USA fordern „maximale Zurückhaltung“
Nach der blutigsten Konfrontation seit dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi steuert Ägypten Beobachtern zufolge immer mehr Richtung Bürgerkrieg zu. Die Muslimbrüder haben nach dem Tod von über 50 Menschen am Montag offen zum Aufstand aufgerufen. Im Ausland wird die Entwicklung zunehmend mit Sorge betrachtet.
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Allein am Montag starben vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garden in Kairo und somit dem Aufenthaltsort von Mursi über 50 Menschen, nachdem die Armee auf die dort versammelten Anhänger des gestürzten Präsidenten das Feuer eröffnete. Die Umstände eines der blutigsten Zwischenfälle seit Jahren im bevölkerungsreichsten arabischen Land blieben zunächst unklar.

Reuters/Mohamed Abd El Ghany
Patronenhülsen werden als Beweis für die Vorfälle von Montagfrüh vor versammelten Mursi-Anhängern präsentiert
Während die Armee und Interimspräsident Adli Mansur vom Versuch der Mursi-Anhänger sprachen, das Gebäude zu stürmen, gaben die dem Ex-Präsidenten nahestehenden Muslimbrüder an, das Militär habe auf friedlich betende Demonstranten gefeuert. Die Muslimbrüder, die bisher weitgehend friedlich gegen die Absetzung Mursis protestiert hatten, riefen ihre Anhänger zu einem Aufstand auf.
Aufruf zu landesweiten Massendemos
Bereits für Dienstag wurden zudem neue Massendemos angekündigt. Alle Ägypter im ganzen Land seien aufgerufen, auf die Straße zu ziehen und gegen den Militärputsch und das jüngste Massaker vor dem Hauptquartier der Republikanischen Garde zu protestieren, sagte der Sprecher eines von den Muslimbrüdern angeführten Bündnisses am Montagabend.
Auch Nur-Partei zieht Konsequenzen
Auch die zweitgrößte islamistische Strömung in Ägypten, die salafistische Nur-Partei, zog unmittelbar weitreichende Konsequenzen aus den blutigen Ereignissen in Kairo. Als Reaktion auf das „Massaker“ werde sie sich mit sofortiger Wirkung von allen Verhandlungen über die Bildung einer neuen Regierung und dem gesamten von der Armee initiierten politischen Prozess zurückziehen, teilte die ultrakonservative Partei mit. Die Nur-Partei hatte den Sturz Mursis mitgetragen und galt als wichtige Kraft beim Versuch, alle politischen Strömungen in den Demokratisierungsprozess einzubeziehen.
Appell von Nobelpreisträger ElBaradei
Übergangspräsident Mansur kündigte die Einsetzung einer Untersuchungskommission zu den Vorfällen an. Zugleich rief er die Demonstranten auf, sich von Kasernen und anderen „vitalen Einrichtungen“ des Staates fernzuhalten. Präsidenten-Sprecher Ahmed Elmoslmani sagte der Nachrichtenagentur Reuters, die Ereignisse würden die Bemühungen um eine Übergangsregierung und die Vorbereitungen für Wahlen und eine Verfassung nicht aufhalten.
Auch der liberale Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei, dessen Berufung zum Ministerpräsidenten an der islamistischen Nur gescheitert war, rief eindringlich zu weiterer Versöhnung auf. Angesichts der jüngsten Entwicklung begannen ausländische Firmen wie BP damit, Mitarbeiter aus dem Land abzuziehen. Das Außenministerium reagierte mit einer Verschärfung der Warnungen in seinen Reiseinformationen.

Reuters/Khaled Abdullah
Die Anhänger der Muslimbruderschaft wurden zum Aufstand aufgerufen
Schwerwiegende Folgen für politischen Prozess
Mit dem Aufruf der Muslimbrüder zum Aufstand scheint der Versuch endgültig gescheitert, sie in den politischen Prozess einzubeziehen. „Die Partei Freiheit und Gerechtigkeit ruft das große ägyptische Volk auf, sich gegen die zu erheben, die die Revolution mit Panzern und gepanzerten Fahrzeugen stehlen wollen und dabei auch über Leichen gehen“, erklärte die Bruderschaft auf ihrer Facebook-Seite. Die Gespräche über eine neue Regierung werden auch durch den Rückzug der Nur-Partei weiter erschwert. Mit ihr und den Muslimbrüdern sind die beiden dominanten islamistischen Strömungen Ägyptens nicht mehr mit am Tisch.
Obama gegen „voreilige Entscheidungen“
Von den USA wurde unterdessen das ägyptische Militär zur Zurückhaltung aufgefordert. „Wir verurteilen jede Art von Gewalt und auch jede Form der Anstachelung zu Gewalt aufs Schärfste“, sagte eine Sprecherin des Außenministeriums in Washington am Montag. Die US-Regierung erwarte vom ägyptischen Militär „maximale Zurückhaltung“ im Umgang mit Demonstranten.
Ein Sprecher von Präsident Barack Obama erklärte, die USA seien besorgt über die Zuspitzung der Lage. Es dürfe nicht zu Racheakten, willkürlichen Festnahmen bzw. Einschränkungen der Presse kommen. Die US-Regierung prüfe derzeit noch, ob Mursis Entmachtung durch das Militär als Putsch einzustufen sei. In diesem Fall müssten die USA ihre umfangreichen Rüstungshilfen an Ägypten stoppen. „Wir glauben, dass es nicht in unserem Interesse ist, jetzt voreilige Entscheidungen zu treffen“, erklärte Obamas Sprecher.
Auch EU stellt Hilfen auf Prüfstand
Auch die Europäische Union verurteilte die ausufernde Gewalt in Ägypten und deutete mögliche Auswirkungen auf ihre Finanzhilfen für das Land an. „Wir überprüfen ständig unsere Unterstützung für Ägypten und können sie - je nach Lage vor Ort - auch anpassen“, sagte der Sprecher von EU-Chefdiplomatin Catherine Ashton. EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Durao Barroso rief die Übergangsführung in Ägypten auf, rasch die verfassungsmäßige Ordnung im Land wiederherzustellen. Die ägyptische Führung müsse dazu alle notwendigen Maßnahmen treffen.
Putin: Ägypten auf Weg zu Bürgerkrieg
Ähnliche Worte kamen auch von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, der die ägyptischen Sicherheitsleute aufrief, die Demonstranten zu schützen. Polizei und Militär müssten alle gewaltsamen Zusammenstöße vermeiden, erklärte Ban. Zugleich rief er das ägyptische Volk auf, „sein Recht auf Demonstrationen ausschließlich friedlich auszuüben“.
Russlands Präsident Wladimir Putin sieht Ägypten unterdessen schon auf dem Weg zu einem Bürgerkrieg wie in Syrien. Ägypten sei dabei, Syrien in einen solchen Konflikt zu folgen, sagte Putin einer Meldung der Nachrichtenagentur RIA Nowosti zufolge. Der türkische Außenminister, Ahmet Davutoglu, bezeichnete die jüngsten Gewaltausschreitungen angesichts der Dutzenden Todesopfer als Massaker. „Ich verurteile scharf das Massaker, das in Ägypten beim Morgengebet stattgefunden hat“, erklärte Davutoglu.
Spindelegger für Neuwahlen
Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) versicherte, dass die österreichischen Behörden darauf vorbereitet seien, im Fall von Krisensituationen österreichische Staatsbürger aus Ägypten zu evakuieren. In den klassischen Urlaubsorten am Meer sehe man noch keine Gefahr, aber auch das werde täglich neu beurteilt, so der Vizekanzler. Spindelegger beurteilte die Militärintervention als „keinen wünschenswerten Zustand“. Deshalb betonte der Außenminister, dass aus seiner Sicht Neuwahlen in Ägypten möglichst schnell abgehalten werden sollten.
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