Vorwürfe aus der Luft gegriffen?
Der Gerichtsakt zur Schleppercausa, in die auch drei der Votivkirchen-Flüchtlinge involviert sein sollen, liest sich harmloser als die Aussagen von Polizei und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) zu diesem Fall. Während die Ministerin etwa davon sprach, dass die Schlepper „äußerst unmenschlich“ agiert hätten, finde sich im Gerichtsakt kein Wort von Misshandlungen, so die Wochenzeitung „Falter“.
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Das Bundeskriminalamt (BK) sieht darin keinen Widerspruch, habe Mikl-Leitner doch über Vorgehensweisen im internationalen Schlepperwesen gesprochen, hieß es in einer Aussendung. Zunächst hatte vorige Woche die Abschiebung mehrerer Personen aus der Gruppe der mittlerweile im Servitenkloster in Wien untergebrachten Flüchtlinge nach Pakistan und dann die Festnahme von drei Flüchtlingen wegen Verdachts der Schlepperei für Aufregung gesorgt.
Das Bundeskriminalamt erklärte damals in einer Aussendung, man ermittle gegen eine „große kriminelle Organisation“, und die Erhebungen hätten ergeben, „dass pro geschleppte Person bis zu 10.000 Euro verlangt wurden“.
50 oder 10.000 Euro?
Der Organisation seien Schleppungen „von mindestens 300 Personen“ vorwiegend aus Pakistan nachgewiesen worden. Das ergebe einen Umsatz von „mindestens drei Millionen Euro“. In den vergangenen Monaten sollen von der Organisation mindestens 1.000 Personen geschleppt worden sein, was einen Umsatz von zehn Millionen Euro ausmache.
Diese Zahlen sind laut „Falter“ zu hoch gegriffen, denn in den Akten berichteten Flüchtlinge nur von 2.000 bis 5.000 Euro, die sie an pakistanische Schlepper zahlen mussten. Was die beschuldigten Votivkirchen-Flüchtlinge verdienten, ist ungeklärt, Geld habe man bei ihnen keines gefunden. In den Einvernahmeprotokollen, die dem „Falter“ vorliegen, sei einmal von 50 Euro die Rede (wovon 15 Euro für ein Dönerkebab für einen „Geschleppten“ bezahlt werden mussten), einmal von 40 Euro. Ein inhaftierter Servitenkloster-Flüchtling sei geständig, Pakistaner im Zug von Budapest nach Wien begleitet zu haben. Er habe zwei-, dreimal pro Woche bei Schleppungen geholfen.
Vorgeworfen wird den Schleppern, „als Mitglied einer kriminellen Vereinigung“ die rechtswidrige Einreise von Fremden „mit dem Vorsatz gefördert zu haben, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes Entgelt unrechtmäßig zu bereichern“. Die Zahl von Fremden, die sie beim Grenzübertritt begleitet haben sollen, sei noch festzustellen, heißt es weiters.
Staatsanwaltschaften kennen Vorwürfe nicht
Mikl-Leitner hatte in einem Zeitungsinterview gesagt, die Schlepper würden „äußerst unmenschlich“ agieren: „Wenn es etwa Probleme mit schwangeren Frauen auf der Schlepperroute gab, dann wurden diese Frauen hilflos auf der Route zurückgelassen.“ In dem Gerichtsakt finde sich jedoch nichts über Misshandlungen. Die mit dem Fall beschäftigten Staatsanwaltschaften Wien und Wiener Neustadt kennten derartige Vorwürfe „nur aus den Medien“, so der „Falter“. Diese seien „nicht Gegenstand“ des Ermittlungsverfahrens.
BK: Internationale Vorgangsweise gemeint
Das Bundeskriminalamt hielt am Dienstag fest, dass sich die Ermittlungen gegen den internationalen Schlepperring erst am Anfang befänden und noch andauerten: „Medieninformationen werden zu jedem Zeitpunkt basierend auf der Faktenlage gegeben.“ Zu dem Vorwurf, die Votivkirchen-Flüchtlinge würden beschuldigt, schwangere Frauen auf der Flucht ausgesetzt zu haben, erklärte das BK, diese Information habe sich auf Vorgangsweisen im internationalen Schlepperring bezogen. Dieser sei nur zum Teil in Österreich tätig.
Klar sei weiters, dass die durch das internationale Verbrechen erzielten Gewinne hierarchisch verteilt würden: „Daher kann zwischen der laufenden polizeilichen Berichterstattung an die Staatsanwaltschaften und den Erkenntnissen der SoKo kein Widerspruch erkannt werden.“
Korun: Anfrage an Mikl-Leitner
Grünen-Menschenrechtssprecherin Alev Korun ortete jedenfalls Klärungsbedarf und kündigte eine Parlamentarische Anfrage an Mikl-Leitner an. Klaus Schwertner, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, zeigte sich „fassungslos, wütend und erleichtert“ über den Inhalt der Ermittlungsakten. Es sei „zum Schämen, wie auf dem Rücken der Schwächsten in Wahlkampfzeiten Politik gemacht wird“, so Schwertner.
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