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„Heute beginnt ein Traum“

Als eine der ersten Amtshandlungen hat Roms neuer Bürgermeister Ignazio Marino eine der meistbefahrenen Straßen der Stadt quasi autofrei gemacht. Seit einem Monat ist die Via dei Fori Imperiali auf mehreren hundert Metern für den Privatverkehr tabu, zugelassen sind nur noch Radfahrer, Linienbusse und Taxis. Ähnlich heftig wie in Wien über die Mariahilfer Straße wird nun auch in Rom darüber gestritten.

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Zehntausende Römer feierten am 4. August in einer „langen Nacht“ die Umwandlung der zum Kolosseum schnurgerade zulaufenden, sechsspurigen Autopiste in eine Fußgängerzone. „Die Kaiserforen waren eine Verkehrsachse, jetzt werden sie zum Spazierweg der Römer“, sagte der Bürgermeister. Zuvor hatten sich Römer und Touristen nur an Sonn- und Feiertagen über eine autofreie Straße bei den Foren und antiken Stätten freuen können.

Stündlich 40 statt 1.200 Autos

Das Versprechen, eine Fußgängerzone vor dem Kolosseum zu schaffen, war Teil seiner Wahlkampagne, mit der Marino im Mai die Wahlen in der 3,5-Millionen-Metropole gewonnen hatte. Bei einer Onlinebefragung der Stadtregierung hatten sich drei Viertel der 24.000 Teilnehmer für die Fußgängerzone vor dem Kolosseum ausgesprochen.

Via dei Fori vor dem Kollosseum

APA/AP/Riccardo De Luca

Flaniermeile mitten durch Roms antike Stätten

Statt stündlich 1.200 Fahrzeugen sollten nur noch 40 Fahrzeuge zirkulieren, es gilt ein Tempolimit von 30 km/h. „Heute beginnt ein Traum“, hatte Marino bei der Einweihung der neuen verkehrsberuhigten Zone im Herzen der Stadt gesagt. Sein erklärtes Ziel ist es, die Via dei Fori Imperiali zunächst schmaler werden und schließlich ganz verschwinden zu lassen.

Traum vom „größten archäologischen Park“

Etwa zum Jahreswechsel sollen die Gehsteige von drei auf sechs Meter verbreitert werden. Dazu soll auch ein Fahrradweg - für Rom doch noch ziemliches Neuland - eingerichtet werden, der bis zum Colle-Oppio-Park hinaufführt. Der Bürgermeister hofft, mit all diesen Maßnahmen den „größten archäologischen Park des Planeten“ zu schaffen.

In 25 oder 30 Jahren werde sich dieses Areal komplett neu darstellen, prophezeite Marino, der von einer Stadt träumt, die endlich „in ihr kulturelles und künstlerisches Erbe investiert“. Eine internationale Archäologenkommission soll über die Freilegung der Foren unter dem heutigen Straßenverlauf entscheiden.

Rom Bürgermeister Ignazio Marino

APA/EPA/Claudio Peri

Roms Bürgermeister ist ein deklarierter Fahrradfahrer

Europäische Hauptstadt des Autoverkehrs

Konkret verspricht sich Marino eine Verdoppelung der Zahl der Touristen in Rom auf mehr als 20 Millionen Besucher pro Jahr. Die Verminderung des Autoverkehrs und damit der Luftverschmutzung sei aber auch eine medizinische Notwendigkeit, erklärt der aus Genua stammende Herzchirurg.

So will er den Autoverkehr der Stadt in naher Zukunft um 20 Prozent verringern. Noch ist Rom die europäische Hauptstadt mit den meisten Autos pro Einwohner: Auf 1.000 Römer kommen 700 Autos, in Wien sind es nur rund 300 pro 1.000 Einwohner.

Was die einen freut, ärgert die anderen

Der Termin für das Verkehrsverbot am Kolosseum war von Marino schlau gewählt. Zur Ferienzeit gibt es in der Stadt deutlich weniger Verkehr, dementsprechend machen sich die Folgen der Maßnahmen erst jetzt deutlich bemerkbar und rufen nun die Gegner der Fußgängerzone auf den Plan. Fußgänger und Radfahrer beklagen sich über gegenseitiges In-die-Quere-Kommen, Autofahrer über Umwege, Anrainer über Zusatzverkehr und Parkprobleme, Ladenbesitzer und Restaurantbetreiber über Geschäftseinbußen.

Marino habe einen „schweren Fehler“ gemacht und ein Projekt im Schnellschuss durchgepeitscht, nur um sein Image aufzubessern, attackierte der postfaschistische Ex-Bürgermeister Gianni Alemanno in der Tageszeitung „Corriere della Sera“ seinen Nachfolger vom Mitte-links-Lager und forderte ihn wegen des Fehlens einer Verkehrsalternative auf, die Fußgängerzone rückgängig zu machen. Geschäftsleute und Anrainer der Ausweichstraßen schlossen sich zu einem Bürgerkomitee zusammen und drohen mit einer Klagsflut. Mit dem Slogan „Die Forum-Falle“ protestieren sie am 14. September und blockieren eine Nebenstraße.

Radfahrerin vor dem Kollosseum

AP/Riccardo De Luca

Autobefreit am Kolosseum

Marino verwies auf die jüngere Vergangenheit Roms: Was heute selbstverständlich sei, sei vor Jahrzehnten noch unvorstellbar gewesen. So sei etwa die Piazza del Popolo in den 70er-Jahren ein großer Parkplatz gewesen, „würde ich den Platz heute wieder in einen Parkplatz zurückverwandeln lassen, würden mich die Römer garantiert davonjagen“, sagte der Bürgermeister.

Lahme „Öffis“ und marode Infrastruktur

Rom ist jedoch noch weit davon entfernt, eine verkehrsberuhigte Stadt zu werden. Der öffentlicher Nahverkehr der Stadt ist schlecht organisiert, es gibt nur zwei U-Bahn-Linien, die dritte wird mit großen Verzögerungen gerade gebaut. So verlassen sich die Römer lieber auf ihr eigenes Auto oder Moped: Im eigenen Fahrzeug im Stau zu stehen sei allemal besser, lautet ein geflügeltes Wort.

Und dass es mit der Infrastruktur generell nicht zum Besten steht, musste der fahrradbegeisterte Marino unlängst am eigenen Leib erfahren. Auf dem Weg in das Regierungsbüro auf dem Kapitolshügel geriet er mit dem Rad in eines der zahlreichen Straßenlöcher, stürzte und trat in zerrissener Hose vor den Kulturminister Massimo Bray.

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