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Batterien als Auslaufmodell

Mit dem Begriff Ökostrom verbindet man zuallererst große Solaranlagen oder Windparks, doch saubere elektrische Energie liegt praktisch auf der Straße und müsste nur „geerntet“ werden. So laufen bereits Versuche mit speziellen Bodenbelägen, die ganze Straßenzüge beleuchten können. Und Forscher sehen noch ganz andere Möglichkeiten: Bald sollen Ladegeräte und Akkus der Vergangenheit angehören.

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Energie umgibt den Menschen überall - aus jeder Bewegung, jedem Luftstrom und jeder Wärmequelle könnte minimale elektrische Energie gewonnen werden. Dafür sind jedoch neue Technologien notwendig, die unter dem Begriff „Energy Harvesting“ (Energieernte) zusammengefasst werden. Der noch recht junge Forschungsbereich boomt zurzeit - und kaum ein Tag vergeht ohne neue, mitunter recht skurrile Neuerfindungen.

Jeder Tritt ein Leuchten

Einer der Pioniere auf dem Gebiet ist der Brite Laurence Kemball-Cook. Vor vier Jahren entwickelte der studierte Industriedesigner unter dem Namen „Pavegen System“ Bodenplatten, die durch Druck Strom erzeugen. Heute beschäftigt der 27-Jährige 30 Mitarbeiter. Bei jedem Tritt werden durch ein leichtes Absenken der Platten um fünf Millimeter rund sechs Watt Strom erzeugt, erklärt Kemball-Cook gegenüber dem britischen Sender BBC sein Produkt. Auch wenn sechs Watt gerade einmal für das Aufflackern einer Glühbirne reichen, an gut besuchten Orten wie U-Bahn-Stationen, Einkaufszentren und Büros kann auf diesem Wege so viel Strom produziert werden, dass damit die gesamte Beleuchtung gespeist werden kann.

Getestet wurde der Bodenbelag während der Olympischen Spiele 2012 in London in der U-Bahn-Station West Ham. 2013 wurden im Zielbereich beim Paris-Marathon 176 Platten aufgelegt, die den Strom für die Zeitmessung lieferten. Ähnliche Versuche gibt es dazu auch in Frankreich, wo in Toulouse ein Trott-Elec - ein elektrischer Gehsteig - errichtet wurde. Durch das Darübergehen versorgen die Passanten die Straßenlampen mit Energie und entlasten so die Stromrechnung der Stadt.

Tanzfläche als „Kleinkraftwerk“

Die Idee dahinter ist nicht neu. Bereits 2008 eröffneten in Rotterdam und London zwei Ökoclubs, wo nicht nur die Drinks, sondern auch der Strom „hausgemacht“ war. Die Tanzfläche wurde durch den Einbau kleiner Dynamos, die die Schritte der Feiernden zu Elektrizität umwandelten, zu einem „Kleinkraftwerk“. Je nachdem wie viele Menschen das Tanzbein schwangen, war die Beleuchtung entsprechend hell. Doch auch die sinkenden Stromkosten konnten nichts daran ändern, dass der Club in Rotterdam bald wieder schließen musste. Energieautark tanzen kann man aber nach wie vor im Londoner Club Surya.

Schlüssel für die Smart Citys der Zukunft

Mit Weltverbesserungsfantasien hat Kemball-Cook jedoch wenig am Hut. Seine Bodenbeläge seien „keine Nischenprodukte“, erklärte er gegenüber BBC. Vielmehr hat er durchaus ambitioniertere Pläne. „Wir sehen unsere Technologie als eine Schlüsselkomponente für die Smart Citys der Zukunft“, so der ehrgeizige Unternehmer. Die Platten können nämlich nicht nur Strom erzeugen, sondern können per kabellose Verbindungen Daten über Schnittstellen zu mobilen Geräten wie Laptops oder Handys übertragen.

Damit wären zum Beispiel Echtzeitmessungen von Fußgängerströmen möglich oder die Verbindung via Bluetooth zu Smartphone-Apps, die dann auf Wunsch Informationen über Sehenswürdigkeiten oder Restaurants in der Umgebung liefern. Der Kampf gegen die Klimaerwärmung wird damit schnell zu einem Nebenschauplatz.

Wenn das Herz Strom erzeugt

Doch Pavegen ist nicht das einzige Unternehmen, das in der „Energieernte“ die Zukunftstechnologie des 21. Jahrhunderts sieht. Vor allem große Autohersteller zeigen wachsendes Interesse an den Mikrosystemen, etwa um den Reifendruck zu messen oder bei Regensensoren. In der medizinischen Prothetik kommt die Technologie dort zum Einsatz, wo bisher Batterien die Stromversorgung übernommen haben. In den USA wurde im vergangenen Jahr der Prototyp eines Herzschrittmachers vorgestellt, der Strom aus den Vibrationen, die im Brustkorb durch den Herzschlag entstehen, speichert und damit operative Batterienwechsel unnötig macht.

Die Toilette als Ladestation

Freilich kann Energy-Harvesting auch für alltäglichere Zwecke genutzt werden - beispielsweise sorgen spezielle Sohlen in Laufschuhen dafür, dass GPS-Sensoren mit Strom versorgt werden, die dann genaue Daten über Distanz und Geschwindigkeit liefern. Eines der drängendsten Probleme scheint jedoch die Stromversorgung für das Handy zu sein. Und dafür gibt es bereits die skurrilsten Entwicklungen. Wissenschaftler der Universität Bristol haben er kürzlich ihr jüngstes Forschungsprojekt vorgestellt: die Stromgewinnung aus Urin.

Dabei wandeln spezielle Bakterien organisches Material - in dem Fall Urin - in Elektrizität um die dann im Akku gespeichert wird, wie der britische „Independent“ berichtet. Da die Bakterien nur relativ wenig Strom liefern - gerade einmal genug für einen kurzen Anruf - sehen die Forscher den Anwendungsbereich weniger im Outdoor-Bereich sondern mehr als Stromquelle im eigenen Haushalt. Mit häufigen Toilettengängen könnte so zum Beispiel die elektrische Zahnbürste aufgeladen werden.

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