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Von Schirachs Abgrenzung vom Großvater

Der Familienname Von Schirach hat gerade in Österreich einen düsteren Nachklang: Baldur von Schirach, Adolf Hitlers Stellvertreter in Wien zwischen 1940 und 1945 und davor NS-Reichsjugendführer, war der Großvater des Schriftstellers Ferdinand von Schirach. Der stellte sein Verhältnis - besser: sein Nichtverhältnis - zu seinem Großvater literarisch klar.

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Schon als prominenter Berliner Strafverteidiger, der Ferdinand von Schirach vor Beginn seiner literarischen Laufbahn war, wurde er medial immer wieder mit der Vergangenheit seiner Familie konfrontiert. Bisweilen reagierte er damals auch entnervt und betonte stets, der Familienname sei für ihn keine Last. Eine Kolumne für den „Spiegel“ vor zwei Jahren belegt jedoch gerade die intensive Auseinandersetzung mit dem Erbe der Familie.

„Du bist, wer du bist“

Unter dem Titel „Du bist, wer du bist - Warum ich keine Antworten auf die Fragen nach meinem Grossvater geben kann“ schrieb Von Schirach schließlich ausführlich über seinen Großvater. Der Essay enthält das Bekenntnis, dass sich der Autor sehr wohl mit der Schuld des Großvaters auseinandergesetzt und zu „verstehen“ versucht habe, aber „die Erklärungsversuche der Historiker nichts taugen, wenn es der eigene Großvater ist“.

Zugleich stellte der Autor klar: Es stehe außer Zweifel, dass sein Großvater, verantwortlich für die Deportation von 185.000 österreichischen Juden war, „ohne jeden Zweifel wusste, dass sie umgebracht wurden“. Die Schuld seines Großvaters sei nicht mit den Begriffen üblicher Verbrechen zu bewerten, so Schirach weiter: „Seine Verbrechen waren organisiert, sie waren systematisch, kalt und präzise. Sie wurden am Schreibtisch geplant.“

„Recht auf eigene Biografie“ eingefordert

Auch wird in dem Text an die Aussage Baldur von Schirachs erinnert, dass er die „Abschiebung“ der Wiener Juden „ins östliche Ghetto“ als „aktiven Beitrag zur europäischen Kultur“ sah. Der Enkel über den Großvater: „Nach solchen Sätzen ist jede weitere Frage, jede Psychologie überflüssig. Manchmal wird die Schuld eines Menschen so groß, dass alles andere keine Rolle mehr spielt.“ Zugleich bekräftigte er dabei „das Recht auf eine eigene Biografie“: „Die Schuld meines Großvaters ist die Schuld meines Großvaters.“

Baldur von Schirach wurde in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zu 20 Jahren Haft wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Neben der Ermordung der österreichischen Juden hatte er zu Kriegsende die bereits aussichtslose Verteidigung von Wien „bis zum letzten Mann“ gegen die anrückende Sowjetarmee zu verantworten. Er wurde 1966 nach Verbüßung der Strafe aus dem Berliner Kriegsverbrechergefängnis Spandau entlassen und lebte noch acht Jahre als freier Mann.

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