Beispielloses Ungleichgewicht
Fünf Jahre ist es her, dass die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers gleichermaßen Finanzwelt, Politik und nicht zuletzt Verbraucher nachhaltig in den Abgrund gerissen hat. Mit hyperriskanten Finanzwetten auf den US-Immobilienmarkt hatte sich der Wall-Street-Gigant selbst - und in der Folge auch vielen anderen - ein Grab geschaufelt. Doch nicht alle gehen angeschlagen aus der Krise hervor.
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Schließlich wurden unvorstellbare Milliardensummen zur Rettung von Krisenbanken eingesetzt, aber auch ein neues internationales Regelwerk geschaffen, das solche Krisen in Zukunft verhindern soll. Nach wie vor sind die Leitzinsen der US-Notenbank Fed und auch der EZB auf ein Rekordtief abgesenkt, um die Wirtschaft mittels ultralockerer Geldpolitik wieder in Schwung zu bringen. Zumindest auf den Aktienmärkten macht sich diese Maßnahme inzwischen bemerkbar, besonders auf den US-Handelsplätzen können neue Höhenflüge abgefeiert werden.
Die oberen zehn Prozent
Neue Höhenflüge, von der besonders Reiche in beispiellosem Maße profitieren, wie eine aktuelle Studie der renommierten Ökonomen Emmanuel Saez and Thomas Piketty von der Berkeley-Universität in Kalifornien veranschaulicht. Diese weist aus, dass die oberen zehn Prozent der Einkommensbezieher in den USA im Vorjahr mehr als die Hälfte des Gesamteinkommens für sich verbuchen konnten. Dabei handelt es sich den Angaben der Studie zufolge um den höchsten Anteil für diese Gruppe seit Beginn der Aufzeichnungen vor einem Jahrhundert.

Reuters/Kevin Coombs
Eine Versammlung in der Lehman-Brothers-Niederlassung in London am 11. September 2008. Vier Tage danach wurde Insolvenz beantragt - die internationale Krise nahm ihren Lauf.
Geldvermehrung vs. Stagnation
Noch klarer wird das Verhältnis unter Betrachtung des obersten „Einkommensprozents“ der Bevölkerung - auf dieses entfällt ein Fünftel des Gesamteinkommens aller US-Bürger. Auch diesen Umstand weist die Studie als historisch bedeutsam aus, es handle sich den Angaben zufolge um das höchste Level seit 1913 - jenem Jahr, in dem erstmals eine Einkommensteuer eingehoben wurde. Auf den Punkt gebracht heißt das: Jene, die über höhere finanzielle Rücklagen bzw. in größerem Maße über Aktien und Anleihen verfügen, gehen aus der aktuellen Krise in beispiellos gestärkter Weise hervor.
Die Studie weist besonders die seit dem Einbruch mittel- und langfristig kontinuierlich gestiegenen Aktienkurse als jenen Aspekt hervor, der das gesellschaftliche Ungleichgewicht immer weiter ansteigen lässt. Nach der Talsohle des Dow Jones im Jahr 2009 ist dieser mittlerweile auf doppelt so viele Punkte angestiegen, Anleger konnten also große Gewinne mitnehmen. Etwa die Hälfte der US-Bürger hält Aktien oder Fonds - allerdings sind diese Anteile klar verteilt: Die obersten zehn Prozent (wiederum nach Einkommen klassifiziert) halten 90 Prozent der Aktien.
Druck unverhältnismäßig höher
Im Gegensatz dazu sind jene, die als „klassische“ Einkommensbezieher finanziell weniger breit aufgestellt sind, vor allem mit niedrigen Sparzinsen und Reallohnverlusten konfrontiert - die Nachwirkungen der Krise sind für diese Gruppe weiter virulent. Diese Gruppe ist von Arbeitslosigkeit weit stärker betroffen, aufgrund der finanziellen Abhängigkeit ist der Druck auf dem Arbeitsmarkt auf den Einzelnen viel höher. Zudem stehen Arbeitsgeber nicht unter Druck, höhere Löhne zu zahlen - schließlich übersteigt bei Jobs die Nachfrage das Angebot deutlich.
Ende des Ungleichgewichts nicht in Sicht
In Zahlen gegossen, zeichnen die Ergebnisse der Studie ein klares Bild: Das oberste Prozent der Einkommensbezieher musste zwar während der Rezession einen Einkommenseinbruch von 36 Prozent hinnehmen, im Zuge der wirtschaftlichen Erholung legte das Gesamteinkommen aber wieder um 31 Prozent zu.
Völlig anders verhielt es sich bei den Einkommen der übrigen 99 Prozent: Diese mussten in der Rezession zwar nur zwölf Prozent Einbruch (freilich auf einem weit niedrigeren Einkommensniveau, Anm.) erleiden, doch der Anstieg lag bei dieser Gruppe im selben Zeitraum bei gerade einmal 0,4 Prozent. Gesamtheitlich gesehen hat also ein Prozent der Einkommensbezieher seit Ende der Rezession etwa 95 Prozent der Zuwächse für sich verbuchen können.
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