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Allzu Menschliches

Oft hört man Museumsdirektoren bei Präsentationen ihre jeweils neueste Ausstellung als Sensation anpreisen, während die Kuratoren unangenehm berührt auf den Boden blicken. Eine Ausnahme ist die Lucian-Freud-Schau im Kunsthistorischen Museum Wien (KHM): Sie ist tatsächlich einmalig.

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Kurator Jasper Sharp ging bereits als Kind beim 1922 geborenen Freud ein und aus, weil die beiden Familien befreundet waren. Auch später hatte er stets Zugang zum Atelier des Künstlers. Freud war gegen Ende seines Lebens der großen Ausstellungen längst müde, genauso wie die Leihgeber der Bilder, die sich bereits überstrapaziert fühlten. Aber für Sharp wurde eine Ausnahme gemacht.

Freud begann noch gemeinsam mit dem Kurator im Jahr 2010 die Planung der Schau, konnte sich dann aber aufgrund seiner schweren Erkrankung kaum noch beteiligen. Nur das Malen gab er bis zuletzt nicht auf. Noch zwei Wochen vor seinem Tod am 20. Juli 2013 stand er vor der Staffelei, wie ein Video beweist, aufgenommen von seinem langjährigen Assistenten David Dawson - und nun in der Ausstellung zu sehen.

Kein Hang zur Schöntuerei

Die Schau bietet einen umfassenden Überblick von einem der ersten jemals ausgestellten Bilder bis hin zum letzten Video, in dem man auch das vernachlässigte, abgelebte und unordentliche Haus Freuds sieht. Repräsentation und Schöntuerei war ihm offenbar im Privatleben genauso wenig wichtig wie in seinen Bildern.

Bild von Lucian Freud "Benefits Supervisor Sleeping" 1995

KHM/www.bridgemanart.com

Lucian Freuds „Benefits Supervisor Sleeping“ (1995)

Brutal oder sensibel?

43 Gemälde sind in der Ausstellung zu sehen. Besonders die Selbstporträts spiegeln die Weiterentwicklung von Freuds Stil wider - und er schont sich selbst genauso wenig wie seine Modelle. Zuerst waren die Gesichter noch flächig und hell, doch schon bald glichen sie eher der aufgewühlten See in einer Gewitternacht. Freud malte sich selbst, Freunde, Kollegen - und arbeitete nur zweimal mit einem professionellen Modell (eine davon war Kate Moss). In den ersten Jahrzehnten seines Schaffens entstand jener Stil, für den Freud berühmt wurde.

Ausstellungshinweise

Lucian Freud, 8. Oktober 2013 bis 6. Jänner 2014, KHM, dienstags bis sonntags 10.00 bis 18.00 Uhr, donnerstags 10.00 bis 21.00 Uhr.

Lucian Freud: Privat. Fotografien von David Dawson, 9. Oktober 2013 bis 6. Jänner 2014, Sigmund Freud Museum Wien, täglich 9.00 bis 18.00 Uhr.

Kritiker nannten ihn „brutal“. Gab es ein Bäuchlein, wurde es hervorgehoben, traurige Augen wurden einen Tick trauriger, Falten zu Furchen, Augenringe zu tiefen Tümpeln, Orangenhaut zur Mondlandschaft, Brüste zu wabernden Bergen. Freud überhöhte durch Farbe und Form, was für ihn eine Persönlichkeit ausmachte: die Brüche. Er stellte keine Monster zur Schau, sondern brachte Verborgenes zutage. Freilich: Stolz, Spaß an der Mimikry, Schelmentum - vieles, was Menschen auch ausmacht, blieb außen vor, das überließ Freud anderen.

Mutter bekleidet, Töchter nackt

Es gibt dabei Ausnahmen, besonders die Porträts seiner Mutter. Sie war nach dem Tod des Vaters depressiv geworden. Lucian Freud kümmerte sich um sie, besser gesagt, er band sie an sich, indem er sie über Jahre hinweg für mehrere Gemälde Modell sitzen ließ. In „The Painter’s Mother“ aus dem Jahr 1972 blickt die alte Dame zwar etwas angstvoll dem eigenen Tod entgegen, aber doch verschmitzt, es dominieren weiche Züge.

Ein Bild aus dem Jahr 1973 („Large Interior“, London W.9) zeigt Freuds damalige Geliebte Lady Jacquetta Eliot - nackt im Hintergrund - und im Vordergrund die Mutter des Künstlers, dunkel gekleidet, auf einem dunklen Stuhl sitzend. Auch seine Töchter malte er nackt - in aufreizenden Posen. Selten hat ein Kalauer so gut gepasst wie hier: Freud lässt grüßen. Der Maler selbst fand nichts dabei: „Meine Töchter verhalten sich so, dass ich kein Problem damit habe, sie zu malen. Es gibt nichts, wofür sich meine nackten Töchter schämen müssen.“

Freud, der Enkel

Dass Lucian Freud der Enkel von Sigmund Freud war, ist über den Promifaktor hinaus interessant. Nicht nur wegen der naheliegenden Assoziation - geschundene Körper, denen das Unbewusste sämtliche Enttäuschungen und Ängste des Lebens eingeschrieben hat -, sondern auch ganz konkret: Der Psychoanalytiker Freud nahm dem kleinen Lucian von Reisen stets Drucke klassischer Gemälde mit, die dann im Zimmer des Buben hingen. Und ein Buch über die Geschichte Ägyptens, das wohl ein Geschenk des Großvaters gewesen war, begleitete den Enkel sein Leben lang - er malte es sogar („Still Life with Book“).

Bild von Lucian Freud

KHM/www.bridgemanart.com

Freuds „Still Life with Book“ (Ausschnitt, 1991 bis 1992)

Gegen jede Mode

Seinem frühen Interesse für klassische Malerei und Geschichte ist es wohl zu verdanken, dass Freud jeglichen Moden resistent gegenüberstand. Zunächst recht erfolgreich - etwa auf der Biennale von Venedig 1954 vertreten - geriet Freud Ende der 60er Jahre in Vergessenheit. Kurator Sharp erzählt, dass Freud oft gefragt wurde: „Mit lebenden Modellen arbeiten, täglich stundenlang malen - wofür tust du dir das an?“ Kein Hahn krähte mehr nach Malerei - Installationen und Medienkunst waren angesagt.

15 Jahre lang, von Ende der 60er bis Anfang der 80er Jahre, sei Freud komplett erfolglos gewesen. Dennoch habe er eisern sein Arbeitspensum durchgehalten. An sieben Tagen die Woche wurde jeden Tag acht Stunden lang mit jeweils drei unterschiedlichen Modellen an drei verschiedenen Bildern gleichzeitig gearbeitet. Urlaub, das hieß für Freud: einmal nur an einem Stillleben arbeiten - ohne die anstrengende Interaktion mit Menschen. Den Stillleben wie auch den Landschaftsbildern sieht man diese Entspannung an.

Zwischen den Stühlen

Dass Freud der Malerei in einer Übergangsphase treu geblieben ist, merkt man auch daran, dass er im Kunstbetrieb mit seinem Werk zwischen den Stühlen steht. In rein kunsthistorische Museen passt er als Maler des ausgehenden 20. Jahrhunderts nicht unbedingt - auch aufgrund der Radikalität seiner Menschendarstellungen. In Museen moderner Kunst, so Kurator Sharp, wirke er aber ebenfalls deplatziert.

Lucian Freud mit Martin Gayford im Studio

KHM/Bridgeman Art Library/David Dawson

David Dawsons „Lucian Freud with ‚Man with a Blue Scarf‘“ (2004)

Im KHM wollte Freud seine eigenen Bilder nicht eins zu eins Klassikern gegenüberstellen. Das habe schon früher einmal nicht funktioniert und sei viel zu gewollt didaktisch dahergekommen. Nun ist Tizian, den Freud zeitlebens verehrte, in einem eigenen Raum neben den Freud-Räumen ausgestellt. In einem Video sieht man Freud, der nach seinen geliebten Tizian-Gemälden gefragt antwortet: „Mich interessiert nicht, wie sie gemalt wurden. Mich interessiert, wie sie auf mich wirken.“ Mit dieser Einstellung sollte man auch die sehenswerte Freud-Schau im KHM besuchen.

Simon Hadler, ORF.at

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