Themenüberblick

VfGH brachte Antrag ein

Mit dem Bekanntwerden der Spionageaffäre durch die NSA und andere Geheimdienste hat das Thema Datenschutz in Europa zusätzlich an Brisanz gewonnen. Entsprechend groß ist laut Beobachtern das Interesse an der mündlichen Anhörung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) in der Verhandlung über die Vorratsdatenspeicherung.

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Am Dienstag sollen Gegner und Befürworter der Vorratsdatenspeicherung in der öffentlichen Anhörung vor dem EuGH zu Wort kommen. Neben Vertretern von Österreich und Irland werden auch Vertreter von sechs weiteren EU-Staaten (Spanien, Frankreich, Italien, Polen, Portugal und Großbritannien) und - ebenfalls ungewöhnlich - von vier EU-Institutionen (Rat, Parlament, Kommission und Datenschutzbeauftragter) Stellungnahmen abgeben.

Aus Österreich geladen sind neben einem Regierungsvertreter die Beschwerdeführer, die die Vorratsdatenspeicherung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) angefochten haben: der von 11.139 Unterstützern getragene Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (AK Vorrat), die Kärntner Landesregierung und ein Angestellter eines Telekommunikationsunternehmens.

Einstellung bei Verletzung von EU-Grundrechten

Der EuGH prüft unter anderem auf Antrag des VfGH vom Dezember 2012, ob die Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta in Einklang zu bringen ist. So der EuGH entscheidet, dass die Vorratsdatenspeicherung etwa dem Recht auf Schutz der persönlichen Daten zuwiderläuft, wäre die Vorratsdatenspeicherung in Österreich und allen anderen EU-Ländern Geschichte.

Auch das irische High Court hatte den EuGH für eine Vorentscheidung angerufen. Die der Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegende EU-Richtlinie wurde 2006 unter den Eindrücken der Terroranschläge in New York, London und Madrid mit der Zustimmung Österreichs verabschiedet.

Bei Nichtumsetzung droht Strafe

Die EU-Richtlinie sieht vor, dass Kommunikationsanbieter bis zu zwei Jahre, aber mindestens sechs Monate lang, speichern, mit wem ihre Kunden kommuniziert haben. Als geltendes EU-Recht muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden, sonst droht ein EuGH-Verfahren mit hohen Strafzahlungen.

Speicherung aller Kommunikationsdaten

Mit der Vorratsdatenspeicherung, die seit 1. April 2012 in Österreich in Kraft ist, verpflichtet der Staat Internet- und Telefonieprovider dazu, sämtliche Verbindungs- und Handystandortdaten für mindestens sechs Monate zur Bekämpfung schwerer Straftaten zum Abruf durch die Exekutive bereitzuhalten. Entscheidend dabei ist, dass verdachtsunabhängig pauschal alle Daten sämtlicher Nutzerinnen und Nutzer gespeichert werden.

Dabei werden zwar keine Kommunikationsinhalte gespeichert und übermittelt. Aber die Informationen darüber, wer wann wo mit wem telefoniert oder gemailt hat, ergeben bereits ein sehr deutliches Profil eines Menschen. So sagte der NSA-Informant Edward Snowden gegenüber dem „Spiegel“, dass gerade die Metadaten meist wertvoller als der Inhalt der Kommunikation sind - denn erst auf Basis der Metadaten könne man entschieden, „was man vom breiten Datenstrom tatsächlich haben will“, so Snowden.

Umfangreiche Fragen im Vorfeld

Bereits im Vorfeld forderte der EuGH von den Parteien ausführliche Antworten zu sehr detaillierten Fragen. Dabei wollen die Richter etwa wissen, ob die Richtlinie mit den Artikeln 7 (Privatleben) und 8 (Datenschutz) der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist - unter explizitem Hinweis darauf, dass bei einer Beschränkung eines Grundrechtes für ein bestimmtes Ziel Verhältnismäßigkeit geboten ist.

Die Beteiligten sollen außerdem sagen, ob der Unionsgesetzgeber ihrer Meinung nach eine ausgewogene Gewichtung vorgenommen hat und ob die Sicherheitsvorkehrungen „hinreichend präzise sind, um einen etwaigen Missbrauch zu verhindern“. Der VfGH hatte in seinem Antrag die Missbrauchsmöglichkeiten der Vorratsdatenspeicherung unterstrichen.

„Strukturelle Grenzen“ bei Missbrauchsschutz?

„Angesichts der Vielzahl der Anbieter von Telekommunikationsleistungen und damit von Speicherungsverpflichtungen hat ein nicht überblickbarer Kreis von Personen Zugriff auf gemäß der Vorratsdatenspeicherungsrichtlinie auf Vorrat für mindestens sechs Monate zu speichernde Verkehrsdaten“, so der VfGH. Die Sicherung vor Missbrauch dürfte auf „strukturelle Grenzen“ stoßen, weil auch kleinere Diensteanbieter erfasst sind, die diesbezüglich nur „begrenzt leistungsfähig“ seien, schrieben die österreichischen Verfassungsrichter.

Weiters fragen die Richter nach, ob die Vorratsdatenspeicherung dem Ziel der Verfolgung schwerer Straftaten dienen könne. Sie unterstreichen dabei die Verpflichtung des EU-Gesetzgebers, seine Entscheidung auf objektive Kriterien zu stützen - und wollen genau wissen, wie das bei der Vorratsdatenrichtlinie gehalten wurde: Welche objektiven Richtlinien dafür sprachen, aufgrund welcher Daten man den Nutzen für die Verfolgung schwerer Straftaten einschätzte und ob es mittlerweile Statistiken gibt, die auf eine bessere Bekämpfung von Straftaten seit Erlass der Richtlinie schließen lassen.

Bis zu EuGH-Entscheidung in Kraft

Bis zur endgültigen Entscheidung bleibt die Vorratsdatenspeicherung in allen EU-Ländern weiter in Kraft. Derzeit speichern laut EU-Kommission nur Deutschland und Belgien keine Vorratsdaten, die deutsche Regelung wurde vom Bundesverfassungsgericht 2010 gekippt. Seitdem wird in Deutschland über das Gesetz gestritten. Schweden musste wegen einer verspäteten Umsetzung drei Millionen Euro zahlen. Ein Urteil des EuGH wird frühestens Ende des Jahres erwartet.

Datenschutzreform im EU-Parlament

Davon unabhängig, aber sicher nicht ganz unbeeindruckt wird im EU-Parlament am Dienstagnachmittag auch über den aktuellen Stand der EU-Datenschutzreform berichtet. Laut dem zuständigen EU-Berichterstatter Jan Albrecht haben die jüngsten Enthüllungen der Spionageaktivitäten von NSA und anderen Geheimdiensten der Diskussion über einen einheitlichen EU-Datenschutz neuen Schub verschafft. „Allen ist klar, wir müssen liefern“, so Albrecht gegenüber ORF.at. Es sei zwar klar, dass die neuen Regeln nicht für die Geheimdienstaktivitäten ausreichen, ebenso klar sei aber, dass Europa einen stärkeren Datenschutz brauche.

Im Oktober soll es nun jeweils im EU-Parlament und im EU-Rat eine Position für die weiteren Verhandlungen geben, so Albrecht. Ob sich die Verabschiedung noch bis zu den EU-Wahlen Ende Mai ausgehe, werde sich zeigen. Mittlerweile seien die Positionen aber nicht mehr so weit auseinander, außerdem habe es Bewegungen in vormals strittigen Fragen gegeben. Derzeit sei auch der Lobbydruck aus den USA deutlich geringer, so Albrecht. Am Mittwoch soll im EU-Parlament nach einer Sondersitzung zur NSA-Affäre zudem eine eigene Arbeitsgruppe zur Untersuchung der Vorfälle eingerichtet werden.

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