Wo sich Realität und Fiktion spiegeln
„Alle Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und realen Handlungen sind rein zufällig“ - solche oder ähnliche Disclaimer kennt man aus Film und Fernsehen, und nicht selten kommen sie gerade dann, wenn Parallelen zur Realität sich nahezu aufdrängen. Vor allem in Politserien legen Produzenten und Drehbuchautoren viel Wert darauf, spannende Geschichten zu erzählen und trotzdem einen realistischen Blick hinter die Kulissen zu werfen.
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Demensprechend verwundert es auch gar nicht, wenn sich in gut gemachten TV-Serien Wirklichkeit und Fiktion immer wieder gegenseitig überholen. Bestes Beispiel dafür ist der dänische Exporthit „Borgen - Gefährliche Seilschaften“, der die erste Frau an der Spitze Dänemarks schon ein Jahr vor der Wahl Helle Thorning-Schmidts zur Premierministerin vorwegnahm und im Laufe von drei Staffeln bereits mehrmals echte politische Debatten antizipieren konnte.
Laut Jeppe Gjervig Gram, einem der drei Autoren der Serie, hat eine Studie der Universität von Kopenhagen ergeben, dass sich „Borgen“-Seher durch die Sendung zwar nicht in ihrer politischen Meinung beeinflussen ließen, sich allerdings generell mehr für politische Abläufe interessierten, seitdem sie die Serie sähen. Das funktioniert vor allem deshalb, weil „Borgen“ parlamentarische Entscheidungsprozesse ungewöhnlich spannend erzählt, ohne dabei auf Komplexität zu verzichten.
Das „Borgen“ der Amerikaner
Um an den Erfolg anzuknüpfen, hat der amerikanische Sender NBC die Rechte an „Borgen“ für eine US-Adaptation der Serie erworben. Zudem wurde „Borgen“ nicht nur in alle skandinavischen Länder verkauft, sondern auch nach Westeuropa, Großbritannien, in die USA, nach Brasilien und Australien. Das ist nicht neu für den dänischen Rundfunk, schon mit „The Killing“ (Titel des Originals: „Forbrydelsen“, deutsche Version „Kommissarin Lund: Das Verbrechen“) haben sich US-Produzenten äußerst erfolgreich an einem Serienremake versucht.

AP/NBC
„‚The West Wing‘ ist eine Serie über ein Footballteam, das für einen Präsidenten spielt“
In Sachen Politik ist das freilich ungleich schwerer, ist doch eine Multiparteienpolitik in den USA fernab jeglicher Vorstellungskraft. Und auch wenn in „Borgen“ die Mitarbeiter rund um die Premierministerin eine gewichtige Rolle spielen, bleibt das zentrale Motiv die permanente Suche nach Mehrheiten, von der Regierungsbildung bis zur Koalitionsarbeit.
Zieht man das ab und legt das Konzept auf die USA um, ist man wieder dort, wo auch die „Borgen“-Macher die eine oder andere Anregung gefunden haben sollen: bei „The West Wing - Im Zentrum der Macht“. Das ist ein Vergleich, den der Erfinder von „Borgen“, Adam Price, wiederum gar nicht so gern hört. „‚The West Wing‘ ist eine Serie über ein Footballteam, das für einen Präsidenten spielt. In ,Borgen‘ geht es um Charaktere aus verschiedenen politischen Lagern, die primär gegeneinander spielen“, so Price gegenüber der britischen Zeitung „The Guardian“. „Ich bin ein großer Fan von ‚The West Wing‘, aber ich glaube wirklich, diese Serie ist völlig anders.“
Ein TV-Präsident, der Wahlen gewinnen würde
Tatsächlich erinnert schon der Vorspann von „Borgen“ an „The West Wing - Im Zentrum der Macht“, und die Serienfigur Birgitte Nyborg ist in Dänemark mindestens ebenso beliebt wie Josiah Bartlet (Martin Sheen) als demokratischer US-Präsident in der von 1999 bis 2006 ausgestrahlten TV-Produktion. „Ist doch klar, dass Martin Sheen die beiden Bewerber um das Präsidentenamt an der Wahlurne schlagen würde“, sagte John Wells, Mitschöpfer der NBC-Erfolgsserie „E. R.“ und Koproduzent von „The West Wing“ der „New York Times“ vor der Präsidentschaftswahl 2000.
Drehbuchautor Aaron Sorkin („The Social Network“) räumte ein, dass seine Hauptfigur „schon ein wenig dem Wunschdenken entgegenkommt“. Die Leute hätten es satt, dass echte politische Führer in der „populären Kultur ansonsten meist als Tölpel oder als Teufel dargestellt werden“. Zum Nachfolger für Bartlet wählten die „West Wing“-Autoren Senator Matt Santos (Jimmy Smits), für den sie sich den damaligen Abgeordneten Barack Obama zum Vorbild genommen hatten.
Um die politischen Vorgänge und vor allem die Entscheidungswege der US-Regierung möglichst plausibel und realitätsnah erzählen zu können, engagierte man unter anderem Bill Clintons frühere Pressesprecherin Dee Dee Myers und Marlin Fitzwater, einen ehemaligen Sprecher Ronald Reagans, als Berater.
„Kanzleramt“: Politiker sind auch nur Menschen
Inspiriert von „The West Wing“ versuchte sich 2005 auch das ZDF in einer eigenen Serie über das politische Milieu in Deutschland. Unter dem Titel „Kanzleramt“ und mit dem permanenten Subtext „Politiker sind auch nur Menschen“ gaben die Drehbuchautoren - im Gegensatz zu jenen von „Borgen“ - offen zu, sich an „The West Wing“ zu orientieren. Die Serie wurde allerdings nach nur einer Staffel mit zwölf Folgen eingestellt, da sowohl Kritiken als auch Einschaltquoten nicht den Erwartungen entsprachen.
Beanstandet wurde vor allem, dass der politische Alltag völlig realitätsfern erzählt wurde. Auch deutsche Politiker äußerten sich dementsprechend, das wahre Leben sei „härter und hektischer“. Der ehemalige Planungschef im deutschen Bundeskanzleramt (1999 bis 2002) nannte die amikalen Töne zwischen TV-Kanzler und Ministern gar einen „völligen Quatsch“. „Alles wird gut, will uns das Fernsehen sagen. Politik aber ist grausam, vor allem zu ihren Repräsentanten. Sie lässt Freundschaft nicht zu“, zitierte das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ den Politiker.

ZDF
Das wahre Politikerleben soll härter sein als das in der Serie „Kanzleramt“ gezeigte
Man hätte ja auch nicht versucht, eine Nachrichtensendung weiterzuerzählen, konterten die Drehbuchautoren im selben Artikel. „In der Serie ticken die Uhren natürlich anders. Politische Probleme werden in einem Bruchteil der Zeit, die normalerweise notwendig wäre, gelöst. Alles ist stark verdichtet, verkürzt, sicher auch vereinfacht. Aber das ist eben Fiktion. Wir machen keine Dokumentation über Politik in Deutschland.“
Der Stoff für das Österreich-Pendant
Wie würde eine Politdramaserie in Österreich aussehen? Eine Mischung aus den unterschiedlichen Formaten würde sich anbieten. Die Realität gibt jedenfalls viel Stoff für ein Drehbuch her, schaut man sich alleine die letzten Monate vor der Nationalratswahl an: Hickhack zwischen Regierung und Opposition, innerhalb der Koalition und innerhalb der Parteien genauso wie unerwartete Ereignisse (Hochwasser, Dürren und Chronikales). Und wie in den internationalen Serienvorbildern wird auch die Realität wieder zeigen: Nach der Wahl ist vor der Wahl - und immer wieder passiert es, dass man sich im falschen Film wähnt.
Sophia Felbermair, ORF.at
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