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Ermittlungen eingeleitet

Arbeiter, die für einen Hungerlohn arbeiten, eingeschüchtert werden und abgeschottet hinter Stacheldraht in aufgelassenen Kasernen leben: Die NDR-Journalisten Marius Meyer und Michael Nieberg haben sich für die Doku „Lohnsklaven in Deutschland“ mit versteckter Kamera in der Fleischindustrie umgesehen und sind dabei auf ein System von Menschenhandel und organisierter Kriminalität gestoßen.

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Mittlerweile wird gegen 22 Beschuldigte und ein Firmengeflecht von rund zwei Dutzend Unternehmen ermittelt, bestätigte der deutsche Staatsanwalt Ralf Möllmann am Montag dem Norddeutschen Rundfunk. Die deutsche Justiz reagiert damit auch auf wachsende Kritik aus Österreich, Belgien und Frankreich, die schon länger gegen die Billigkonkurrenz aus Deutschland Sturm laufen. Die betroffenen Firmen haben die Vorwürfe bestritten.

Minilöhne und Einschüchterung

In deutschen Schlachthöfen haben Leiharbeiterkolonnen die Stammbelegschaft laut NDR-Recherche längst verdrängt. Die Arbeiter kommen zumeist aus Polen, Rumänien und Bulgarien und werden über ein undurchsichtiges Geflecht aus Schein- und Subfirmen nach Deutschland vermittelt. Dort arbeiten sie für Stundenlöhne von fünf Euro brutto, mit ungeregelten Einsatzzeiten und ohne Krankenversicherung. Beschwerden gibt es kaum - dafür wird vonseiten des Managements gesorgt. Eine Arbeiterin, die unerkannt bleiben wollte, erzählte den Journalisten, dass sie mit dem Umbringen bedroht wurde, sollte sie ihre Arbeitssituation zur Anzeige bringen.

Arbeiter in deutscher Fleischfabrik

Reuters/Alex Grimm

In Deutschland werden jede Woche 100.000 Schweine geschlachtet

Bereits Mitte Mai haben 450 Polizisten, Zollbeamte, Steuerfahnder und Staatsanwälte deutschlandweit an 90 Orten Büros und Wohnungen durchsucht. Die Ermittler gehen dem Verdacht nach, dass mit dem Einsatz der Leiharbeiter aus Rumänien und Polen von den Leiharbeitsfirmen Steuern und Sozialabgaben in Millionenhöhe hinterzogen wurden.

„Das ist Menschenhandel“

Mit einer ähnlichen Durchsuchungsaktion hatten die Ermittler vor sieben Jahren die Branche aufgeschreckt. Der Besitzer einer deutsche Leiharbeiteragentur aus Mönchengladbach wurde in der Folge im Jahr 2010 vom Düsseldorfer Landgericht zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Ermittler mussten für die Massen an sichergestellten Unterlagen eine Turnhalle anmieten.

Die Beschuldigten im aktuellen Verfahren der Ermittlungskommission „Karo“ seien zwar andere, sagte Möllmann. Die Strippen für den Einsatz der Arbeiterkolonnen sind aber offenbar erneut in Deutschland gezogen worden. Das Verfahren sei zunächst von der Duisburger Staatsanwaltschaft geführt und wegen des Umfangs an die Düsseldorfer Behörde abgegeben worden. Mehr als ein Dutzend Schlachthöfe soll von Hintermännern der Szene mit billigen Arbeitskräften versorgt worden sein.

„Das ist Menschenhandel, das ist organisierte Kriminalität“, zitiert die „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“) Matthias Brümmer, Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten in der Fleischregion Oldenburg. Laut Brümmer werde die Branche immer raffinierter, „auch Bordellbetreiber gehören zu den Akteuren der Leiharbeiter-Mafia“. Auch international sorgen die „chinesischen Verhältnisse“ in der deutschen Fleischindustrie laut „SZ“ inzwischen für Ärger.

Dass Österreich unter die Räder kommt, „ist logisch“

Als im Mai die ersten Razzien stattfanden, läuteten auch in Österreich die Alarmglocken. „Das Fleisch aus Deutschland ist um bis zu 20 Prozent billiger. Natürlich wird davon nicht der ganze Preisvorteil nach Österreich weitergegeben - nur so viel, dass es eben gekauft wird“, erklärte Hans Schlederer, Chef des Verbandes der landwirtschaftlichen Veredelungsproduzenten (VLV) und der Schweinebörse in Linz, gegenüber der APA. Das Problem gebe es seit etwa fünf Jahren, in den vergangenen zwei bis drei Jahren habe es sich verschlimmert.

„Beispielsweise mieten osteuropäische Firmen im Auftrag deutscher Fleischer ganze Tierverarbeitungshallen, schlachten dort ausgestattet mit einem Werkvertrag Tausende Schweine in einer gewissen Zeit - zu den weit billigeren Konditionen ihres jeweiligen Heimatlandes“, schildert Schlederer die gängige Praxis in Deutschland. Das sei für andere Länder doppelt schwierig, weil die Personalkosten im Fleischzerlegeprozess laut Schlederer 60 Prozent ausmachen. „Dass wir so unter die Räder geraten, ist logisch.“

Initiativen auch in Belgien und Frankreich

Schlederer sei bereits beim Sozial-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsminister vorstellig geworden. „Aber bilateral traut sich keiner so richtig, etwas zu machen, wofür ich ein gewisses Verständnis habe - also wollen wir über eine Initiative Richtung Brüssel mit anderen starken Ländern richtig vorgehen.“ Eine Einzelinitiative gab es seitens Frankreich vor drei Jahren.

Nun habe sich auch die belgische Regierung bei der EU-Kommission über Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrung in Deutschland beschwert. Die Billigkonkurrenz aus Deutschland soll inzwischen auch den belgischen Fleischverarbeitern zu schaffen machen und einen „Schlachttourismus“ befördern.

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