Eigener islamischer Staat im Norden?
Der Bürgerkrieg in Syrien wird immer stärker von radikalisierten Kämpfern aus der islamischen Welt dominiert. Im Moment sollen Taliban-Kämpfer aus Pakistan, die vordergründig gegen das Assad-Regime kämpfen wollen, ins Land strömen. Doch die Dschihadisten werden für die Rebellen zunehmend zum Problem.
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Hunderte Taliban aus Pakistan sind auf dem Weg nach Syrien beziehungsweise bereits dort, berichtete unter anderem CNN unter Berufung auf einen der Taliban-Befehlshaber. Sie würden in eigenen Camps untergebracht, so Abdul Rashid Abbasi gegenüber CNN. Laut seinen Angaben werden gezielt Freiwillige rekrutiert, viele gingen auf ihren ersten Auslandseinsatz. Die pakistanischen Taliban operieren vor allem im Grenzgebiet zu Afghanistan.
Einzelkämpfer oder doch gezielte Truppen?
Die Taliban seien auch bereit, mehr Freiwillige zu schicken, genaue Zahlen wollte Abbasi aber nicht nennen. „Wir werden jede Unterstützung bieten, die unsere syrischen Brüder benötigen“, so der Kommandant. Man warte nur auf eine entsprechende Order des syrischen Al-Kaida-Führers Abu Omar Baghdadi. Pakistans Innenminister dementierte am Wochenende, dass militante Gruppen das Land Richtung Syrien verließen, Mitarbeiter des pakistanischen Geheimdiensts widersprachen ihm allerdings.
Die Taliban selbst sagten am Dienstag, ihr Fokus habe sich nicht nach Syrien verlagert, es gebe auch keine Camps. „Wir haben weitaus bessere Ziele in der Region“, sagte ein hoher Führer gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Er dementierte auch, dass die Taliban gezielt Hunderte Kämpfer nach Syrien schickten. Vielmehr gingen einige Kämpfer auf eigene Faust nach Syrien. Das pakistanische Außenministerium prüft derzeit die Angaben der Taliban zu Syrien.
Dschihadisten aus immer mehr Ecken
Laut den Mitarbeitern des pakistanischen Geheimdiensts teilen sich die militanten Kämpfer in Syrien in zwei Gruppen auf. Einerseits sind das ausländische Kämpfer aus Regionen wie Usbekistan, Turkmenistan und dem Mittleren Osten, die in Afghanistan gegen US-Truppen kämpfen wollen und Syrien derzeit als wichtigeren Kampfort ansehen.
Die zweite Gruppe bestehe aus pakistanischen Taliban und Mitgliedern der extremistischen sunnitischen Organisation Lashkar-e-Jhangvi (LEJ) sowie der Al-Kaida. Sie gehen demnach auch nach Syrien, weil sie wegen ihrer radikalen Tätigkeiten in Pakistan überwacht werden. In vom Bürgerkrieg gebeutelten Land erhoffen sie sich mehr Möglichkeiten für ihre Aktivitäten.
Interne Kämpfe nach Tod eines Kommandanten
Für die syrischen Rebellen klingt das weniger nach Hilfe als vielmehr nach einer weiteren Belastung. Denn die radikalisierten Kämpfer bringen vor allem zunehmend Unruhe in die Reihen der Rebellen und belasten deren Kampfstärke. Ausländische Extremisten, darunter auch viele Europäer, nutzen Syrien zwar schon seit Monaten als Tummelplatz, doch spätestens seit letzter Woche ist vor allem den säkularen Rebellen der Freien Syrischen Armee (FSA) klar, dass sie mit einigen von ihnen definitiv nicht zusammenarbeiten können.
Denn in der vergangenen Woche kam es in der syrischen Provinz Idlib zu Kämpfen zwischen FSA-Mitgliedern und radikal-islamischen irakischen Milizionären, berichtete die oppositionellen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Dschihadisten des Al-Kaida-Ablegers Islamischer Staat im Irak hatten zuvor mit Kamal Hamami einen führenden Kommandanten der FSA getötet. Weitere Führungspersonen der FSA sollen ebenfalls getötet worden sein.
Konkurrenz für Al-Nusra-Front
Bereits seit einiger Zeit werden die irakischen Dschihadisten immer mächtiger und machen auch der syrischen - ebenfalls Al-Kaida-nahen - radikalislamischen Al-Nusra-Front zunehmend Konkurrenz. Sie würden sich mit viel Geld die Loyalität der Armen erkaufen, heißt es. Nach Angaben der oppositionellen syrischen Menschenrechtsbeobachter haben die irakischen Milizionäre in einigen Gebieten im Norden Syriens die Al-Nusra-Front bereits abgelöst.
Ein hochrangiger FSA-Vertreter sagte der arabischen Tageszeitung „Al-Schark al-Awsat“ vom Dienstag, dass die Al-Kaida gegen Ende des Ramadan im Norden Syriens überhaupt einen islamischen Staat ausrufen will. Demnach sei der Tod Hamamis erst der Anfang gewesen, weitere Ermordungen hochrangiger FSA-Vertreter sollen folgen. Vor allem in den von den Rebellen gehaltenen Regionen im Norden Syriens sind die Islamisten stark.
Rebellen fordern Kampf für Syrien
Neben der Angst vor einem islamischen Staat haben die syrischen Rebellen auch ein Problem damit, dass die Führungsriegen der neuen Gruppen nicht aus Syrien sind. Wer in Syrien kämpfe, müsse für das Land Syrien und sein Volk kämpfen und nicht für eigene Machtinteressen, sagte der Befehlshaber der Al-Nusra-Front im Großraum Damaskus, Abu al-Fadel.
Die meisten ausländischen Kämpfer im Norden kommen laut einem Aktivisten aus Tunesien, Algerien, dem Irak und Saudi-Arabien. Radikale Islamisten aus Jordanien gaben an, dass zuletzt Hunderte ausländische Dschihadisten über die Türkei nach Syrien gekommen seien.
Angst vor Islamisierung
Erst unlängst betonte auch ein FSA-Sprecher: „Wir brauchen keine Dschihadisten und keine ausländischen Kämpfer, wir haben selbst genug Männer. Was uns fehlt, das sind Waffen.“ Vor allem nach dem Sturz des Regimes werde es für die ausländischen Kämpfer keinen Platz mehr in Syrien geben, betonte er: „Wir sagen ihnen dann: ‚Vielen Dank und auf Wiedersehen!‘“ Vor allem die säkularen Syrer befürchten, dass die Dschihadisten nach einer erfolgreichen Eroberung ihre Form des Islam durchsetzen möchten.
Neben der großen Zahl radikaler Islamisten, die der sunnitischen Glaubensrichtung anhängen, sind im Syrien-Konflikt auch zahlreiche schiitische Kämpfer aktiv - an der Seite der Regierungstruppen. So kämpft die vom Iran unterstützte libanesische Hisbollah gemeinsam mit Soldaten von Baschar al-Assad gegen die Rebellen in Homs. Auch aus dem schiitisch geprägten Iran bekommt Assad Hilfe. Der designierte iranische Präsident Hassan Rouhani hat Assad am Dienstag erneut die Unterstützung seines Landes zugesichert.
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