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Hundstorfer räumt Lücken ein

Während die 2010 eingeführte Mindestsicherung wieder zum Wahlkampfthema wird und Slogans von der „sozialen Hängematte“ zurückkehren, zieht die Armutskonferenz eine Zwischenbilanz über die tatsächliche Lage sozial bedürftiger Menschen in Österreich. Dabei kommt die Organisation zum Schluss: Nur rund die Hälfte all jener Menschen, denen die Mindestsicherung helfen sollte, bekommen sie auch.

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Die Einkommensschwelle für den Bezug der bedarfsorientierten Mindestsicherung, die vor drei Jahren die Sozialhilfe abgelöst hat, ist mit der Höhe der Mindestpensionen festgelegt - für das Jahr 2011 waren das 753 Euro pro Monat für Einzelpersonen. Die Mindestsicherung bezogen in diesem Jahr 193.276 Personen, unter der Einkommensgrenze lagen jedoch rund 390.000 Menschen. Das heißt, dass rund 50 Prozent der Anspruchsberechtigten die Leistung auch tatsächlich bezogen haben.

Angst, Scham und Behördenwillkür

Die Berechnung der Armutskonferenz beruht auf Daten der Statistik Austria aus dem Jahr 2012. Sozialexperte Martin Schenk sagte gegenüber der APA, dass die Schätzung mit rund 200.000 Bedürftigen ohne die nötige gesetzliche Unterstützung „sehr konservativ gerechnet“ sei. Der Kreis der gesetzlich tatsächlich Anspruchsberechtigten sei für die Berechnung lediglich um einige Gruppen erweitert worden - etwa Migranten ohne Daueraufenthaltsrecht.

Aus Sicht der Armutskonferenz sind vor allem Angst, Scham und Behördenwillkür die Gründe dafür, dass die Mindestsicherung nicht bei allen ankommt, die sie brauchen - vor allem auf dem Land. In Gemeinden, wo jeder jeden kennt, hätten viele Menschen Scheu, ihre eigene Not gegenüber den Sozialämtern zuzugeben. Außerdem gebe es auf dem Land weniger Mietwohnungen und mehr Eigenheimbesitzer, und die Menschen hätten Angst, ihr Haus zu verlieren, weil sich das Sozialamt nach sechs Monaten Bezugsdauer ins Grundbuch einträgt.

Kärnten als Schlusslicht, Wien bei 77 Prozent

Schenk hält in diesem Zusammenhang den Vorwurf vor allem von ÖVP-Seite für „nicht plausibel“, dass die hohe Zahl der Bezieher vor allem in Wien an einem stärkeren Missbrauch liege. Vielmehr liegen das deutliche Stadt-Land-Gefälle und deutliche Unterschiede je nach Bundesland laut Schenk auch an mancherorts willkürlichem und bürgerunfreundlichem Vollzug. Gegenüber dem ORF-Radio wiesen Vertreter der Sozialabteilungen von Niederösterreich und Oberösterreich diesen Vorwurf zurück - mehr dazu in oe1.ORF.at.

Die Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern sind markant: So bezogen in Kärnten nur 20 Prozent der Personen, die unter der Einkommensgrenze lebten, zumindest einmal im Jahr 2011 Mindestsicherung. In Oberösterreich waren es 24 Prozent, in Niederösterreich 32 Prozent, in der Steiermark 33, in Tirol 35, im Burgenland 36 und in Vorarlberg 48 Prozent. Über dem österreichweiten Schnitt lagen nur die beiden damals rot regierten Länder Salzburg (59 Prozent) und Wien (77 Prozent).

Ein Drittel aller Bezieher sind Kinder und Jugendliche

In einer Aussendung betonte die Armutskonferenz, dass es bei den Beziehern von Mindestsicherung um „Leute wie Du und ich“ gehe: Ein Drittel der Bezieher sind Kinder und Jugendliche, ein weiteres Drittel Beschäftigte mit niedrigem Einkommen oder Personen, die ihre Arbeitskraft nicht einsetzen können - etwa pflegende Angehörige und Mütter mit Kleinkindern. Neben steigenden Lebenshaltungskosten, Krankheit und Arbeitslosigkeit beziehen auch immer mehr Menschen mit prekären Jobs Mindestsicherung.

Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) räumte gegenüber der APA ein, dass Ängste vor dem Verlust des Eigenheims und Schamgefühle gerade in kleinen Gemeinden Hemmschwellen beim Bezug der Mindestsicherung seien. Vorwürfe der Behördenwillkür wies er jedoch zurück. In Wien gebe es offenbar „bessere Information bezüglich der Anspruchsberechtigung“. Der Sozialminister ist jedenfalls bestrebt, dass jene, die die Mindestsicherung gemäß den gesetzlichen Voraussetzungen beziehen könnten, das auch tun.

Diakonie fordert Reform für „Minisicherung“

Die Diakonie sieht in den vorgelegten Zahlen einen Beleg für den Reformbedarf bei der Mindestsicherung. Diakonie-Direktor Michael Chalupka forderte in einer Aussendung „gleichen Zugang zum Recht für alle, egal ob arm oder reich“. Es brauche mehr Information - und auch Kontrollen, etwa nach dem Modell von Patientenanwaltschaften - und „ausreichendes und gutes Personal“ im staatlichen Sozialbereich. Auch im besten Fall gewährleiste die derzeitige Rechtslage ohnehin nur eine „Minisicherung“.

„Wahlkampf auf Rücken der Schwächsten“

Die Caritas forderte angesichts der Zahlen eine Evaluierung der Mindestsicherung und erinnerte daran, dass sich die Zahl langfristig in Armut lebender Menschen in Österreich zwischen 2005 und 2010 verdoppelt habe und bereits eine Million Menschen in Österreich in Armut lebten oder akut von Armut bedroht seien. Auch Wiens Caritas-Direktor Michael Landau verwies auf die vielen arbeitenden Bezieher, die „zum Leben schlicht zu wenig verdienen“, und forderte von der Regierung die versprochene Mietrechtsreform ein.

Landau warnte zudem davor, Menschen, die Mindestsicherung beziehen, zu stigmatisieren und für Wahlkampfzwecke zu missbrauchen. „Wenn die Parteien Wahlkampf auf dem Rücken der Schwächsten machen - so wie zuletzt vor wenigen Wochen -, ist das beschämend. Außerdem führt eine solche Polemik nur dazu, dass die nicht gerechtfertigte Scham dieser Menschen weiter zunimmt. Mit einer Neiddebatte kommen wir nicht weiter.“

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