„Sehr, sehr gefährliche Umstände“
Das Expertenteam der Vereinten Nationen benötigt nach Worten von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon noch vier Tage für die Beendigung und weitere Zeit zur Auswertung der Untersuchung des mutmaßlichen Giftgaseinsatzes bei Damaskus. Das teilte Ban am Mittwoch mit. „Sie (die Inspektoren, Anm.) arbeiten sehr hart, unter sehr, sehr gefährlichen Umständen.“
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Nach den vier Tagen müssten die Ergebnisse mit Experten analysiert werden, und danach könne dem Sicherheitsrat ein Bericht überstellt werden. Die UNO-Inspektoren sind seit Montag mit der Untersuchung des Angriffs nahe Damaskus betraut. Zu Beginn ihrer Mission am Montag waren sie unter Beschuss geraten, konnten laut eigenen Angaben jedoch „wichtige Spuren“ sichern. Am Dienstag saßen die Experten aufgrund der Sicherheitslage - die Gegend ist weiterhin Schauplatz heftiger Kämpfe - in Damaskus fest. Mittwochfrüh brachen sie wieder zu Ermittlungen auf.

Reuters/Abo Alnour Alhaji
Die Experten sind seit Montag im Einsatz
Das Ergebnis des UNO-Berichts gilt als ausschlaggebend für das weitere Vorgehen der internationalen Gemeinschaft. Syrien hat die Inspekteure am Mittwoch laut eigenen Angaben zudem um die Untersuchung von drei weiteren Orten gebeten, an denen Chemiewaffen eingesetzt worden sein sollen. Ein entsprechender Brief sei an die Vereinten Nationen geschickt worden, sagte der syrische UNO-Botschafter Baschar al-Dschafa in New York. Bei den Vorfällen handle es sich um Angriffe von „bewaffneten Terrorgruppen“ auf die syrische Armee, die zwischen dem 22. und 25. August stattgefunden hätten.
Großbritannien will Resolution vorlegen
Großbritannien treibt im UNO-Sicherheitsrat bereits die Vorbereitungen für einen möglichen Militärschlag voran. Großbritanniens Premierminister David Cameron legte dem UNO-Sicherheitsrat am Mittwoch den Entwurf für eine Syrien-Resolution vor. Damit soll das Gremium nach dem Wunsch Großbritanniens „notwendige Maßnahmen zum Schutz von Zivilisten“ autorisieren, begründete Downing Street am Mittwoch den überraschenden Schritt angesichts eines drohenden Militärschlags gegen Syrien. Der Sicherheitsrat soll allerdings nur informell über die Resolution beraten. Offiziell geht es bei der Sitzung um Haiti.
Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates, neben Großbritannien die USA, Russland, China und Frankreich, sind bereits zu der Sitzung in New York zusammengekommen. „Wir haben immer gesagt, dass die Mitglieder des Sicherheitsrats ihre Verantwortung gegenüber Syrien übernehmen müssen“, sagte ein Sprecher der Downing Street in London. „Heute haben sie Gelegenheit dazu.“ Bisher hatten Russland und China im Sicherheitsrat eine härtere Gangart gegenüber dem Regime von Baschar al-Assad verhindert.
Ban fordert „Einigkeit“ in Sicherheitsrat
Die Entschlossenheit der USA und ihrer Verbündeten zu einem Militärschlag gegen Syrien auch ohne UNO-Mandat erhöht den Druck auf China und Russland im Sicherheitsrat gewaltig. Die Resolution hat in dieser Hinsicht bessere Chancen als alle Versuche während der letzten Monate. Sollten Russland und China bei ihrer Blockadehaltung bleiben, dürfte das Scheitern der Resolution umgekehrt zum letzten Argument dafür werden, das man ohne Billigung durch den UNO-Sicherheitsrat agieren müsse.

APA/AP/United Nations/Evan Schneider
UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon
Unterstützt wird der Versuch einer diplomatischen Lösung in letzter Sekunde von UNO-Generalsekretär Ban, der am Mittwoch in Den Haag vom Sicherheitsrat „Einigkeit“ einforderte, damit der Sicherheitsrat seine „politische Verantwortung behalten“ könne. Zugleich warnte er vor einem voreiligen Militärschlag. Zunächst müsse es Gewissheit über den mutmaßlichen Einsatz von Giftgas geben, unterstrich Ban mit Verweis auf die in Syrien tätigen UNO-Inspektoren.
"Schutzverantwortung“ als zentrales Argument
Ban hatte indirekt aber bereits klar gemacht, dass er einen Militärschlag auch ohne grünes Licht des Sicherheitsrates akzeptieren könnte, indem er einen Giftgaseinsatz als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ einstufte. Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind als einer von mehreren Gründen festgelegt, bei denen die Völkergemeinschaft einschreiten muss und die Souveränität eines Staates nicht mehr zu beachten ist. Ban selbst war 2005 eine der treibenden Kräfte hinter der Ausformulierung dieser „Schutzverantwortung“ (Responsibility to Protect/R2P) der Weltgemeinschaft, auf die sich nun auch die USA, ihre Verbündeten, aber auch in der Frage neutralere Länder wie Deutschland berufen.
NATO: „Nicht akzeptabel“
Am Mittwoch kritisierte auch die NATO den Einsatz von Chemiewaffen als „nicht akzeptabel“. Ein solcher Einsatz „kann nicht unbeantwortet bleiben“, sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nach einer Sitzung des NATO-Rats in Brüssel. Zahlreiche Quellen deuteten darauf hin, dass die syrische Regierung dafür verantwortlich sei. Zu mögliche konkreten Reaktionen des Bündnisses machte Rasmussen allerdings keine Angaben. Er sagte lediglich, die NATO werde die Lage in Syrien „genau beobachten“ und weiterhin die Grenze zur Türkei schützen.
Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) forderte am Mittwoch ein „entschiedenes Handeln“ gegen die syrische Regierung. Das Generalsekretariat der Organisation, in der 57 muslimische Staaten zusammengeschlossen sind, machte in einer Stellungnahme die syrische Regierung „rechtlich und moralisch“ für „dieses abscheuliche Verbrechen“ verantwortlich. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.
Luftschlag schon am Donnerstag?
Laut einem Bericht des US-Nachrichtensenders NBC könnte der Luftschlag gegen Syrien schon am Donnerstag beginnen. US-Vizepräsident Joe Biden sagte in der Nacht auf Mittwoch, wer wehrlose Männer, Frauen und Kinder mit Chemiewaffen angreife, müsse zur Verantwortung gezogen werden. Dabei gehe es nicht um einen Machtwechsel, sondern um ein klares Signal, hieß es aus Washington.
Die Terrororganisation Al-Kaida drohte ihrerseits mit einem „Vulkan der Rache“ in Syrien, während der Iran bei Angriffen indirekt Israel mit Vergeltungsschlägen drohte. Der syrische Ministerpräsident Wael al-Halki warf dem Westen vor, „fiktive Vorwände“ für ein militärisches Eingreifen in Syrien zu fabrizieren. Wie das Staatsfernsehen berichtete, warnte er zudem den Westen, Syrien werde die Angreifer wie bereits im israelisch-arabischen Krieg 1973 überraschen und „zum Friedhof der Invasoren“ werden.
Moskau fliegt Russen aus
Russland warnte erneut vor einem Angriff auf militärische Einrichtungen in Syrien als Reaktion auf den vermuteten Einsatz von Chemiewaffen. Das werde nicht nur Syrien, sondern die ganze Region destabilisieren, sagte Außenminister Sergej Lawrow nach Angaben seines Ministeriums in einem Telefonat mit dem internationale Syrien-Beauftragten Lakhdar Brahimi. Auch gegenüber US-Außenminister John Kerry soll Lawrow eine militärische Intervention in Syrien erneut kategorisch abgelehnt haben. Der UNO-Sicherheitsrat solle erst dann über eine Reaktion entscheiden, wenn der Bericht der UNO-Chemiewaffenexperten vorliege, sagte Vizeaußenminister Wladimir Titow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
„Nachbar in Not“ für Flüchtlinge
Angesichts des anhaltenden Bürgerkriegs mit inzwischen rund sieben Millionen Flüchtlingen bittet der ORF gemeinsam mit „Nachbar in Not“ um Spenden. Spenden sind online und via Spendentelefon 0800222444 auf das Erste-Bank-Konto 400 400 440 00 (BLZ 20111/) möglich.
Dennoch scheint Russland einen Militärschlag für wahrscheinlich zu halten und setzte am Mittwoch den Ausflug russischer Staatsbürger aus Syrien fort. Ein Flugzeug des Zivilschutzes habe Hilfsgüter in die Küstenstadt Latakia gebracht und auf dem Rückweg 27 Russen mitgenommen, sagte ein Behördensprecher Interfax zufolge. Bereits am Vortag hatte Moskau insgesamt 90 Staatsangehörige Russlands und anderer Ex-Sowjetrepubliken aus Syrien ausgeflogen.
Israel beschloss unterdessen eine begrenzte Mobilisierung von Reservisten. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu habe diesen Schritt angeordnet, bestätigte ein Sprecher am Mittwoch. Es handle sich um Soldaten von Heimatschutz und Raketenabwehr. Ihre Zahl wollte er nicht nennen. Den Angaben des Armeeradios zufolge sollen die Reservisten „Armee-Einheiten verstärken, die im Norden des Landes stationiert sind“.
Brahimi pocht auf UNO-Mandat
Brahimi, von der UNO und der Arabischen Liga zum Syrien-Sondergesandten ernannt, pochte wiederum am Mittwoch auf ein Mandat des UNO-Sicherheitsrates. Dieses sei nötig, um eine militärische Intervention zu rechtfertigen. Zugleich räumte er ein, dass in Syrien durch „eine Art von Substanz viele Menschen, auf jeden Fall mehr als 100, getötet wurden“. Einige sprächen „von 300 Toten, andere von 600, vielleicht 1.000, vielleicht mehr als 1.000“.
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