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„Gewalt ist grundsätzlich zu verurteilen“

Eine vom größten Medienhaus des Landes, Athesia, lancierte Debatte über Jugendgewalt lässt derzeit in Südtirol die Wogen hochgehen. Laut der zuständigen Journalistenkammer ist eine Debatte über Gewalt im Grundsatz zwar zu befürworten. Zur Vermeidung von Stereotypen sei hier aber Fingerspitzengefühl notwendig - und genau dieses vermissen Kritiker der Medienkampagne.

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Deren Anfang findet sich in mehreren Artikeln der Tageszeitung „Dolomiten“ und deren Onlineportal Stol.it in Zusammenhang mit einer Schlägerei in der Landeshauptstadt Bozen, in denen unter anderem zu lesen ist: „Seit Monaten ziehen Banden von Jugendlichen schlägernd durch Südtirol. Und die Ordnungskräfte sind anscheinend machtlos.“ Gemeinsam wolle man nun „gegen Schlägerbanden“ vorgehen. Im Rahmen der Facebook-Kampagne „Stopp der Gewalt in Südtirol“ wird die Bevölkerung aufgerufen, „die Angst und das Schweigen zu brechen“.

Screenshot der Facebookseite "Stopp der Gewalt in Südtirol"

Screenshot facebook.com

„Stopp der Gewalt“-Kampagne: „Erstatten Sie Anzeige. Schreiben Sie uns. Wir veröffentlichen es anonym.“

„Italiener sind auch nicht alle ‚Mafiosi‘“

Scharf kritisierte der Präsident der Journalistenkammer, Fabrizio Franchi, die zunächst auf „Albanerbanden“ reduzierte Tätergruppe. Zwar sei das von den „Dolomiten“ mittlerweile relativiert worden, doch Verallgemeinerungen wie diese gelte es tunlichst zu vermeiden, schließlich könne man auch nicht alle Italiener als „Mafiosi“ bzw. alle Deutschen als „Nazis“ abstempeln, so Franchi weiter.

Das Bild „organisierter Schlägerbanden“ sorgt dennoch weiter für Debatten. Zuletzt forderte etwa Karl Zeller, einer der Senatoren der Südtiroler Volkspartei (SVP), eine Sondernorm im italienischen Strafgesetzbuch. „Staatsanwälten und Richtern sei mehr Ermessensspielraum einzuräumen, um zu unterscheiden, ob es eine ‚normale‘ Schlägerei nach einer verbalen Auseinandersetzung sei oder ein deutlich härter einzustufender Fall“, wird Zeller in Stol.it zitiert.

„Hat nichts mit Ausländerhetze zu tun“

Der Chefredakteur der „Dolomiten“, Toni Ebner, wies in einem schriftlichen Statement gegenüber ORF.at die Kritik zurück: Der Aufschrei in Südtirol gegen die Schlägerbanden habe „nichts mit Ausländerhetze zu tun. Es geht - so wie es auch die Vertreter der Ausländerbeiräte in den ,Dolomiten‘ ausgeführt haben - darum, dass Gewalt nicht toleriert werden darf und die dafür verantwortlichen schwarzen Schafe zur Rechenschaft gezogen werden.“

Die Redaktion sei überzeugt, dass es „vor allem auch im Interesse der vielen rechtschaffenen Mitmenschen mit Migrationshintergrund in unserem Land sein muss, dass hier endlich etwas geschieht“.

Ebner betonte weiters, die Zeitung sei „seit jeher gegen Rassismus aufgetreten und für die Integration der Zuwanderer eingetreten. Die Kampagne ‚Stopp der Gewalt‘ hat eine große Welle der Solidarität ausgelöst, weil sich die Jugendlichen hilflos der Gewalt ausgeliefert fühlen.“ Mit der Aktion seien die Sicherheitskräfte und die Politik wachgerüttelt worden. Ebner verwies zudem darauf, dass unter anderen auch Landeshauptmann Luis Durnwalder (SVP) die Gewalt verurteilt habe.

Erhöhte Aufmerksamkeit bei Behörden

Handlungsbedarf ortet auch der für Südtirol zuständige Regierungskommissär Valerio Valenti. Dieser sprach im „Alto Adige“-Interview zwar von einer erhöhten Aufmerksamkeit der Behörden - von einem mit Blick in die Berichterstattung vermuteten „Ausnahmezustand“ könne allerdings keine Rede sein. Auch Quästor (Leiter der Polizia di Stato, Anm.) Lucio Carluccio wollte einem Medienbericht zufolge nichts von organisierten Schlägerbanden wissen. Angesichts der jüngsten Häufung von Zwischenfällen forderte neben Carluccio auch der Südtiroler Carabinieri-Chef Giuliano Politi die Bevölkerung gleichzeitig auf, etwaige Vorfälle sofort zu melden.

Jugendgewalt „kein Ausländerproblem“

Dass Gewalt „grundsätzlich zu verurteilen“ sei, stand auch in einer gemeinsamen Erklärung diverser Organisationen, darunter auch die Südtiroler Hochschülerschaft, Vereinen und Gruppierungen außer Frage. So wie in einer „Einschätzung der Polizei“ stelle man jedoch infrage, ob es sich tatsächlich um einen allgemeinen Trend handle.

Zentrales Nachrichtenorgan

Die Athesia-Gruppe ist in den Bereichen Buch, Papier, Zeitungen und Druck in Südtirol, Nordtirol und dem Trentino tätig. Flaggschiff des Medienhauses mit Sitz in Bozen ist die deutschsprachige Tageszeitung „Dolomiten“, die seit 1882 besteht. Nach Verlagsangaben beträgt die durchschnittliche Verkaufsauflage 56.600 Exemplare, die Reichweite wird mit 248.000 Lesern beziffert. Südtirol hat 511.750 Einwohner (Stand Dezember 2011).

Jugendgewalt sei „kein Ausländerproblem“. Der „rassistische Unterton“ der Anti-Gewalt-Debatte sei „angesichts der erstarkenden Ausländerfeindlichkeit in Südtirol“ vielmehr „wie Öl im Feuer“. „Schockiert, traurig und sehr besorgt, wohin diese Ausländerhetzkampagne führen wird“, zeigte sich die Organisation für eine solidarische Welt (OEW): „Gewalt ist nicht okay, keine Frage, aber so eine Kampagne ist Wahnsinn.“ Die Arbeitsgemeinschaft für Jugenddienste erinnerte auch daran, dass „Gewalt nicht nur ein Problem der Jugend“ sei.

„(Familiäres) Detail“ verschwiegen?

Davon abgesehen ortet die „Neue Südtiroler Tageszeitung“ in einem „(familiären) Detail“, das bisher verschwiegen worden sei, die „simple Antwort“ auf die Frage, "warum das Tagblatt der Südtiroler („Dolomiten", Anm.) plötzlich und über Nacht den Gewaltnotstand im Land entdeckt“. Den Vorwürfen zufolge sollen sich gleich mehrere Mitglieder der Athesia-Eigentümerfamilie unter den Opfern jenes Vorfalls befunden haben, der am Beginn der hauseigenen „Stopp der Gewalt“-Kampagne stand: „Wären die Kinder von einfachen Leuten betroffen gewesen, hätte es diese massive Kampagne wohl nie gegeben“, so die Zeitung weiter.

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