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Warnung vor weiterer Gewalt

Die Absetzung von Mohammed Mursi als Staatspräsident Ägyptens hat auf dem Tahrir-Platz in Kairo für Jubel gesorgt. „Die Bevölkerung und die Armee stehen zusammen“, riefen die Menschen. Unterdessen gab es auch Zusammenstöße.

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Zehntausende Demonstranten auf dem Tahrir-Platz brachen nach der Ankündigung in Jubel aus und zündeten Feuerwerkskörper. Viele hatten den ganzen Tag auf die Nachricht gewartet, die am Abend von Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi verkündet wurde.

Feuerwerk über Tahrir-Platz

Reuters/Steve Crisp

Feuerwerk auf dem Tahrir-Platz

Neuwahl geplant

Der Präsident des Verfassungsgerichts, Adli Mansur, solle vorläufig die Geschicke des Landes lenken, sagte Sisi in einer Fernsehansprache. Er kündigte zudem eine neue Präsidentschaftswahl und die Aufhebung der im Vorjahr beschlossenen, von den Islamisten ausgearbeiteten Verfassung an. „Die Armee will nicht an der Macht bleiben“, versicherte Sisi, der auch Armeechef ist.

Das Land solle nun eine Regierung aus Technokraten bekommen, so Sisi weiter. Der politische Fahrplan sei mit Politikern und anderen öffentlichen Personen beschlossen worden. Geplant ist ein „Versöhnungskomitee“, in dem alle gesellschaftlichen Kräfte zu Wort kommen sollen. Mansur soll informierten Kreisen zufolge am Donnerstag den Eid ablegen.

Ägyptischer Militärchef

AP/Ägyptisches Staatsfernsehen

Armeechef und Verteidigungsminister Abdel Fattah al-Sisi bei der TV-Ansprache

Warten auf Reaktion der Muslimbruderschaft

Abzuwarten bleibt das weitere Verhalten Mursis und seiner Anhänger, vor allem der Muslimbruderschaft. Auf Mursis Facebook-Seite wurde er selbst mit den Worten zitiert, das Militär habe geputscht. In einem auf der Videoplattform YouTube veröffentlichten Video sagte Mursi, er sei der gewählte Präsident Ägyptens. Das Volk sei nun aufgefordert, seine „Legitimität zu verteidigen“. Mursi selbst rufe zu einem friedlichen Widerstand auf, sagte ein enger Vertrauter Mursis am Mittwochabend der Nachrichtenagentur AFP.

Mursis Anhänger zeigten sich ob der Absetzung wütend. In einem Vorort Kairos zertrümmerten sie Pflastersteine in der Nähe einer Moschee. Sie forderten die Verurteilung des Armeechefs und riefen: „Sisi ist null und nichtig! Der Islam kommt. Wir werden nicht weggehen.“ Bei Zusammenstößen zwischen Mursis Unterstützern und der Polizei gab es am Abend mindestens zehn Tote, unter anderem in der Hafenstadt Alexandria. Die Armee erklärte, keine gewalttätigen Proteste zu dulden.

Armee verstärkt Präsenz

Mursi hatte am Nachmittag ein Ultimatum verstreichen lassen, das ihm das Militär gestellt hatte. Am Präsidentenpalast marschierten Hunderte Soldaten auf und demonstrierten Stärke. Außerdem gingen gepanzerte Fahrzeuge in Stellung. Soldaten riegelten mit Barrieren und Stacheldraht die Kaserne ab, in der sich Mursi aufhielt.

Militär in Kairo

AP/Manu Brabo

Militär bei den Demonstrationen nahe der Universität in Kairo

Auch in anderen Stadtteilen Kairos verstärkte das Militär seine Präsenz. In der Nähe von Demonstrationen von Mursis Anhängern in Kairo fuhren Dutzende Panzer auf. Das berichteten Reporter der Nachrichtenagentur AFP. Aus Militärkreisen verlautete nach Angaben der ägyptischen Nachrichtenagentur MENA, es gebe ein massives Truppenaufgebot in den Vierteln Nasr-Stadt, Heliopolis und in der Nähe der Universität. Die staatliche Zeitung „al-Ahram“ berichtete, die Panzer seien aufgefahren, „um in den nächsten Stunden Gewaltakte zu verhindern, die die nationale Sicherheit bedrohen könnten“.

Ausreiseverbot für Mursi

Gegen Mursi wurde zudem ein Ausreiseverbot erlassen, wie Reuters aus Sicherheitskreisen erfuhr. Auch eine Reihe führender Mitglieder der Muslimbrüderschaft darf das Land nicht verlassen. Ägyptische Sicherheitskräfte haben nach eigenen Angaben zudem zwei ranghohe Führer der Muslimbruderschaft festgenommen. Der TV-Sender der Muslimbrüder, Egypt25, wurde der staatlichen Nachrichtenagentur MENA zufolge abgeschaltet, seine wurden Manager ebenfalls verhaftet. Auch der Islamistensender al-Hafes und der Salafistensender al-Nas seien betroffen, berichtete „al-Ahram“ (Onlineausgabe).

Krisentreffen mit Opposition

Der Ankündigung des Armeechefs war ein Krisentreffen der Militärführung mit den Spitzen der Opposition und hohen geistlichen Würdenträgern vorausgegangen. Unter ihnen waren der Friedensnobelpreisträger Mohammed ElBaradei, Vertreter der Protestbewegung Tamarud, der Großscheich der Al-Ashar-Universität, Ahmed al-Tajeb, und der koptisch-orthodoxe Papst Tawadros II. Sie waren mit im Bild zu sehen, als Sisi die Erklärung verlas, die bei dem Treffen vereinbart wurde.

Die Muslimbrüder lehnten die Einladung zum Krisentreffen ab. Kurz nach Ablauf des Ultimatums der Armee lehnte Mursi erneut einen Rücktritt ab. Zugleich wiederholte er sein Angebot der Bildung einer umfassenden Koalitionsregierung. Diese solle alle politischen Kräfte und insbesondere die Jugendbewegung einschließen, hieß es in einer Erklärung, die auf der offiziellen Facebook-Seite Mursis gepostet wurde.

Mursi: Notfalls im Kampf sterben

Mursi, der seine religiösen und politischen Wurzeln in der Muslimbruderschaft hat, zeigte sich bei seiner letzten Ansprache in der Nacht auf Mittwoch nicht kompromissbereit. Er sei auf legitime Weise gewählt und werde sich dem Druck nicht beugen. Mursi ist nach den Worten seines Sprechers entschlossen, notfalls im Kampf für die Demokratie zu sterben. Er wolle nicht von der Geschichte verurteilt werden.

Der Sprecher der regierenden Muslimbruderschaft, Gehad al-Haddad, bekräftigte den Widerstand der Islamisten gegen eine Entmachtung Mursis. „Der einzige Plan, den die Menschen angesichts eines Putschversuchs haben, ist, sich vor die Panzer zu stellen“, teilte er am Mittwoch über den Kurznachrichtendienst Twitter mit.

Massive Unzufriedenheit mit Wirtschaftslage

Seit mehreren Tagen erschütterten heftige Proteste für und gegen Mursi das Land. Bei Zusammenstößen zwischen Gegnern und Anhängern des Staatsoberhaupts starben Dutzende Menschen, allein in der Nacht zum Mittwoch gab es in Kairo mindestens 22 Tote. Die Armee kündigte über das Soziale Netzwerk Facebook an, sie kämpfe gegen die, die das Volk verängstigten. Sie werde Terroristen und Extremisten bekämpfen und ihr Blut für Ägypten opfern.

Die Protestbewegung kritisierte Mursi wegen seines autoritären Führungsstils, einer fortschreitenden Islamisierung im Land und auch wegen einer dramatisch verschlechterten Wirtschaftslage. Mursis Anhänger sehen die Krise als ideologischen Machtkampf - für oder gegen den Islam. Mursi war ein Jahr im Amt. Die Muslimbruderschaft war sowohl aus der Parlaments- als auch der Präsidentenwahl als stärkste Kraft hervorgegangen.

USA warnen vor Ägypten-Reisen

In ersten Reaktion begrüßten zahlreiche Staaten wie etwa Frankreich die angekündigte Neuwahl. Großbritannien rief Anhänger und Gegner des Präsidenten zur Zurückhaltung auf. Die Lage in Ägypten sei „ganz klar gefährlich“, erklärte Außenminister William Hague in der Nacht zum Donnerstag. König Abdullah von Saudi-Arabien gratulierte der neuen Führung in Kairo zur Machtübernahme „an diesem entscheidenden Punkt der Geschichte“. „Gott möge Ihnen helfen, die Verantwortung zu tragen, die auf ihren Schultern liegt, um die Hoffnungen (...) des ägyptischen Volkes zu erfüllen“, schrieb er in einem Telegramm an den neuen Präsidenten Mansur.

US-Präsident Barack Obama zeigte sich „zutiefst besorgt“ über die Entwicklung. Er forderte das ägyptische Militär auf, so schnell wie möglich die volle Macht an eine demokratisch gewählte Regierung zurückzugeben. Das müsse in einem transparenten Prozess geschehen. Willkürliche Verhaftungen von Mursi und seinen Unterstützern sollten vermieden werden, erklärte Obama.

Die USA verpflichteten ihr Botschaftspersonal in Ägypten zur Ausreise. Nur „unentbehrliche Mitarbeiter“ dürften in dem Land bleiben, teilte das US-Außenministerium am Mittwoch in Washington mit. Gleichzeitig veröffentlichte es eine aktualisierte Reisewarnung. Demnach sollten US-Bürger, die in dem Land leben, ausreisen. Reisen nach Ägypten sollten vermieden werden.

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