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WLAN-Netzwerk als Lockmittel

Je besser man seine Kunden kennt, desto mehr kann man ihnen verkaufen. Nach dieser Faustregel arbeiten Handelsketten schon seit jeher und geben etwa Kundenkarten aus. Doch waren die Möglichkeiten der Kundenanalyse in normalen Geschäftsfilialen bisher beschränkt, macht das Handy als ständiger Begleiter nun eine wesentlich genauere Art der Überwachung möglich.

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Der kostenlos angebotene Drahtloszugang zum Internet wird von Geschäftsinhabern nämlich keineswegs uneigennützig angeboten. Haben die Kunden die WLAN-Funktion ihres Smartphones aktiviert, sucht dieses in regelmäßigen Abständen nach verfügbaren Netzen. Das machen sich spezialisierte Analysefirmen zunutze. Der Standort des einzelnen Kunden im Geschäft wird ermittelt und fortan verfolgt - ohne dass der Kunde etwas davon bemerkt.

Unternehmen wie die kalifornische Euclid Analytics haben sich darauf spezialisiert, diese Daten zu protokollieren und zu analysieren. Geschäftstreibende können mit der Technologie nachverfolgen, wie viele Kunden am Shop vorbeigehen, ihn betreten und ob sie später noch einmal wiederkehren. Auch die Aufenthaltsdauer vor den einzelnen Regalen im Geschäft lässt sich anhand der Bewegungsprofile nachvollziehen. Ganze Einkaufszentren werden derart überwacht, das Sortiment genau darauf abgestimmt.

Bei Betreten des Geschäfts Werbung aufs Handy

Registriert sich der Kunde zusätzlich für die Nutzung des angebotenen WLAN-Netzes, wird er namentlich erfasst und mit maßgeschneiderter Werbung und Rabattcoupons angesprochen. Laut einem Bericht der „New York Times“ („NYT“) haben Händler wie der große US-Discounter Family Dollar, der US-Outdoor-Spezialist Cabela’s, der britische Babyartikelspezialist Mothercare sowie die Bekleidungsketten Benetton und Nordstrom bereits damit begonnen, die Systeme in ihren Geschäftsräumen einzusetzen. Auch ganze Einkaufszentren werden derart überwacht.

„Die Händler in den Einkaufsstraßen waren im Vergleich zu den Onlinehändlern bisher klar im Nachteil“, so Guido Jouret, Manager beim weltgrößten Netzwerkausrüster Cisco, der Geschäfte mit Überwachungskameras ausstattet, gegenüber der „NYT“. „Warum sollen die Geschäftsbetreiber nicht auch wissen dürfen, ob jemand, der die Filiale ohne was zu kaufen verlässt, von den hohen Preisen abgeschreckt wurde oder sowieso nur reingekommen ist, um sich in den klimatisierten Räumen abzukühlen.“

Kombination mit Videoüberwachung

Andere Analysefirmen setzen bei der Kundenüberwachung gleich auf eine ganze Reihe von Datenquellen. Eine umfassende Kombination aus Videoüberwachung, Smartphones, Kassensystemen, WLAN-Netzwerken und Funketiketten liefert bei dem US-Unternehmen RetailNext sämtliche Informationen zum Einkaufsverhalten.

Mittels der Videoüberwachung an der Decke wird dabei zwischen Männern und Frauen, Gruppen und Einzelpersonen sowie Kindern und Erwachsenen unterschieden. Die Videosoftware soll sogar feststellen können, auf welches Produkt der einzelne Kunde gerade blickt und eine entsprechende Ausrichtung von Produkten und Regalen vorschlagen.

Wer kauft bei welchem Wetter was?

Auch Ferien, Feiertage und das Wetter werden in die Statistiken miteinbezogen. So wissen die Geschäftsinhaber etwa, an welchen Tagen besonders viel beziehungsweise weniger Personal gebraucht wird und welche Waren an heißen bzw. kalten Tagen am häufigsten gekauft werden - und somit prominent platziert werden sollten.

Laut Eigenangaben setzen bereits 60 Händler wie die US-Textilkette American Apparel, das Kaufhaus Bloomingdale’s, der Luxusartikelhersteller Montblanc und der Mobilfunkbetreiber Verizon Wireless das System von RetailNext ein. Die Bewegungen von 400 Millionen Käufern werden demnach pro Jahr erfasst.

Verknüpfung von App-Daten und Offlineverhalten

Doch noch sind längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Die New Yorker Firma Nomi geht etwa noch einen Schritt weiter und verknüpft die Onlinedaten mit den Offline-Geschäftsstatistiken – und zwar personalisiert. Nutzt der Kunde die App des Händlers, wird er mit dem Nomi-System auch im Geschäft erkannt. Die Software erstellt ein individuelles Profil des Kunden, etwa wie oft er das Geschäft in letzter Zeit besucht hat, welche Produkte er mit der App online betrachtet und welche er gekauft hat.

„Wenn ich etwa zu Macy’s gehe, weiß Macy’s, dass ich das Geschäft gerade betreten habe und kann mir somit sofort persönliche Empfehlungen aufs Smartphone schicken“, so Nomi-Chef Corey Capasso gegenüber der „NYT“. „Wir bringen damit quasi die Amazon-Funktion auch ins Ladenlokal.“ Wiederum mittels Verfolgung des WLAN-Signals wird jeder Schritt des Kunden im Shop genau beobachtet.

Kaufempfehlungen und Rabattcoupons

„Wenn ich 20 Minuten in der Schuhabteilung verbringe, folgert das System, dass ich auch welche kaufen möchte“, so Capasso weiter. Der Shopbetreiber könnte dem Kunden dann etwa ein Sonderangebot oder einen Rabattcode für Schuhe auf sein Handy senden. Auch das Einblenden von Kaufempfehlungen wie im Onlinehandel üblich - Kunden, die sich für dieses Produkt interessiert haben, kauften auch jenes - wird möglich.

Datenschützer alarmiert

Konsumentenschützer sind aufgrund der Datengier der Händler alarmiert. Zwar versichern die Unternehmen, dass die Erfassung gänzlich anonym geschieht. Persönliche Daten würden demnach keine gespeichert. Doch auch wenn der Kunde nicht namentlich erfasst ist, ist er doch anhand der eindeutigen Kennung des Smartphones wiedererkennbar.

Besonders pikant ist auch die Tatsache, dass der Kunde bei dieser Form der Auswertung seiner Smartphone-Daten nichts davon mitbekommt. „Die Frage ist immer, für welche Zwecke Daten gesammelt werden,“ so Daniela Zimmer von der Arbeiterkammer (AK) Wien. „Für die bloße Dienstleistung des WLAN-Anbietens ist die Speicherung der Handykennung zulässig, wenn allerdings Marketingzwecke im Vordergrund stehen, dann ist eine vorherige Zustimmung nötig.“

Zustimmung in AGB versteckt

Diese Zustimmungserklärung zur Verwendung der persönlichen Daten „zu Analysezwecken“ wird bei den US-Anbietern gerne in den unübersichtlichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von WLAN oder App versteckt. Der Kunde glaubt, er meldet sich lediglich für die WLAN-Nutzung oder die Geschäftsapp an, in Wirklichkeit gibt er gleichzeitig seine personenbezogenen Daten frei.

Erfahren die Kunden etwa aus den Medien schließlich doch von der umfassenden Überwachung in den Geschäften, reagieren die meisten mit Empörung. Mit „Das geht zu weit“ und „Diese Art des Stalkings ist schon richtig gruselig“ zitiert etwa die „NYT“ Betroffene. Auch Boykottaufrufe werden gestellt. Und der Protest zeigt Wirkung. Der US-Bekleidungshändler Nordstrom hat demnach nach einer Vielzahl von Kundenbeschwerden den Einsatz der Analysesoftware in seinen Geschäften inzwischen wieder gestoppt.

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