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Neuer Stützpunkt des globalen Dschihad?

Im Schatten der Umwälzungen in Ägypten versuchen islamistische Gruppen, ihre Machtgebiete auf der Sinai-Halbinsel mit Gewaltakten auszudehnen. Nach den Stammesgebieten am Hindukusch, nach Somalia und der Südsahara droht auch der Sinai unter die Kontrolle von Islamisten zu gelangen und damit zu einem weiteren staatsfreien Raum zu werden, in dem der globale Dschihad seine Stützpunkte unterhält.

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Denn seit in Ägypten Anfang Juli die von den Muslimbrüdern getragene Regierung unter Mohammed Mursi gestürzt wurde, nutzen bewaffnete islamistische Gruppen die unsichere Lage und greifen im Norden der Halbinsel beinahe täglich Kontrollposten der Armee und Polizeistationen an. Mehrere Angehörige der Sicherheitskräfte wurden zuletzt getötet.

Beduinen als Helfer für Dschihadisten

Auch ein Priester der koptischen Christen wurde gezielt ermordet, seine geköpfte Leiche wurde vergangene Woche gefunden, er sei an den Händen gefesselt gewesen, hieß es von Sicherheitskräften. Eine Pipeline, die ägyptisches Erdgas nach Jordanien leitet, war zuletzt in Flammen aufgegangen.

Neben der Bedrohung, die von den vielfach aus dem Gazastreifen in den Sinai eingekehrten islamistischen Extremisten ausgeht, gibt es die Befürchtung, dass sich die ortskundigen Beduinen, die ihren Lebensunterhalt viele Jahre als Führer der Einwanderer und Schmuggler verdienten, nun in den Dienst der Extremisten stellen, die wiederum nach Israel einsickern wollen, um dort Terrorakte zu verüben.

Bürger zweiter Klasse

Über Jahrzehnte wurden die Beduinen als Staatsbürger zweiter Klasse und als Problem betrachtet. Viele der 100.000 Beduinen haben nicht einmal einen ägyptischen Ausweis, die Wirtschaftsentwicklung des Landes ging an ihnen vorbei, Armut ist weit verbreitet. Vom boomenden Fremdenverkehr im Süden der Halbinsel haben sie nichts. Viele Beduinen stehen damit illegalen Aktivitäten offen gegenüber.

Beduinen vor der Rafah-Grenze zwischen Ägypten und dem Gaza-Streifen

APA/EPA/Khaled Elfiqi

Ägyptische Beduinen beim Grenzübergang Rafah zum Gazastreifen

„Unabhängige Strukturen entwickelt“

Doch die Vorgänge stellen nicht nur die neue Regierung in Kairo vor ein schleichendes Problem. Auch das unmittelbar an den Sinai grenzende Israel sieht die Entwicklungen mit Sorgen. Zuletzt bekam das Land die Bedrohung wieder zu spüren, als in der Nähe von Eilat an der Südspitze des Landes Raketen und Granaten einschlugen - damit wurde der Urlaubsort am Roten Meer seit 2010 bereits zum insgesamt neunten Mal terroristisch attackiert.

Die kleine Terrorgruppe Ansar Beit al-Makdes bekannte sich zu dem jüngsten Anschlag. „Wenn wir bisher annehmen konnten, dass diese Attacken alle aus Gaza organisiert wurden, müssen wir heute erkennen, dass sich bei den Terrorbanden unabhängige Strukturen entwickelt haben“, erläuterte ein Vertreter des israelischen Militärs gegenüber der Tageszeitung „Haaretz“.

Sperranlage fertiggestellt

Doch Israel hat sich bereits gerüstet: Nur wenige Tage nach dem Angriff wurde von der Regierung die Fertigstellung einer Sperranlage entlang der ägyptischen Grenze gefeiert, an der zwei Jahre lang gebaut worden war. Ursprünglich war dieser Zaun vor allem gegen Wirtschaftsflüchtlinge aus Afrika gerichtet. Dass deren Zahl von 9.570 im ersten Halbjahr 2012 auf nur noch 34 in den ersten sechs Monaten dieses Jahres zurückging, gerät nun fast zur Nebensache.

Die israelischen Grenztruppen zum Sinai trafen früher neben Asyl oder Arbeit suchenden Afrikanern vor allem auf bewaffnete Schmugglerbanden, die im großen Stil Drogen ins Land bringen wollen. Auch hier gab es nach Angaben der Streitkräfte in diesem Jahr nur noch 39 Schmuggelversuchen, von denen 20 verhindert wurden. Im Mittelpunkt steht künftig auch an der Südgrenze die Terrorabwehr.

Israel gestattet Einsatz von Militärgerät

Bisher überlässt Israel das operative Eingreifen völlig der ägyptischen Armee, „die in den meisten Fällen gute Arbeit leistet“, wie ein Militäroffizier gegenüber der Nachrichtenagentur AFP meinte. „Die ägyptische Regierung weiß, wie empfindlich Israel bei allem ist, was auf dem Sinai passiert“, erklärte der frühere israelische Botschafter in Kairo, Jizhak Levanon, gegenüber AFP.

„Außerdem hat die dortige Armee ja nun mehr Möglichkeiten, hart gegen islamistische Elemente vorzugehen“, ergänzte er und verwies damit darauf, dass die israelische Seite gegenwärtig den Einsatz von gepanzerten Truppenfahrzeugen und Militärhubschraubern toleriert, die laut Friedensvertrag von 1979 nicht auf dem Sinai eingesetzt werden dürfen.

Fokus auf Städte

Doch es gibt auch die Sorge, dass sich die ägyptische Armee angesichts der Entwicklungen verstärkt auf die Sicherheitslage in Kairo und anderen Großstädten konzentriert und den Sinai aus dem Auge verliert. „Letztlich wird der globale Dschihad wohl versuchen, uns trotz des Sicherheitszauns im Sinai selbst herauszufordern“, so der Militäroffizier.

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