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Verurteilt auch wegen Suchtgiftweitergabe

Im Fall Julia Kührer ist der Angeklagte Michael K. am Dienstag am Landesgericht Korneuburg des Mordes schuldig gesprochen und zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Geschworenen entschieden mit 7:1 Stimmen, im Fall der Suchtgiftweitergabe mit 8:0.

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Auf dem Grundstück des 51-jährigen Ex-Videothekbesitzers war im Juni 2011 die verbrannte Leiche der fünf Jahre zuvor aus Pulkau im Weinviertel verschwundenen 16-Jährigen gefunden worden. Er beteuerte in seinen letzten Worten vor der Urteilsberatung, dem Mädchen nichts angetan zu haben. Die Anklage hatte sich auf Indizien und Gutachten gestützt, die Staatsanwalt Christian Pawle in seinem Schlussvortrag darlegte.

Richter: Psychische Qualen für Familie

Einziger Milderungsgrund war die bisherige Unbescholtenheit des Angeklagten. Als erschwerend bezeichnete Richter Helmut Neumar in seiner Urteilsbegründung das abstoßende, pietätlose Verhalten nach der Tat (die Tote war in eine Decke gewickelt in Brand gesetzt worden, Anm.).

Julia Kührer sei im sehr jungen Alter auf gewaltsame Weise zu Tode gekommen, sagte Neumar. Die Familie hatte nicht einmal die Möglichkeit, zu trauern, sie habe um ihr Schicksal gezittert und gebangt, und ganz Österreich mit, verwies Neumar auf die Vorstellung, was alles passieren kann, wenn eine 16-Jährige nicht von der Schule heimkommt. Diese psychische Belastung und die Qualen der Familie seien bei der Strafbemessung berücksichtigt worden.

Anwalt: Geschworene überfordert

Das Urteil der Geschworenen, das der Angeklagte regungslos entgegennahm, ist nicht rechtskräftig. Verteidiger Farid Rifaat meldete Nichtigkeit und Berufung an. Im Anschluss zeigte sich der Anwalt enttäuscht über den Prozessausgang bzw. auch über die für einen derart komplexen Fall doch relativ kurze Beratungsdauer. Er hätte gemeint, dass die Mordfrage doch eine längere Diskussion erfordert hätte.

Dass die Laienrichter in der Frage der Suchtgiftweitergabe (Crystal Meth) einstimmig entschieden, überrasche ihn, hier hätte er einen „glatten Freispruch“ erwartet. Er glaube, dass die Geschworenen „überfordert“ waren und eventuell auch das Bauchgefühl eine Rolle gespielt habe - der Angeklagte habe nicht sehr sympathisch gewirkt.

Richter stellte zwei Fragen

Nach Abschluss der Verlesungen mehrerer Berichte - u. a. der Begründung des Oberlandesgerichts Wien aus 2011, als Michael K. nach seiner ersten Festnahme mangels begründeten Verdachts wieder freigelassen wurde - im Landesgericht hatte Richter Neumar am Dienstag die beiden Fragen verlesen, die die Geschworenen beantworten mussten. Die Hauptfrage lautet der Anklage folgend auf Mord, die zweite behandelt die Suchtgiftabgabe von Metamphetamin (Crystal Meth) an Kührer.

Formuliert wurde dahingehend, ob K. schuldig sei, das Mädchen vorsätzlich gewaltsam getötet zu haben - auf eine nicht mehr feststellbare Weise, wobei ein anhand der festgestellten Kieferverletzungen anzunehmender Schlag ins Gesicht angeführt wurde.

Staatsanwalt: „Wer wenn nicht“ der Angeklagte

Staatsanwalt Pawle stellte am Dienstag in seinem mehr als einstündigen Schlussvortrag dar, welche Vielzahl an Beweisen und Gutachten, verbunden mit der Motivlage und einem fehlenden Alibi, aus seiner Sicht für die Schuld des Angeklagten sprechen. „Julia Kührer ist am 27. Juni 2006 ermordet worden“, so Pawle.

Sie sei ihrem Mörder unmittelbar nach dem Verlassen des Schulbusses auf dem Heimweg begegnet - die Videothek des Angeklagten lag zwischen der Bushaltestelle am Hauptplatz und dem Wohnhaus, sein Handy war zu diesem Zeitpunkt in Pulkau eingeloggt. Kührer sei ein gesundes 16-jähriges Mädchen gewesen, so Pawle, K. ein hochgradig sexualisiertes Muskelpaket, ein „Mister Pit Bull, einmalig hart und brutal“, wie der „Free-Fighter“ selbst inseriert habe. „Wer wenn nicht er soll für Julias Tod verantwortlich sein“, so Pawle eindringlich.

„Erwürgen wahrscheinlichste Todesursache“

Ein Faustschlag ins Gesicht sei durch Oberkieferverletzungen - teils ausgeschlagene zwei Schneidezähne - bewiesen. "Dann hat er Kührer am Hals gepackt und zugedrückt. Erwürgen erscheint als die wahrscheinlichste Todesursache“, so der Staatsanwalt.

Die Version des Beschuldigten, jemand anderer habe ihre Leiche auf seinem versperrten Grundstück abgelegt, sei „lebensfremd und abwegig“. Das Hoftor des von allen Seiten hoch begrenzten Grundstücks sei immer abgesperrt gewesen, es habe zwei scharfe, wachsame Hunde gegeben. „Warum auch sollte sich jemand derart aufwendig, unter Gefahr einer Entdeckung durch den Hausbesitzer, einer Leiche entledigen wollen, dafür in einem fremden Anwesen nach einer Decke und Brandbeschleuniger suchen“, sagte Pawle und sprach von einer absurden Variante, der auch die Kriminalstatistik widerspreche.

Kührer wurde eingeschlagen in eine blaue Decke in der Kleidung vom Tag ihres Verschwindens und samt den Sachen, die sie am 27. Juni 2006 mithatte, verbrannt. Ein Fremdtäter hätte nach dem Brand noch einmal wiederkommen müssen, um die Überreste in den hintersten Keller zu schaffen, argumentierte der Staatsanwalt.

„Ausgeprägtes Interesse gehabt“

K. habe Kührer nicht nur Suchtgift - Crystal Meth - geliefert, sondern auch ein ausgeprägtes Interesse an ihr gehabt, verwies der Staatsanwalt auf entsprechende Zeugenaussagen bezüglich dessen sexistischen Verhaltens gegenüber Frauen ebenso wie auf jene von Ex-Freundinnen, die den „Wrestler“ als manipulativ, aggressiv, skrupellos und gewalttätig schilderten. Eine 16-jährige Praktikantin in der Videothek sei ständigen Übergriffen ausgesetzt gewesen. K. habe auch im Internet einschlägiges Interesse gezeigt, erinnerte Pawle an Suchabfragen zu u. a. Sex mit toten Frauen und „K.-o-Tropfen + Vergewaltigung“.

Metamphetaminkontakt der Schülerin sei durch gerichtsmedizinische Gutachten erwiesen, ebenso, dass Drogen in leeren DVD-Hüllen verpackt waren. DNA des Angeklagten fand sich auf der blauen Decke, Spurenfasern davon in seiner Wiener Wohnung. Der Leichenspürhund habe im Keller der Videothek „reges Interesse“ gezeigt - für Pawle ein Hinweis, dass K. die Tote dort „zwischengelagert“ habe, bevor er sie im Pkw nach Dietmannsdorf gebracht habe - in einem Fahrzeug, das trotz internationaler Fahndung nicht mehr gefunden worden sei.

Eine Mittätertheorie sei auszuschließen, für Pawle sei K. kein Märtyrer, der einen anderen decken würde. Der Ex-Freund der Schülerin habe für den Nachmittag und Abend ihres Verschwindens ein Alibi. Hingegen habe K. mehrmals gelogen und den Ermittlern anfangs als Zeuge Hinweise auf andere Verdächtige gegeben, um von sich abzulenken. Er habe die Situation kontrolliert und fünf Jahre lang dafür sorgen können, dass der verbarrikadierte Keller nicht betreten wurde.

Verteidiger: Vieles Spekulation

Der Verteidiger des Angeklagten, Rifaat, wandte sich in seinem Schlussplädoyer mit der Feststellung an die Geschworenen, ihre Aufgabe sei viel schwieriger, als es auf den ersten Blick scheine. Es gehe nämlich darum, die Aussagen der Zeugen nach ihrem Wahrheitsgehalt zu bewerten, so Rifaat. Vieles in dem Fall sei Spekulation.

Sicher wisse man einzig und allein, dass Kührer am 27. Juni 2006 um 13.30 Uhr auf dem Hauptplatz in Pulkau den Bus von der Schule kommend verlassen hatte. Danach wurde sie von niemandem mehr gesehen. Die Spekulation fange also schon beim von ihr gewählten Heimweg an - die Videothek lag zwischen dem Hauptplatz und dem Wohnhaus -, und setze sich fort. Der nächste Fakt sei dann erst wieder die Auffindung der Leiche am 30. Juni 2011.

Logik der Anklage kritisiert

Nach Annahme des Staatsanwalts soll sein Mandant die 16-Jährige in der Videothek geschlagen und gewürgt haben - „es gab keinen Schrei, gar nichts“, erinnerte der Anwalt an Zeugen, die nichts gehört hatten. Er ging ausführlich auf unterschiedliche, einander teilweise widersprechende Aussagen ein, insbesondere auf jene der Belastungszeugin, die als Einzige dabei gewesen sein wollte, als K. Kührer Drogen verkauft habe.

Seltsam sei, dass die nach eigenen Angaben „Vertraute“ Kührers in deren engstem Freundeskreis nicht bekannt war. „Pulkau ist nicht Chicago. Ein jeder kennt jeden“, meinte Rifaat. Die Konstruktion des Staatsanwaltes passe in ihrer Logik nicht zusammen.

„Jede Variante denkbar“

Außerdem hätte K. 2010 wohl kaum einer freiwilligen Nachschau auf seinem Grundstück zugestimmt, ohne vorher etwas zu unternehmen, wenn er von der deponierten Leiche gewusst hätte. Als Eigentümer hätte er alle Zeit der Welt gehabt, die Überreste vom Anwesen zu bringen.

Die DNA-Spur auf der blauen Decke könnte auch durch einen Hund seines Mandanten übertragen worden sein, meinte Rifaat. Zur nicht feststellbaren Todesursache hielt er fest, dass jede Variante denkbar sei. Ein - vom Staatsanwalt angenommener - Faustschlag wäre noch lange kein vorsätzlicher Mord. Im Zweifel sei der Angeklagte freizusprechen. K. schloss sich den Worten seines Verteidigers an. Er sagte: „Ich habe keinen Grund gehabt, Julia etwas anzutun.“ Wenn er gewusst hätte, dass er eine Leiche im Keller habe, hätte er sich anders verhalten.

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