Themenüberblick

Die beschränkte Natur des Menschen

Der norwegische Künstler Amund Sjolie Sveen hat sich mit einem hehren Ziel in die Wirtschaftstheorie eingearbeitet: Er will möglichst vielen Menschen mit seinen Performance Lectures möglichst viel über das Finanzwesen beibringen. Dass ein Wissenschaftler so komplexe Dinge niemals so knapp erklären würde wie er, gesteht er ein - aber darum gehe es ja gerade.

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ORF.at: Vor zehn Jahren wurden Künstler, die den Kapitalismus kritisierten, ausgelacht, als naiv und vorgestrig. Heute drehen sich wichtige Ausstellungen wie die Documenta um nichts anderes.

Sveen: Was seither passiert ist? Die Finanzkrise! Damals galt Kapitalismuskritik als vorgestrig, weil es mit der Wirtschaft bergauf ging, auf eine goldene Leiter, für sehr viele Menschen. Die Kritik schien damals nicht zeitgemäß - verständlicherweise. Heute geht es bereits seit Jahren steil bergab. Und genau das ist das wichtigste Thema, über das man sprechen muss.

ORF.at: Genauso vorgestrig schien es noch vor einigen Jahren, wenn man sagte, dass es ein Thema gibt, mit dem sich Künstler beschäftigen müssen. Gibt es heute eine Pflicht für Künstler, sich mit Kapitalismuskritik zu beschäftigen?

Sveen: Auf jeden Fall. Man trägt als Künstler Verantwortung. Diese Verantwortung hat auch mit der Förderung von Kunst durch die öffentliche Hand zu tun. Wenn du als Künstler richtig findest, dass du von der Allgemeinheit Geld bekommst, dann hast du auch die Pflicht, zu Themen zu arbeiten, die für die Allgemeinheit von Relevanz sind. Natürlich kann man dann die Frage stellen, was überhaupt relevant ist. Das ist natürlich wieder subjektiv.

Ein Dokumentarfotograf hat unlängst zu mir gesagt, er sucht beim Fotografieren nach Orten, bei denen es noch etwas bewirken kann, wenn man sie abbildet. Er will etwas aus den dunklen Ecken der Gesellschaft herausholen, das die Menschen sehen sollten. Das bringt es gut auf den Punkt, finde ich.

Aber die Relevanz bleibt subjektiv. Manche Menschen sagen, ihnen sei die Krise egal, sie hätten noch ihre Wohnung, ihren Fernseher und ihr I-Phone. Warum sollte denen die Krise nicht egal sein?

Sveen: Diese Frage zielt haargenau ins Zentrum der Debatte, in die Tiefe: Wer sind wir als Menschen? Wir blicken meist nicht über unseren eigenen Tellerrand hinaus. So sind wir als Menschen gestrickt. Diese Frage stelle ich auch in meinen Performance Lectures: Für welche Art von Umgebung war unser Gehirn eigentlich gedacht? Wir sind nur sehr begrenzt empathisch. Wenn unser Nachbar seinen Job verliert, finden wir das wichtig. Aber wenn die Griechen ihre Jobs verlieren, ist uns das egal.

Gleichzeitig sind die Möglichkeiten, diese natürlichen Grenzen zu überschreiten, auch enorm. Ich finde, wir alle tragen Verantwortung für die ganze Menschheit. Es ist ja niemand gefeit davor, betroffen zu sein. Heute sind es die Griechen, morgen kann es jeder andere sein. Niemand ist in Sicherheit. Außer vielleicht wir Norweger. Wir haben das Öl.

Amund Sjolie Sveen

ORF.at/Simon Hadler

Amund Sjolie Sveen: „Economic Theory for Dummies“

In Ihrem Beitrag zum Themenheft des steirischen herbsts schreiben Sie, dass die Menschen keine Ahnung hätten, wie die US-Immobilienkrise mit der Krise in Griechenland zusammenhängt. Also: Wie hängen die zusammen?

Sveen: Es gibt keinen Masterplan von oben in der Weltwirtschaft. Alles ist stetig in Bewegung, die Systeme sind komplex. Die Politiker sind mit ihren Gesetzen immer hintennach. Die großen Banken arbeiten ja nicht auf nationaler, sondern auf globaler Ebene. In der Wirtschaft hängt alles mit allem zusammen. Die USA sind groß und stehen im Zentrum. Da betrifft so etwas wie die Kreditkrise die ganze Welt.

Sogar Wirtschaftswissenschaftler finden es schwer, so etwas zu erklären. Schulden können weitergegeben werden. Wenn ich Ihnen einen Gefallen schulde, betrifft das nur die Beziehung zwischen uns beiden. Diese Schuld kann nicht weitergegeben werden. Wenn ich Ihnen Geld schulde, dann können Sie diese Schuld weiterverkaufen, zum Beispiel an jemanden in Griechenland. Genauso machen das die Banken. Sie verkaufen Schulden und verpacken sie neu. Heute hat man seine Schulden nicht bei seiner Bank, sondern bei irgendjemand anderem.

Aber die Banken haben die Kontrolle darüber verloren. Sie wussten nicht, was sie taten. Sie haben die Krise nicht vorhergesehen. Manchmal kann man das Finanzsystem mit Frankenstein vergleichen. Er wurde kreiert, aber niemand konnte ihn später kontrollieren. Man wollte nicht, dass er so wird.

ORF.at: Und wie sollen jetzt verständliche Kunst über etwas machen, das eigentlich kaum jemand versteht?

Sveen: Genau da kommen meine Lecture Pervormances ins Spiel. Es verwischen sich da die Grenzen zwischen einer normalen Vorlesung und Kunst. Und die Grenze verschwimmt immer mehr. Die Idee dahinter ist ganz klar, Menschen etwas über die Wirtschaft beizubringen. Vielleicht habe ich ja auch das Feld der Kunst schon ganz verlassen, keine Ahnung. Es gibt nur wenig Musik, meistens rede ich - und es gibt sogar PowerPoint. Es ist also eine Vorlesung. Natürlich, die Art und Weise, wie ich die Informationen aneinanderreihe, und auch meine Rhetorik sind anders als bei einer Vorlesung. Ursprünglich bin ich Musiker.

ORF.at: Im Zug nach Graz vorhin hat eine alte Frau auf dem Bahnhof aus dem Fenster geblickt und gemeint: „Keine Ahnung, ob das stimmt, und ich weiß auch nicht, warum, aber ich habe das Gefühl, dass die Reichen seit Jahren reicher und die Armen ärmer werden.“ Was können Sie ihr antworten?

Sveen: Natürlich hat sie recht. Jede Statistik sagt dasselbe. Aber die große Millionen-Dollar-Frage ist für mich: Warum lässt es sich der Großteil gefallen, dass er ärmer wird?

ORF.at: Und warum?

Sveen: Da sind wir wieder bei der Natur des Menschen. Wir sind sehr anpassungsfähig. Egal wie eine Situation ist, wir versuchen, das Beste aus ihr zu machen. Die Wirtschaft ist weitläufig, die Fragen sind groß, es ist einfacher, uns nur mit unserer Umgebung zu beschäftigen. Vielleicht ist das ja auch ein großartiger Wesenszug des Menschen. Es ist schön, dass der alten Frau der Unterschied trotzdem auffällt. Im Prinzip tun wir dasselbe wie sie: Wir sehen es, erwähnen es vielleicht, und dann gehen wir weiter und trinken einen Kaffee und wählen bei der nächsten Wahl wieder die Konservativen.

Amund Sjolie Sveen

ORF.at/Simon Hadler

Sveen will sich nicht auf einfache Antworten festnageln lassen. Das Wesen des Finanzwesens sei gerade seine Komplexität.

ORF.at: Viele Menschen suchen Alternativen, etwa Fair Trade, Bioprodukte, Urban Gardening, Fahrrad- statt Autofahren... Gibt es den einfachen Weg raus aus dem problematischen kapitalistischen System für den Einzelnen?

Sveen: Nein, gibt es nicht. Das meiste davon passiert auf einem privaten Level. Aber das ökonomische System zu verändern ist eine Bärenaufgabe. Mit dem Fahrrad in die Arbeit zu fahren, das schafft man leicht. Sicher kann man sagen - und es ist nicht einmal ganz falsch: Wenn alle Menschen nur noch mit dem Fahrrad fahren, dann ist die Welt gerettet. Wenn man das große Ruder nicht herumreißen kann, macht man eben, was gerade in der eigenen Macht steht. Aber viel wird das nicht ändern, solange von dem ganzen System immer noch nur einige wenige profitieren.

Das heutige System ist für wenige großartig, ganz okay für ziemlich viele, für viele aber auch sehr schlecht. Die Frage ist - sollen wir uns damit zufriedengeben? Das denke ich nicht. Das System könnte viel besser sein.

ORF.at: Sie sagen, es gibt keinen Masterplan, der das System so erhält, wie es ist. Aber Einzelne - die am meisten profitieren - kann man doch verantwortlich machen? Die setzen Ihre Macht doch ein, damit das System bleibt, wie es ist?

Sveen: Natürlich kämpfen die gegen einen Wandel an. Dass es keinen Masterplan gibt, heißt ja nur, das sich das System aufgrund vieler Faktoren über einen langen Zeitraum zu dem entwickelt hat, was es heute ist. Es ist niemand da oben gesessen und hat entschieden, dass es so sein muss. Natürlich sitzen aber dann an jeder Ecke Menschen, die versuchen, das System für sich selbst besser zu machen. Die, die die meiste Macht haben, profitieren logischerweise am meisten davon, dass sich nichts ändert.

Das ist Teil des Problems. Die Möglichkeiten der Politik sind deshalb begrenzt. In Norwegen waren gerade Wahlen. Die Sozialdemokraten haben nach acht Jahren an der Macht verloren, die Konservativen übernehmen. Die Wirtschaftskommentatoren haben nur geschrieben: Ändern wird sich sowieso nichts. Die Politik hat kaum Einfluss. Das System ist, wie es ist, wir sind nur ein kleines Land in einer großen Welt. Es wird nur kosmetische Änderungen geben, die einen Wechsel symbolisieren sollen.

Damit wollen die Kommentatoren nicht sagen, dass die Macht irgendwo anders als bei den Politikern ist. Sie wollen sagen, dass das System so komplex geworden ist, dass es für jeden schwer geworden ist, es zu beeinflussen. Es ist schwer zu durchschauen und letztlich nicht vorhersehbar. Selbst die Zentralbanken tun sich schwer, noch irgendetwas zu beeinflussen - und die drucken immerhin das Geld. Mich wundert, dass sie nicht mehr darauf drängen, mehr zu regulieren. Das ist seltsam.

Das führt weiter zur Frage: Brauchen wir Wachstum? Und noch weiter zurück: Was macht uns als Menschen glücklich? Das Wirtschaftssystem hat schon vor langem das Ziel verloren, Glück zu maximieren. Das sollte doch das Ziel sein! Ich glaube nicht, dass uns noch ein Auto und noch drei Flachbildschirme aus China glücklicher machen. Wenn wir diese Bedürfnisse zurückschrauben würden, könnte viel auf gute Art und Weise umorganisiert werden. Das jetzige System mag für Wachstum gut sein. Aber wenn uns das Wachstum nicht glücklich macht, brauchen wir es auch nicht.

Und für einen wirklichen Wandel werden Proteste wie jene in New York oder Athen nicht viel nützen. Die brachten kurzfristig Hoffnung, aber die Energie verpuffte rasch. Was ich mir wünschen würde, wäre eine große Bewegung auf dem politischen Parkett, die diese Themen voranbringt.

Das Gespräch führte Simon Hadler, ORF.at

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