Einkommen, von dem allerdings in erster Linie die Industrie profitiert. Denn ein Großteil der Müllsammler arbeitet informell - sie sammeln recyclingfähige Abfälle wie Plastik oder Papier auf eigene Faust und verkaufen sie an Wiederverwerter. Rund 90 Prozent der Einnahmen durch das Recycling behalten die Firmen ein, die die „Catadores“ beliefern, so Da Silva.

Für die Müllsammler bleibt der klägliche Rest. Effizient ist das System aber dennoch, erklärt Jacqueline Elizabeth Rutkowski, die zu den Themen solidarische Ökonomie und nachhaltige Entwicklung forscht. Fast in keinem anderen Land würden beispielsweise PET-Flaschen so gut recycelt wie in Brasilien.

Kampf um Rechte während der WM

Immer mehr Müllsammler sind auch in sogenannten Kooperativen organisiert. Das bringt ihnen den Vorteil eines stabilen Einkommens, das etwas über dem Mindestlohn liegt, erklärt Da Silva, dessen NGO Müllsammler begleitet und berät. INSEA unterstützt auch die nationale Müllsammlerbewegung MNCR in den Verhandlungen mit der Regierung über eine Einbeziehung des vorhandenen Know-hows und ihrer Arbeitskraft in die Fußball WM 2014. Dort sind die „Catadores“ aufgrund der strengen FIFA-Regeln ausgesperrt. Stattdessen sollen Aufträge ausgeschrieben werden.

Für Rutkowski ist es unverständlich, warum nicht das Know-how und die Erfahrung der erprobten lokalen Abfallwirtschaftskräfte genutzt wird. Gerade bei solchen Großereignissen sei Umweltschutz immer ein Problemfaktor - sie plädiert dafür, dass deshalb der Müll nicht von Firmen in Verbrennungsanlagen „entsorgt“ wird, sondern die „Catadores“ eingebunden werden und der Müll dadurch recycelt wird. Damit würde man nicht nur verhindern, sie ihrer Lebensgrundlage zu berauben, sondern auch ein viel nachhaltigeres System unterstützen.

Petra Fleck, ORF.at

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