Wenig Aussicht auf Wechsel
Der Wahlkampf in Deutschland wirkt lähmend, weil es keine Wechselstimmung gibt. CDU-Kanzlerin Angela Merkel versucht, jede Bewegung zu verhindern. Dennoch kann die Wahl in vier Wochen die Republik verändern. Denn sicher ist nichts.
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Immer wenn es um die Fleischtöpfe geht, kommt Stimmung auf. Erst dann johlen die zuvor so ruhigen Zuhörer von Merkel auf Marktplätzen und in Messehallen. Dabei geht es der Bundeskanzlerin nicht um Finanzen, Steuererhöhungen, die Euro-Rettung oder die Konjunktur. Es geht der CDU-Vorsitzenden wie am Samstag in Bonn ganz konkret um den Vorschlag der Grünen zu einem fleischlosen Tag pro Woche in deutschen Kantinen, dem „Veggie Day“. Das provoziert Christdemokraten in dem ansonsten irgendwie auch vegetarisch anmutenden Wahlkampf 2013. Es ist kein Fleisch dran.
Dabei mangelt es nicht an Themen und Sorgen. Wie sollen Lehrer in Großstädten Schülern gerecht werden, wenn ein Teil der Klasse kein Deutsch spricht? Wie sollen Migranten heimisch werden, wenn sie keine passende Arbeit finden? Wie soll einmal die Pension und Pflege der Alten bezahlt werden, wenn es nicht mehr genügend junge Menschen gibt, die in das System einzahlen?
„Keine politische Auseinandersetzung“
Doch es gibt kein Aufbegehren in der Gesellschaft. Selbst die Euro-Krise mit den Milliardenhilfen deutscher Steuerzahler hat keine Unruhe im Land ausgelöst. Denn im Großen und Ganzen geht es den Deutschen gut. Gemessen an der guten Konjunktur und der mit 6,8 Prozent vergleichsweise niedrigen Arbeitslosenquote ist Deutschland bisher erfolgreich durch die Finanzkrise gekommen. Das ist Merkels Pfund und das große Problem der SPD. Es gibt keine Wechselstimmung.
„Es gibt eigentlich gar keine politische Auseinandersetzung“, sagt Miriam Meckel vom Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement an der Universität St. Gallen. 75 Prozent der Deutschen seien mit ihrer wirtschaftlichen Situation zufrieden. Nicht einmal aus der NSA-Geheimdienstaffäre habe die SPD Kapital schlagen können. Deren Negativ-Plakatkampagnen gegen Merkel seien deshalb vor allem für die SPD selbst gefährlich.
Kaum Attacken auf Konkurrenz
Merkel attackiert die Konkurrenz nur sparsam. Sie ist der Auffassung, dass die Menschen Streit von Politikern ohnehin nicht gerne hören. Ihre Strategie: Valium-Wahlkampf. Schon 2009 war sie mit dem Einlullen der Wähler erfolgreich. Und abgesehen davon ist sie gar nicht der Typ für einen öffentlichen Schlagabtausch. Ein einziges TV-Duell mit ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück am 1. September reicht ihr völlig. Hier könnte der streitbare Steinbrück punkten - wenn er nicht überzieht.
Viele Medien beschreiben den Wahlkampf bisher als lähmend. Merkel und Steinbrück selbst können sich allerdings kaum über Langeweile beklagen. Die Kanzlerin wird bis zum 22. September 60 Auftritte in rund fünf Wochen gehabt haben. Ihr Herausforderer noch mehr.
Und da angesichts der Schwäche der FDP den Umfragen zufolge keineswegs sicher ist, dass die schwarz-gelbe Koalition fortbesteht, fehlt es weder Merkel noch Steinbrück an Spannung, wie die deutsche Welt am Wahlabend aussehen wird. Der von SPD-Chef Sigmar Gabriel einberufene Konvent kurz nach der Wahl wird in der CDU als Vorbereitung einer Abstimmung über eine rot-rot-grüne Koalition gewertet - allen gegenteiligen Beteuerungen der SPD zum Trotz. Ansonsten würde Merkel wahrscheinlich Kanzlerin bleiben - die Frage ist jedoch, mit welchem Koalitionspartner.
Spannung außerhalb Deutschlands
Während der Wahlkampf aber noch so dahinplätschert, wird der Bundestagswahl in Europa enormer Stellenwert zugemessen. An der Euro-Schuldenkrise sind bereits die Regierungen in zehn der 17 Euro-Länder gescheitert. Merkel ist die wohl stärkste Akteurin im Bemühen der Staats- und Regierungschefs um die Bewältigung der Finanzkrise. Vor allem außerhalb Europas gilt sie wegen ihres harten Sparkurses als Stabilisator. Ein Scheitern der Kanzlerin würde die Wirtschafts- und Finanzwelt zunächst vermutlich massiv verunsichern.
Menschen in südlichen Mitgliedsstaaten wie Griechenland und Portugal, die durch schmerzliche soziale Einschnitte Arbeit und sogar Wohnung verloren, würden dagegen jubeln. Der Hass auf die Kanzlerin dort ist so groß, dass sie bei ihren Besuchen in Athen und Lissabon auf Plakaten mit Hitler-Bärtchen und Nazi-Uniform verunglimpft wurde.
„Jetzt habe ich Europa verstanden“
Aber genau an diesem Beispiel erklärt Merkel in ihren Wahlkampfreden den Menschen Europa. Sie spricht dann über gemeinsame Werte: Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Menschenrechte. „Das ist ein unglaublich beglückendes Gefühl: Zu wissen, wenn die Leute gegen dich demonstrieren, musst du nicht fürchten, dass sie ins Gefängnis kommen“, sagt sie in Bonn. Bei ihrem Auftritt in Heringsdorf an der Ostsee im Juli fügte sie noch hinzu: Für jemanden, der in der DDR gelebt habe, sei das ein unschätzbares Gut.
Eine beeindruckte Hotelbetreiberin sagte danach: „Jetzt habe ich Europa verstanden.“ Sie komme auch aus der DDR und sei so alt wie Merkel. Für eine grenzüberschreitende gemeinsame Auffassung, was Recht und Unrecht sei, lohne sich jeder Einsatz für Europa. Auch der finanzielle. So einfach kann das sein.
„Merkel bewegt sich nicht“
Merkel versucht erst gar nicht zu erklären, was in Wahlkampfreden nicht zu erklären ist: die Euro-Rettungsmaßnahmen EFSF, ESM, EFSM, Staatsanleihekäufe und Bankenunion. Die Kanzlerin treibt es zum Entsetzen der SPD auch nicht um, dass sie im Ausland angefeindet wird und damit die Skepsis gegenüber Deutschland wächst. Sie sagt einfach, Europa ist gut. Und viele Menschen vertrauen ihr.
Meckel meint: „Angela Merkel bewegt sich nicht. Sie kommuniziert auch nicht, oder was sie kommuniziert, hat im Wesentlichen keine Inhalte.“ Das entspreche der momentanen Stimmungslage der Deutschen: „Bloß nichts verändern.“
Kristina Dunz, dpa
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