Für immer verlorene Wähler
Pro Jahr sterben in Österreich 70.000 Menschen im Alterssegment von 60 Jahren und mehr. Damit haben die Parteien seit der Wahl im Jahr 2008 350.000 Wähler der traditionell treuesten Wählergruppe verloren. Vor allem die ehemaligen Großparteien SPÖ und ÖVP sind davon betroffen. Sie werden bei Nationalrats- wie auch Landtagswahlen mit Abstand am meisten von älteren Wählern gewählt.
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Bei der deutschen Bundestagswahl 2013 waren bei der CDU/CSU Verstorbene für den größten Wählerabgang verantwortlich. Wie hat sich der Verlust vieler wichtiger Stammwähler bei Österreichs Parteien ausgewirkt? Offizielle Zahlen liegen dazu in Österreich nicht vor. Doch laut Experten bekommen die beiden Koalitionspartner diese Auswirkungen im Wahlergebnis durchaus zu spüren.
Jeweils über 50.000 Stimmen verloren
„Nimmt man an, dass die Wahlbeteiligung 2008 in der Gruppe der Senioren 50 Prozent betragen hat und letztes Mal 35 bis 40 Prozent SPÖ und 30 bis 35 Prozent ÖVP gewählt haben, hat die SPÖ 61.250 bis 70.000 Stimmen durch natürliche demografische Faktoren verloren, bei der ÖVP sind es 52.500 bis 61.250 Stimmen,“ so Christoph Hofinger vom Wahlforschungsinstitut SORA gegenüber ORF.at. „In Prozent der gültigen Stimmen also 1,2 bis 1,6 Prozent.“
Exakte Daten können aber selbst Experten nicht nennen. Denn hierzulande werden die Verluste durch Verstorbene bisher nicht in der Wählerstromanalyse berücksichtigt. Einzig jene, die zwischen der Erstellung des Wählerverzeichnisses und dem Wahltag verstorben sind, werden als Nichtwähler gelistet.
Anteil der Alten steigt weiter
Generell sinkt in Österreich die Zahl der Wahlberechtigten von Jahr zu Jahr bzw. von Wahl zu Wahl analog zur Bevölkerungsentwicklung in Österreich. Während die ältere Bevölkerung stark zunimmt, ist der Anteil der Kinder und Jugendlichen gesunken. Mit über 29 Prozent stellte die Generation der über 60-Jährigen bereits bei der letzten Wahl die meisten Wahlberechtigten.
Zwar standen den 350.000 Verstorbenen laut Statistik Österreich rund 348.000 wahlberechtigte Erstwähler gegenüber. Sie verteilen ihre Sympathien jedoch signifikant anders als die langjährig politisch sozialisierten Senioren. Damit bleibt eine Lücke in der Stammklientel der Koalitionspartner offen.
Laut Statistik Austria liegt das Durchschnittsalter der Wähler in Österreich derzeit bei 49 Jahren. „Das bedeutet, dass in zwei bis drei Wahlen das Durchschnittsalter fast 60 Jahre betragen wird und damit über dem jetzigen faktischen Pensionsalter von über 58,4 Jahren liegt,“ so der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier gegenüber ORF.at.
Größte Gruppe der Wahlberechtigten
Sowohl SPÖ als auch ÖVP wissen um das Altern ihrer Wähler. Bei den über 60-Jährigen sind beide Parteien weit voran, bei den Jungen liegen sie aber gleichauf mit FPÖ und Grünen. Die Konzentration auf Ältere sei jedoch nur kurzzeitig von Erfolg, so Filzmaier. „Wenn 16- bis 18-Jährige rund drei Prozent der Wahlbevölkerung ausmachen, so kann eine Partei um lediglich 0,3 Prozentpunkte insgesamt zulegen, wenn sie in dieser Gruppe um zehn Prozentpunkte (und das wäre sehr viel) über ihrem Durchschnittsergebnis bei allen Gruppen liegt. Dasselbe Plus bei den über 50-Jährigen würde hingegen 4,5 Prozentpunkte betragen (weil der zehnte Teil von rund 45 Prozent aller WählerInnen). Hier ist für eine Partei mit vielen älteren Wählern kurzfristig die Strategieentscheidung naheliegend, besonders die 50-plus-Generation ansprechen zu wollen und ebenda alle Stammwähler möglichst zur Wahlbeteiligung zu motivieren,“ so Filzmaier.
„Als Langzeitstrategie ginge es hingegen darum - vergleichbar mit der frühzeitigen Kundenbindung eines Unternehmens, das mit Jungkunden anfangs womöglich auch weniger Geld verdient, diese jedoch lange als Kunden binden möchte -, sich als Partei Jungwähler, die ja noch über viele Jahrzehnte wählen werden, möglichst früh zumindest wählbar zu machen, auch wenn sie nicht klassische Stammwähler werden,“ so der Wahlforscher.

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Die treuen älteren Wähler
Während SPÖ und ÖVP bei den Jungen unter einem Mobilisierungsproblem leiden, zählen die älteren Wähler zu den treuesten Unterstützern der alten Großparteien: 33 Prozent der Senioren wählten laut SORA-Befragung SPÖ, 30 Prozent ÖVP - hier hat die SPÖ bei den älteren Männern die Nase vorne, die ÖVP bei den älteren Frauen. Bestätigt wird das auch bei einem Blick auf das Wahlverhalten nach Berufsstand. Die SPÖ und die ÖVP liegen bei den Pensionisten vorne - und zwar nahezu gleichauf: 34 Prozent der Pensionisten haben SPÖ gewählt, 31 Prozent ÖVP.
Bei den Jungwählern liegen SPÖ, ÖVP, FPÖ und Grüne durchschnittlich mit 21 bis 23 Prozent in etwa gleichauf. Unterschiede gibt es unterdessen zwischen den Geschlechtern. Bei den Frauen bis 29 haben die Grünen mit 27 Prozent die Nase vorne (knapp vor ÖVP und SPÖ), nur zehn Prozent wählten FPÖ. Umgekehrt wählten 32 Prozent der jungen Männer FPÖ, aber nur jeweils 18 Prozent SPÖ und Grüne und 19 Prozent ÖVP.

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Die meisten Stammwähler bei ÖVP
Die treuesten Stammwähler verzeichnen die beiden früheren Großparteien SPÖ und ÖVP. 85 Prozent der ÖVP-Wähler 2013 gaben bei der Wahltagsbefragung der Institute SORA und ISA im Auftrag des ORF an, auch im Jahr 2008 die ÖVP gewählt zu haben. Bei den SPÖ-Anhängern blieben 83 Prozent seit 2008 loyal. Zum Vergleich: Bei der FPÖ waren das 62 Prozent, bei den Grünen nur 57 Prozent.
79 Prozent der SPÖ-Wähler gaben zudem an, ihre Wahlentscheidung nicht erst in den letzten Wochen, sondern bereits vor längerer Zeit getroffen zu haben. Bei der ÖVP waren das 74 Prozent. Spontan, also in den letzten Tagen vor der Wahl, haben sich nur acht Prozent der SPÖ-Wähler und zwölf Prozent der ÖVP-Wähler zur entsprechenden Stimmabgabe entschieden. Im Vergleich dazu waren es bei den Grünen fast ein Viertel der Wähler (22 Prozent), bei der FPÖ 17 Prozent, die sich kurzfristig entscheiden haben. Insgesamt haben sich laut Wahltagsbefragung 15 Prozent aller Wähler erst in den letzten Tagen vor der Wahl für eine Partei entschieden.
Beate Macura, ORF.at
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