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„Das Techno-Ding setzt eins drauf“

Im losen E-Mail-Wechsel über mehrere Tage hinweg hat Sven Regener 2013 mit ORF.at über seinen damals neu erschienenen Roman „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ gesprochen. Nun läuft die Verfilmung in den Kinos an.

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ORF.at: Herr Regener, Techno wäre jetzt nicht das Erste gewesen, was einem zu Ihnen einfällt. Da feiert seit Jahren die analoge Musik ihre Renaissance - Element of Crime passt da gut hinein - und Sie schreiben ein Buch, in dem alte Techno-Haudegen auf die ersten Jahre der Bewegung zurückblicken. Wieso?

Regener: Das, Herr Hadler, mit dem nicht das Erste, was einem einfällt, ist nicht schlimm. Wo wären wir denn, wenn alle immer nur das machten, was man von ihnen erwartet. Wobei „Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt“ ja nun kein Techno-Roman ist. Und auch kein Musikroman. Sondern ein Roman über die Abenteuer des Karl Schmidt, der einen Sprung in der Schüssel hat und den Weg zurück in ein normales Leben sucht. Allerdings auf etwas ungewöhnliche Weise.

ORF.at: Aber sie sprechen eine sehr grundsätzliche Frage an. Ob Rock ’n’ Roll oder Techno ohne Drogen und Alkohol funktionieren. Karl ist ja nach einer Therapie „auf dem Trockendock“, mitten im Techno-Dschungel zwischen Schrankenhusen-Borstel und Berlin. Das ist ja das Ungewöhnliche. Gibt es doch ein „richtiges Leben“ im „falschen“?

Regener: Es gibt hier kein richtiges Leben und kein falsches. Das Angenehme an Karl Schmidt ist ja gerade, dass er das, was die anderen machen, nicht wertet. Das ist auch für ihn selber und seine Chancen, klarzukommen, Gold wert. Und die Frage, von der Sie sprechen, betrifft ja nicht nur Rock ’n’ Roll oder Techno, sie betrifft jede Betriebsweihnachtsfeier, jeden Geburtstag, jedes Grünkohlessen. Das macht den Weg des Karl Schmidt ja gefährlich. Das Techno-Ding setzt nur noch eins drauf gewissermaßen.

ORF.at: Karl Schmidt ist ein grundgütiger Mensch. Sein bösestes Urteil ist „der alte Quatschkopf“, und selbst das meint er lieb. Sie vermitteln - zumindest mir - in Ihren Büchern und Songs einen ähnlichen Eindruck. Sind sie kein Freund der Radikalität, der ideologischen Strenge bis in den Alltag hinein?

Regener: Ich glaube, die Güte von Karl Schmidt kommt vor allem durch Verunsicherung. Er hat keine Vorurteile mehr, und die Regeln, die er sich setzt, stammen von anderen, er übernimmt sie nur nach Bedarf. Auch das ist natürlich gefährlich für ihn. Denn ihm fehlt der innere Kompass. Er ist dabei aber kein gütiger Tor oder idiot savant o. Ä. Jeder weiß: In der Not kann er einem auch immer noch eine knallen. Ich selber bin sicher kein Freund der ideologischen Strenge, wozu auch. Aber das macht mich nicht unbedingt gütig, das kann ich Ihnen versichern, gütig wäre bei einer Selbstbeschreibung nicht das Attribut meiner Wahl.

ORF.at: Ich weiß nicht, ob man darauf eine Antwort geben kann, die nicht zu sehr ins Private geht - aber hier muss ich natürlich nachhaken, das gebietet die Neugier: Wieso und wem und was gegenüber nicht gütig?

Regener: Grundgütig zu sein, wer würde das von sich selbst behaupten? Sie etwa? Und wenn Sie es bestritten, müssten Sie das dann wirklich mit Beispielen belegen? Ich hoffe nicht.

ORF.at: Es hätte sein können, dass hinter der dezidierten Ablehnung des Worts ein philosophischer Gedanke oder eine Grundhaltung steckt. Aber zu etwas anderem: Im Lehmann-Universum gibt es einige Charaktere, die es weiterzuverfolgen lohnen würde. Könnte es nach Karl noch andere Abstecher/Porträts geben?

Regener: So was weiß man nie. Prognosen sind immer dann besonders schwierig, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen. Aber ich habe im Augenblick noch keine solchen Pläne. Und wenn, dann würde ich sie nicht verraten.

ORF.at: Zurück zu Karl: Latent aggressiv sein, das Gegenüber anrennen und als Vollidiot dastehen lassen kann schon im Kindergarten jeder Depp. Da hat man billig die Lacher auf seiner Seite. Ist Karl nicht gerade deshalb ein Held, weil er es trotz fehlenden „inneren Kompasses“ schafft, sein Gegenüber kommunikativ leben zu lassen, egal wie viel Blödsinn der oder die spricht oder macht?

Regener: Er ist mir wie ein Freund, und was immer Sie Gutes über ihn zu sagen haben, ist mir recht und freut mich. Allerdings ist er vielleicht nicht trotz, sondern wegen des fehlenden Kompasses so, wer weiß das schon.

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