„Unechte Urkunde“ als ärztliches Attest
Der seit sieben Jahren gegen seinen Willen in der Psychiatrie in Bayern festgehaltene Gustl Mollath kommt unverzüglich frei. Das entschied am Dienstag das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg. Das Gericht beschloss auch die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Mollath. Als Konsequenz daraus müsse dieser freigelassen werden, teilte das Gericht mit.
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Die Nürnberger Richter korrigierten damit eine Entscheidung des Landgerichts Regensburg, das vor knapp zwei Wochen die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Mollath noch als unzulässig abgelehnt hatte. Das OLG ordnete nun die Wiederaufnahme an und verfügte, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss. Mit der Anordnung der Wiederaufnahme sei das Urteil gegen Mollath aus dem Jahr 2006 nicht mehr rechtskräftig. Damit entfalle auch die Grundlage für dessen Unterbringung in der Psychiatrie.

APA/EPA/Daniel Karmann
Gustl Mollath kämpfte sieben Jahre lang um seine Freilassung
Das OLG stützte seine Entscheidung zur Wiederaufnahme auf ein ärztliches Attest, mit dem Mollaths inzwischen geschiedene Frau die tätlichen Angriffe ihres Ex-Manns belegen wollte. Dieses Attest sei als „unechte Urkunde“ zu werten, urteilte das OLG nun.
Justizskandal?
Mollath, der sich als Justizopfer sieht, sitzt seit 2006 in einer psychiatrischen Klinik, weil er seine damalige Frau misshandelt und Reifen zerstochen haben soll. Beide Vorwürfe sah das Gericht als erwiesen an. Mehrere Gutachter bescheinigten ihm Gefährlichkeit. Brisant ist der Fall, weil Mollath 2003 - nachdem er bereits angeklagt war - seine bei der HypoVereinsbank (HVB) tätige Frau, weitere HVB-Mitarbeiter und 24 Kunden beschuldigte, in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt zu sein. Doch während die Nürnberger Staatsanwaltschaft keine Ermittlungen einleitete, wurden inzwischen interne Prüfungen der HVB bekannt, die ergaben, dass ein Teil dieser Vorwürfe tatsächlich zutrifft.
„Keine Krankeneinsicht“
2002 hatte Mollaths Frau ihn angezeigt, im Jahr darauf erhob Mollath die Beschuldigungen, seine Frau habe für reiche Kunden in großem Stil Schwarzgeld in die Schweiz transferiert. Anfangs habe er selbst dabei geholfen, sagte der gelernte Maschinenschlosser - doch niemand glaubte ihm. Mollath schrieb damals auch Briefe an die Staatsanwaltschaft und sogar an den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) - vergebens. Die Gutachter kamen zum Ergebnis, Mollath lebe in einer paranoiden Wahnwelt, sei gewalttätig und gefährlich. Dazu zeige er „keine Krankeneinsicht“, zitierte die „Zeit“ aus einem Gutachten von damals.
Kräftige Wellen auch außerhalb der Justiz
Der Fall schlug auch außerhalb der Justiz hohe Wellen und brachte nicht zuletzt auch die bayrische Landesregierung gehörig unter Druck. Deren Rolle erscheint wie die der Justiz, die Mollath nie ernst genommen hat, zumindest nicht sonderlich glücklich. So soll Justizministerin Beate Merk (CSU) im Landtag nach Einschätzung der Opposition bewusst Falsches über Mollath gesagt haben.
Im April dieses Jahres war der „Fall Gustl“ auch Thema eines eigens einberufenen Untersuchungsausschusses im bayrischen Landtag. SPD, Grüne und Freie Wähler bescheinigten im Juli Merk und den Ermittlern schwere Fehler und verlangten die Entlassung der Ministerin. CSU und FDP orteten hingegen keine Fehler bei Merk.
Seehofer und Merk „zufrieden“
Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) und Merk begrüßten nun die Nürnberger Entscheidung. Er sei zufrieden, dass die Justiz nunmehr sehr zeitnah entschieden habe, und er sei auch zufrieden mit dem Inhalt der Entscheidung, so Seehofer. Er selbst habe in den vergangenen Monaten mehrfach die Frage gestellt, ob die Unterbringung Mollaths angesichts der vielen Zweifel und offenen Fragen zu Recht bestehe.
„Ich bin sehr zufrieden: Mein Ziel, das ich mit dem Wiederaufnahmeantrag und der sofortigen Beschwerde verfolgt habe, den Fall neu aufzurollen, ist erreicht“, sagte Merk. Die Justiz habe nun Gelegenheit, in einem weiteren öffentlichen Verfahren zu klären, ob Mollath zu Recht untergebracht sei oder nicht.
Bayerns SPD-Spitzenkandidat für die Landtagswahl, Christian Ude, kritisierte hingegen, dass sich Merk als Freiheitskämpferin für Mollath präsentieren wolle, sei „die verwegenste Geschichtsklitterung der letzten Jahre“. Bei dem Fall handle es sich vielmehr um einen bayrischen Justizalptraum. Der stellvertretende Vorsitzende des Mollath-Untersuchungsausschusses im bayrischen Landtag, Florian Streibl von den Freien Wählern, sagte, nun sei der Weg geebnet, damit Mollath Gerechtigkeit widerfahre. „Darüber hinaus sollen die Verantwortlichen, die Gustl Mollath das angetan haben, zur Rechenschaft gezogen werden.“
Anwalt: Rechtsstaat wiederhergestellt
Der Verteidiger Mollaths sieht mit der Entscheidung des OLG Nürnberg „den Rechtsstaat in Bayern wiederhergestellt“. Zugleich freue er sich, dass er mit seiner Prognose recht behalten habe, dass Mollath noch vor der bayrischen Landtagswahl freikomme, sagte Anwalt Gerhard Strate laut dpa.
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