Höhere Strafe als von Anklägern gefordert
Der italienische Politiker und Medientycoon Silvio Berlusconi ist am späten Montagnachmittag in Mailand zu sieben Jahren Haft und einem lebenslangen Berufsverbot als Politiker verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er mit der Marokkanerin Karima el-Mahroug alias „Ruby Rubacuori“ („Ruby Herzensbrecherin“) gegen Geld Sex hatte, als diese noch minderjährig war.
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Außerdem sprach das Gericht nach siebenstündigen Beratungen Berlusconi auch des Amtsmissbrauchs schuldig. In der strafrechtlichen Aufarbeitung von Berlusconis berüchtigten „Bunga Bunga“-Partys ging das Gericht damit sogar über die Forderungen der Staatsanwaltschaft hinaus. Berlusconis Anwalt Niccolo Ghedini kündigte prompt Rechtsmittel gegen den Schuldspruch an. Das Urteil sei ebenso erwartet wie ungerecht ausgefallen. Definitiv wird die Verurteilung erst in dritter Instanz.
Viele „Erinnerungslücken“ bei Berlusconi und Ruby
In dem im April 2011 in Mailand begonnenen Verfahren ging es um mutmaßlichen bezahlten Sex Berlusconis mit Ruby. Beide bestritten diesen Anklagepunkt trotz aller vorgelegten Beweise - vor allem abgehörter Telefonate - einhellig vor Gericht. Dem Ex-Regierungschef wurde außerdem zur Last gelegt, 2010 sein Amt als Regierungschef missbraucht zu haben, um bei der Polizei die Freilassung der damals wegen Diebstahls festgenommenen Minderjährigen zu erwirken.
Berlusconi hatte damals persönlich telefonisch bei der Polizei für eine Freilassung interveniert und gesagt, Ruby sei eine Nichte des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, die es wegen befürchteter diplomatischer Verwicklungen freizulassen gelte. Im Prozess blieb Berlusconi dabei, er habe das selbst aufgrund von Rubys Aussagen geglaubt. Sowohl er als auch Ruby gaben vor Gericht in wesentlichen Punkten an, sie könnten sich nicht mehr an die Vorkommnisse erinnern.
Berlusconi-Vertrauter sieht „Staatsstreich“
Anwalt Ghedini sprach von einem „Urteil fern jeglicher Logik“. „Es ist absurd, dass das Gericht gegen Berlusconi eine höhere Strafe verhängt hat, als sie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Dieser Prozess hätte nicht in Mailand stattfinden sollen, weil das Gericht gegen Berlusconi voreingenommen ist“, so Ghedini. Er sehe das Urteil deshalb gelassen, weil er „schon seit drei Jahren sage, dass der Prozess niemals hier stattfinden hätte dürfen“.
Der Parlamentarier von Berlusconis Mitte-rechts-Allianz, Gianfranco Rotondi, sprach von einem „Staatsstreich“, um den TV-Unternehmer aus der politischen Szene zu verbannen. „Die italienische Demokratie ist in Gefahr. Ohne Verbrechen und ohne Beweise hat man einen der Hauptakteure der italienischen Politik in den letzten 20 Jahren verurteilt. Das ist ein Anschlag auf die Demokratie und auf den Rechtsstaat“, kommentierte der zu Berlusconis Lager gehörende Senator Lucio Malan.
Berlusconi verschanzte sich in Villa
Hunderte Medienvertreter hatten sich bereits Montagfrüh vor dem Justizpalast in Mailand versammelt. Chefanklägerin Ilda Boccassini, die für Berlusconi eine Haftstrafe von sechs Jahren und den lebenslangen Ausschluss des Medienzaren von allen öffentlichen Ämtern gefordert hat, wurde bei der Urteilsverkündung von weiteren Staatsanwälten vertreten. Das Urteil wurde von einem Senat aus drei Richterinnen gefällt. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

AP/Luca Bruno
Medienandrang vor dem Gericht in Mailand
Mehrere Politiker und Anhänger Berlusconis waren im Gerichtssaal anwesend. Zudem mobilisierten Berlusconi-Fans bereits vor dem Urteil für eine Solidaritätskundgebung vor dem Justizpalast. Berlusconi hatte in seiner Villa in Arcore auf das Urteil gewartet - just jenes Anwesen, in dem das erste Treffen zwischen Berlusconi und Ruby laut ihrer Aussage stattgefunden hatte. In einer Äußerung vor Verkündung des Urteils hatte Berlusconi bereits für eine allfällige Verurteilung vorgebaut: „Berlusconi ist realistisch. Urteile gegen ihn sind immer politisch gefärbt“, sagte einer der Rechtsanwälte des TV-Tycoons, Piero Longo.
Gericht will Ermittlungen gegen 33 Zeugen
Das Mailänder Gericht forderte auch die Eröffnung von Ermittlungen gegen 33 Zeugen wegen Falschaussagen. Ermittlungen sollen gegen vier Deputierte von Berlusconis Mitte-rechts-Allianz eingeleitet werden, darunter Vizeaußenminister Bruno Archi und die Euro-Parlamentarierin Licia Ronzulli. Sie sollen vor Gericht gelogen haben, um Berlusconi zu entlasten.
Auch mehrere junge Frauen, die an Partys in Berlusconis Villa in Mailand teilgenommen hatten, sollen vor Gericht gelogen haben, sagten die drei Richterinnen. „Ich bin geschockt. Jetzt behauptet man, ich sei eine Lügnerin, nachdem man mich als Prostituierte angeprangert hat. Man hat starken Druck auf mich gemacht, damit ich, wer weiß was erzähle. Ich habe vor Gericht nur die Wahrheit gesagt und ich werde sie wiederholen. Doch es wird nichts nutzen“, sagte das rumänische Model, Ioana Visan, das als Zeugin für Berlusconis Verteidigung ausgesagt hatte.
Das Mailänder Gericht forderte auch die Konfiszierung von Rubys Besitztümern und jener ihres Lebensgefährten. Ruby soll laut der Mailänder Staatsanwaltschaft vom Ex-Premier 4,5 Millionen Euro erhalten haben. Die 20-jährige Marokkanerin verbringt derzeit einen Urlaub in Mexiko.
Vertraute: Bleiben loyal zu Regierung Letta
Nach der erstinstanzlichen Verurteilung Berlusconis schlossen die Verbündeten des Ex-Premiers aus, dass das Urteil eine negative Auswirkung auf die Stabilität der Regierung von Ministerpräsident Enrico Letta haben könnte, dem die Berlusconi-Partei Volk der Freiheit (PdL) angehört.
Die Mitte-rechts-Allianz bleibe der Regierung von Letta loyal, versicherte die Berlusconi-Parlamentarierin Daniela Santanche. „Die Regierung Letta ist nicht wegen Berlusconis Justizproblemen gefährdet. Berlusconi wird sich verantwortungsvoll verhalten und weiterhin die Regierung unterstützen“, sagte der Ex-Justizminister und Berlusconi-Vertraute Francesco Nitto Palma.
Weiteres „Bunga Bunga“-Verfahren vor Urteil
Ein Urteil in einem weiteren Verfahren gegen drei Vertraute Berlusconis wegen Begünstigung von Prostitution wird am 12. Juli erwartet. Dabei fordert die Mailänder Staatsanwaltschaft sieben Jahre Haft für den Ex-Chefredakteur der Tagesschau TG4, Emilio Fede, den ehemaligen Showgirl-Manager Lele Mora und die frühere Regionalpolitikerin Nicole Minetti gefordert. Sie werden beschuldigt, Callgirls, darunter Ruby, für Berlusconis Partys vermittelt zu haben. Die Angeklagten hätten gewusst, dass Ruby noch minderjährig war, betonte der Staatsanwalt.
Steuerbetrugsprozess geht in dritte Instanz
Das Urteil am Montag ist bereits der zweite Schuldspruch gegen Berlusconi innerhalb weniger Wochen. Bereits im Mai war er wegen Steuerbetrugs verurteilt worden. In diesem Prozess wird im Herbst das definitive Urteil in dritter Instanz erwartet. Sollte der Politiker und Medienmogul verurteilt werden, könnte das durch das damit verhängte Politverbot für Berlusconi auch die italienische Regierung in einige Bedrängnis bringen.
Seit Berlusconi 1994 in die Politik ging, wurde er bereits wegen Korruption, Bilanzfälschung und illegaler Finanzierung einer Partei zu insgesamt sechs Jahren und fünf Monaten Gefängnis verurteilt. Später wurde er jedoch immer entweder freigesprochen - oder die Verfahren wurden wegen Verjährung eingestellt.
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